De Maizière betonte, es müsse zu einer vollen Registrierung der Flüchtlinge kommen. Deshalb habe er 100 weitere deutsche Polizisten zugesagt. Diese sollten vor allem an den Hotspots eingesetzt werden. Dort müssten die ankommenden Flüchtlinge endlich so registriert werden, dass die Daten in den europäischen Systemen verfügbar seien.
Der Politiker betonte: "Ich habe jetzt - vielleicht sogar zum ersten Mal - den Eindruck gewonnen, dass Griechenland gemerkt hat, dass die Zeit davonläuft, und insbesondere bei der Errichtung der Hotspots und der Registrierungszentren große Fortschritte sichtbar werden."
Es gebe keine Garantien, aber: "Wir arbeiten daran, dass wir möglichst schnell den Lösungen nahe kommen und deswegen muss man auch mit sozusagen zweitbesten Lösungen zufrieden sein." Diese bestünden in den Registrierungszentren.
"Die Türkei ist ein sicheres Herkunftsland"
Dadurch könne aber nicht die Zahl der Flüchtlinge verringert werden. "Der Schlüssel zur Reduzierung liegt vor allem in der Türkei", sagte de Maizière. Es werde daran gearbeitet, dass die Türkei wie verabredet illegale Migration unterbinde. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) werde am Montag deshalb in die Türkei reisen. "Wir erwarten schon, dass wir jetzt allmählich Fortschritte darin sehen, dass der Rückgang der Flüchtlinge nicht nur auf den Winter- Effekt, sondern auf türkisches Eingreifen zurückzuführen ist."
Möglich sei auch, dass Griechenland ankommende Menschen unter Umständen wieder zurückschicke in die Türkei, "damit sie erst gar nicht nach Europa weiterziehen", sagte der Bundesinnenminister. Er fügte hinzu: "Ich halte die Türkei für ein sicheres Herkunftsland." Zudem sei es NATO-Partner. Deutschland sei auch nicht der "Oberschiedsrichter für die Menschenrechtslage." Es gebe gemeinsame Interessen, und die sollten jetzt in den Vordergrund gerückt werden.
Das Interview in voller Länge:
Ann-Kathrin Büüsker: Sie haben ja in der vergangenen Woche gefordert, dass Griechenland seine Hausaufgaben macht. Und, hat Griechenland seine Hausaufgaben gemacht?
Thomas de Maizière: Mein französischer Kollege und ich sind nach Griechenland geflogen, nicht um Griechenland zu kritisieren, um Versäumnisse und Schwierigkeiten aufzuzählen, sondern um gemeinsam mit Griechenland zu Lösungen zu kommen. Wir wollen den Flüchtlingsstrom nach Europa reduzieren und nicht nur, obwohl das auch wichtig ist, zu einem geordneten Verfahren kommen und zu einer vollen Registrierung der Flüchtlinge. Und ich habe jetzt, vielleicht sogar zum ersten Mal, den Eindruck gewonnen, dass Griechenland gemerkt hat, dass die Zeit davon läuft und dass jetzt insbesondere bei der Errichtung der Hotspots und der Registrierungszentren große Fortschritte sichtbar werden.
Büüsker: Sie haben jetzt ja ihrem griechischen Amtskollegen versprochen, dass Sie 100 Polizeibeamte und zwei Schnellboote als Unterstützung für Griechenland senden werden. Was können die tatsächlich ausrichten vor Ort?
de Maizière: Wir haben bereits ja etliche Bundespolizisten bei Frontex, aber wir werden das jetzt in dem von ihnen beschriebenen Sinne verstärken. Das ist vor allen Dingen eine Arbeit bei den Hotspots. Wenn dort manchmal mehrere Tausend Menschen ankommen auf einer Insel, dann müssen sie registriert werden, und zwar so registriert werden, und daran hapert es momentan noch zum Teil, dass dann die Daten in dem System des Europäischen Asylsystems, das nennt man Eurodac, im Schengener Informationssystem, im Visa-Informationssystem, in den Polizeidaten, dass die da eingegeben werden. Wir wollen nicht das Thema Terrorismus und das Thema Flüchtling miteinander vermischen. Aber: es ist die Gefahr und die Sorge, dass sich unter die Flüchtlinge auch Terroristen mischen und das wollen wir so früh wie möglich erkennen.
"Der Schlüssel zur Reduzierung liegt jetzt vor allem in der Türkei"
Büüsker: Das heißt, erst dann wissen wir auf jeden Fall wer kommt und das hilft letztlich der Inneren Sicherheit in Europa, aber das ist ja keine Maßnahme, die hilft, den Flüchtlingsstrom zu reduzieren, wenn ich das richtig verstehe.
de Maizière: Nein, aber das ist natürlich auch eine wichtige Maßnahme. Wir haben viele gefälschte Pässe, viele, die sich als Syrer ausgeben ohne Syrer zu sein, und unsere Bundespolizisten sind gut geschult, solche gefälschten Pässe zu erkennen und von daher ist das glaube ich eine große Hilfe. Richtig ist: das führt zu mehr Sicherheit, das ist aber, glaube ich, angesichts der Terrorbedrohung, unter der wir leben, ein wichtiger Punkt, und führt nicht zur Reduzierung. Der Schlüssel zur Reduzierung liegt jetzt vor allem in der Türkei. Es gibt eine Verabredung zwischen der Europäischen Union und der Türkei, dass die Türkei illegale Migration unterbindet, dafür auch finanzielle Hilfe bekommt. Dazu gehört dann auch ein verstärkter Schutz der europäischen Außengrenzen, auch wiederum durch Frontex und Griechenland und darüber haben wir auch gesprochen, bis hin dazu, dass Griechenland dann die Menschen, die in Griechenland ankommen auch unter bestimmten Umständen zurückschicken kann in die Türkei, damit sie gar nicht erst nach Europa weiterziehen.
Büüsker: Aber wie sicher ist es denn, dass das klappt? Bisher nimmt die Türkei ja niemanden aus Griechenland mehr zurück.
de Maizière: Wir arbeiten daran, dass das funktioniert aber vor allem arbeiten wir daran, dass die Türkei die illegale Migration unterbindet. Dazu gab es Gespräche Europäische Union-Türkei, dazu gab es die deutsch-türkischen Regierungskonsultationen, die Bundeskanzlerin wird am Montag noch mal in die Türkei dazu fliegen, ich habe mit meinem Kollegen gesprochen. Die Türkei weiß, was sie dort zu tun hat, andererseits braucht sie auch Hilfe. Aber wir erwarten schon, dass wir jetzt allmählich Fortschritte darin sehen, dass der Rückgang der Flüchtlinge nicht nur auf den Wintereffekt, sondern auf türkisches Eingreifen zurückzuführen ist.
Büüsker: Aber so wie die Türkei derzeit agiert, im Krieg gegen die Kurden, im Umgang mit den Medien, da ist sie doch kein sicherer Drittstaat, kein sicheres Herkunftsland und auch kein guter Partner?
de Maizière: Die Türkei ist NATO-Partner. Die Türkei hat eine außerordentlich schwierige Situation, wenn sie sich die Nachbarn anschauen - Iran, Syrien, Irak. Die Türkei hat Millionen von Flüchtlingen aufgenommen ohne große Hilfe der Weltgemeinschaft, anders als Jordanien und Libanon. Und deswegen kann man leicht über die einen oder anderen innenpolitischen Probleme reden, aber wir sind nicht der Oberschiedsrichter für die Menschenrechtslage in der Türkei. Wir sind zusammen NATO-Partner, wir haben gemeinsame Interessen und die sollten wir jetzt in den Vordergrund rücken. Und dazu gehört, dass wir jetzt diese Vereinbarung zwischen der EU und der Türkei Stück für Stück umsetzen, aber zum beiderseitigen Interesse.
"Ich halte die Türkei für ein sicheres Herkunftsland"
Büüsker: Das heißt, wir müssen da in den sauren Apfel beißen und auf die Moral verzichten?
de Maizière: Nein, die Außen- / Sicherheitspolitik ist immer eine Abwägung zwischen Interessen und Werten. Wenn Sie nur die Interessen in den Vordergrund stellen bei ihrem Handeln, dann verraten Sie ihre Werte, wenn Sie nur die Werte hochhalten, können Sie oft ihre Interessen nicht durchsetzen. Das ist stets bei allen Themen eine Abwägung. Ich halte die Türkei für ein sicheres Herkunftsland und Griechenland hat mir heute auch berichtet, dass Griechenland die Türkei auch als sicheres Drittland bezeichnet und erklärt. Das ist ein großer Fortschritt, auch für die Klärung der Flüchtlingslage.
Büüsker: Sie haben vor Ort in Griechenland ja auch die Umsetzung der Hotspots zur Registrierung gesprochen. Die Griechen haben diese noch nicht komplett umgesetzt. Wenn die Griechen jetzt in diesen Hotspots dann diese Flüchtlinge registrieren, wer garantiert ihnen, dass diese Flüchtlinge am Ende dann alle in Griechenland bleiben, es gibt ja noch keine Verteilungsquoten.
de Maizière: Ich will zunächst einmal zu Ihren Fragen sagen: Garantien gibt es für nichts, sondern wir arbeiten daran, dass wir möglichst schnell den Lösungen nahekommen. Deswegen muss man auch mit sozusagen zweitbesten Lösungen zufrieden sein. Die bestehen darin, dass es nun endlich diese Hotspots und Registrierungszentren geben soll. Das geht jetzt auch voran, weil die griechische Regierung sich entschieden hat, die Streitkräfte zum Aufbau dieser Hotspots einzurichten, mit Pionierkräften, Soldaten, die Betten aufbauen und so weiter, das geht jetzt also voran.
Dort soll dann eine Art erste Prüfung stattfinden: Geht es um Schutzbedürftige oder um Nichtschutzbedürftige? Und die Schutzbedürftigen sollen dann verteilt werden. Im Moment ist es so, dass die Griechen sagen: die Umverteilung in Europa kommt nicht voran, deswegen brauchen wir vielleicht nicht so dringend Hotspots zu bauen, und andere in Europa sagen: ihr müsst jetzt erst mal die Hotspots errichten, damit es zur Umverteilung in Europa kommt. Durch gegenseitiges Zuwarten und gegenseitiges sich Kritisieren kommt nichts voran. Und deswegen muss jetzt beides geschehen: rascher Aufbau der Hotspots und dann die rasche Umverteilung in Europa.
"Optimistischer auf dem Rückweg als auf dem Herweg"
Büüsker: Wie zuversichtlich sind sie nach ihrem heutigen Besuch, was die Zukunft des Schengen-Raums angeht?
de Maizière: Ja, der Schengen-Raum, also die, im Prinzip kontrollfreie Durchreise durch Grenzen innerhalb der Staaten, die im Schengen-Raum sind, das ist eine große Errungenschaft. Sie ist gefährdet durch die große Zahl der Flüchtlinge, durch die Egoismen in Europa und deswegen arbeiten wir daran, dass es bei Schengen bleiben kann. Aber das geht nur dann, wenn wir in europäischen Lösungen, gemeinsam mit der Türkei und anderen Partnern, die Flüchtlingszahl reduzieren können. Sonst ist Schengen gefährdet, das wissen auch alle Beteiligten. Die Zeit läuft allen Beteiligten davon. Aber es muss das Ziel sein, Schengen zu erhalten.
Büüsker: Sind Sie da optimistisch?
de Maizière: Ich bin etwas optimistischer auf dem Rückweg als auf dem Herweg, aber einen richtigen Durchbruch haben wir noch nicht erreicht.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.