Eine Ausstellungseröffnung in Karachi, Pakistan: Kunst gegen den Hunger wird präsentiert, und auch die Nachhaltige Entwicklungsagenda der Vereinten Nationen. Dem Publikum aus internationaler Diplomatie und Politik werden europäische Speisen serviert. Mitglieder einer Organisation namens "Robin-Hood-Armee" holen später das übriggebliebene Essen ab und verteilen es an Bedürftige. Dass ihre Aktion nur ein Tropfen auf dem heißen Stein ist, darüber machen sich die Aktivisten gar keine Illusionen.
Der Schriftsteller Ilija Trojanow und der Geschäftsführer der Hilfsorganisation medico international, Thomas Gebauer, wollen mit dieser Anekdote am Anfang ihres Buches keineswegs die jungen Helfer bloßstellen. Die Welt leide nicht an zu wenig Hilfe, findet Ilija Trojanow - sondern an den Verhältnissen, die immer mehr Hilfe notwendig machten.
"Eine Widersprüchlichkeit wie diese durchzieht eigentlich das ganze Buch, dass wir in Zeiten leben, wo es ein Wissen gibt um die Notwendigkeit grundsätzlicher Veränderung, aber aufgrund von so genannten Sachzwängen, von unglaublich fest verankerten Ideologien des Herrschenden diese Schritte nicht unternommen werden und selbst engagierte, hilfsbereite Menschen sich begnügen mit einer kleinen Wohltätigkeit, die nichts Grundsätzliches ändert."
Wenn Hilfe zum Selbstzweck wird
Nach ihrer Reise durch vier Kontinente und acht Länder kommen Gebauer und Trojanow zu einer bitteren Erkenntnis: Auf dem Fundament global-kapitalistischer Interessen und unfairer Handelsbeziehungen bleibt Hilfe oft nur eine gute Absicht, hat wenig bis nichts mit nachhaltigem Wandel zu tun, steht der Linderung von Not im Weg, oder sie mutiert gar zum Selbstzweck.
"Was ist, wenn Unterstützung von außen das Überleben der Bedürftigen sichert, eine wirklich bessere Zukunft für sie aber verhindert? Könnte Hilfe an sich das Problem sein, indem sie die Ursachen für ihre fortwährende Notwendigkeit eifrig nährt? Mit anderen Worten: Was ist eine Hilfe wert, die nicht das übergeordnete Ziel verfolgt, sich selbst überflüssig zu machen?"
Im Wechsel von kontrovers-analytischen Kapiteln und bewegenden Reportagen aus Afrika, Asien und Lateinamerika zeigen die Autoren, wie schnell Hilfe Menschen in Abhängigkeit versetzen kann, wie sie "kosmetisch" wird, wie sie zwangsläufig an ihre Grenzen stoßen muss - wenn sich zum Beispiel trotz zahlreicher Brandkatastrophen in der ausbeuterischen Bekleidungsindustrie in Pakistan einfach nichts Grundsätzliches ändert. Thomas Gebauer:
"Es geht nicht darum, irgendeine Hilfe Menschen überzustülpen, sondern es geht darum, mit ihnen gemeinsam an Lebensrealitäten zu arbeiten. Nicht zu helfen, sondern zu kämpfen. Für andere Lebensumstände, die gerechter sind, die die Chance überhaupt bieten, sich entfalten zu können. Das ist ja das, was in den Menschenrechten gefasst ist."
Hilfe beruhigt das Konsumenten-Gewissen
Gebauer und Trojanow gehen aber noch weiter. Konkret und überzeugend stellen sie dar, wie das Phänomen "Hilfe" inzwischen selbst Teil des neoliberalen Mechanismus geworden ist - durch eine Ökonomisierung von Hilfe, eine Ausrichtung an Messbarkeit und betriebswirtschaftlichen Kennziffern, aber auch durch eine "Kapitalisierung von Armut". Ein Beispiel: der Getränkehersteller, der in Partnerschaft mit einer Umweltschutzorganisation damit wirbt, dass jeder gekaufte Kasten Bier den Urwald in Brasilien schützt.
"Wenn sich Hilfe an Konsum andockt, wird Hilfe zum legitimatorischen Teil des eigenen Lebensstils. Wie zu Zeiten des mittelalterlichen Ablasshandels entschädigt Hilfe für ein sündiges Leben, nur dass sich unter den heute herrschenden kapitalistischen Bedingungen niemand mehr schuldig macht."
Besonders kritisch beleuchten die Autoren die vermeintliche Erfolgsstory des Mikrokreditwesens und den Ansatz vieler Nichtregierungsorganisationen, die Zustände sogar im Auftrag von Regierungen nur noch abzufedern. Ein Ärgernis ist für sie auch die Strategie so genannter "Philanthrokapitalisten" und Stiftungen. Natürlich hätten die von Bill und Melinda Gates finanzierten Polio-Impfkampagnen ihr Gutes, so Ilija Trojanow. Aber an den bestehenden Verhältnissen änderten sie nichts - und überhaupt würden bei der Umsetzung von Hilfszielen eben in den seltensten Fällen die Menschen gefragt.
"Das heißt, der kritische Diskurs 'In was für einer Gesellschaft wollen wir leben, wie wollen wir Selbstbestimmung, Autonomie, eine andere Verteilung der Produktionsmittel usw., wie wollen wir das zukünftig handhaben?', das wird ausgeklammert. Es geht nur noch um das Funktionale, Effiziente, Technokratische."
Weniger Ungleichheit ist die beste Hilfe
Was also tun? Nicht mehr helfen? Schluss mit dem Spenden? So, wie es ja auch schon afrikanische Intellektuelle gefordert haben? Nein, sagen die Autoren. Für Thomas Gebauer und Ilija Trojanow liegt das Problem nicht im Helfen an sich. Weder geht es ihnen darum, das zutiefst Humane des Gebens zu diskreditieren, noch das Engagement von Hilfsorganisationen per se abzuwerten - schon gar nicht, wenn es um die Linderung akuter, unmittelbarer Not geht.
Sie weisen vielmehr darauf hin - und das ist das eigentlich Neue an diesem Buch -, dass der Begriff "Hilfe" inzwischen kontaminiert und eigentlich nicht mehr benutzbar sei. Wer in Entwicklungsländern "Hilfe" höre, denke nur noch an Ausbeutung, Einseitigkeit und, ja, eine neue Form von Kolonisierung.
Projekte in Kenia, in Pakistan, in Mexiko, sogar in Syrien führen die Autoren als ermutigende Beispiele dafür an, dass es durchaus anders geht: Wenn Menschen die Chance und die Unterstützung bekommen, sich selbst zu organisieren, genossenschaftlich, basisdemokratisch, eigenverantwortlich, nach ihren Bedürfnissen - wenn sie also von Zukunft sprechen. Dies ist für die Autoren der wahre Lackmustest für die Nachhaltigkeit von Hilfe.
Es ist das Verdienst von Thomas Gebauer und Ilija Trojanow, dass sie am Ende ihrer Reise eine neue Erzählung des Möglichen freilegen, um zum Kern dessen zu gelangen, was Hilfe meint:
"Jede Reduktion von Ungleichheit ist Hilfe im besten Sinne des Wortes."
Thomas Gebauer, Ilija Trojanow: Hilfe? Hilfe! Wege aus der globalen Krise,
S.Fischer Verlag, 256 Seiten, 15,00 Euro.
S.Fischer Verlag, 256 Seiten, 15,00 Euro.