Nicht, dass wir uns missverstehen: Gebrechen gehören zum Leben wie Schatten zum Licht. Und wer über Gebrechen anderer spottet, dem gebricht es selbst an Anstand, basta!
Dennoch sei um der Wahrheit willen gesagt: Thomas Gottschalk bereichert mein Dasein eigentlich nur noch als Testimonial eines Hörgeräte-Herstellers. Denn umständehalber laufe ich täglich auf einen Laden zu, dessen Schaufenster seit dem Frühjahr letzten Jahres mit Gottschalk-Antlitzen geschmückt sind.
Reklame für Hörgeräte
Und wie das manchmal so ist bei Reklame: Die Hörgeräte-Werbung hat mich nicht scharf auf Hörgeräte gemacht, sondern das strahlende Medienphänomen Gottschalk unnachgiebig in eine prä-geriatrische Sphäre verschoben, so Richtung Ruhestand und dritte Zähne, Hörgerät und Treppenlift. Wogegen, wie gesagt, gar nichts zu sagen ist.
Und bestimmt ist "Phonak Virto M Titanium", jener imposant betitelte Knopf im Ohr, den Gottschalk bewirbt, ein tolles Ding.
Umso dringlicher stellt sich jedoch die Frage: Hat Gottschalk den Schuss nicht gehört – angesichts dessen, dass er zwei neue Shows in der ARD bekommt? Der Zeitgeist sträubt sich ja heftig gegen alte weiße Männer, die ihr ewiges Tun nicht lassen können.
Auf Zeitreise mit Thomas Gottschalk
Gottschalk aber soll – neben einem Jahresrückblick – ausgerechnet ein sogenanntes Timetainment-Format moderieren. Was das ist?, fragen Sie, außer der x-ten modischen Verhunzung der deutschen Sprache? Nun, Gottschalk will mit jeweils vier unterschiedlich alten Promis in das Jahr zurückreisen, in dem diese einst volljährig wurden.
Da der 70-jährige Gottschalk selbst seit 1971 immer irgendwo auf Sendung war, könnte er folglich in fast jeder Zeitreise persönlich in Wort und Bild auftauchen.
Und umso klarer würde, was er heute ist: Der am buntesten verkleidete Dinosaurier aus dem Erdzeitalter des linearen Glotzens, der nach "Wetten, dass...?" aber noch stets nette Nischen für sein mediales Überleben gefunden hat.
Shows jenseits jeder Gleichberechtigung
Deshalb reichen wir die Frage nach dem ungehörten Schuss an die ARD weiter. Man muss nämlich kein gewaltbereiter Gleichstellung-Extremist sein, um zu bemerken: Unterhaltung zur besten Sendezeit wird im Öffentlich-Rechtlichen stets von Männern moderiert.
Diesen Umstand zu rechtfertigen, wäre völlig unproblematisch – würden nur Männer die Erde bevölkern und wir im Jahr 1820 leben. Ist aber nicht so. Folglich trat ARD-Programmdirektor Volker Herres knietief ins Fettnäpfchen, als er meinte, er sehe kein weibliches Pendant zu Kai Pflaume, und selbigen für "Empathie" und "Zugewandtheit" lobte.
Hallo, Herr Herres, mal unter uns: Man ahnt, dass Sie's gar nicht böse gemeint haben, aber so eine Ansage konnte Ihnen frau echt nicht durchgehen lassen, nicht 2020! Bemerkenswert indessen, dass das Schicksal höchstselbst sich süffisant auf die Seite der Empörten schlug.
Kommt bald die weibliche Wende?
Wenige Monate nachdem Volker Herres weit und breit keine weibliche Pflaume entdecken können, wurde publik: Er selbst wird nächstes Jahr auf dem ProgrammdirektorInnen-Stuhl abgelöst, Gerüchten zufolge von Christine Strobl, wohl bekannt Medienmanagerin der ARD.
Kommt dann die weibliche Wende auch im Unterhaltungs-Segment? Wird Ina Müller statt Kai Pflaume und Anke Engelke statt Eckart von Hirschhausen zu sehen sein?
Gut möglich. Aber erst wenn Thomas Gottschalk als TV-Pensionär unter dem Claim "Fernsehen wie früher? Ohne mich!" Werbung für Netflix macht, können wir wirklich sicher sein: Die Emanzipation ist unaufhaltsam!