Es sieht aus, als habe der Blitz eingeschlagen oder eine Bombe. Der eine Flügel der Villa Stuck ist wie immer vornehm und staubfrei, mit Kopien antiker Kunstwerke und Stucks erlesenen Jugendstilmöbeln; der andere Flügel ist eine Ruine. Die Decke zum ersten Stock ist heruntergebrochen, ein Kronleuchter schwebt sinnlos im Schutt. Überall liegen graue Stein-Bruchstücke herum, die freilich bei näherer Betrachtung aus Pappe sind; aber: Chaos allerorten.
Der Schweizer Installationskünstler Thomas Hirschhorn, der mit einer ähnlich ruinösen "Doppelgarage" auf die Zerstörungen des 11.September reagierte, will mit der Inszenierung dieser Katastrophe ein bisschen Realität ins Museum holen. Der von uns scheinbar weit entfernte Super-GAU ist hier schon eingetreten – warum?
"Weil es darum geht, ein neues Modell für die Institution Museum zu schaffen. Vielleicht auch ein neues Modell für den Begriff des Künstlerfürsten ganz allgemein. Einen neuen Begriff, was in einem Museum geschehen kann, was die Leute machen in einem Museum, warum sie ins Museum gehen. Und deshalb dachte ich, dass die Form einer Ruine Sinn macht."
Ein Museum zum Ausprobieren
In der Ruine ist man auf sich selbst zurückgeworfen, keine Sicherheit, es geht ums Überleben. Andererseits produziert jede Krise neue Möglichkeiten – und genau darauf will Hirschhorn hinaus: dass man in der Katastrophe produktiv wird. Deshalb bezieht er sich in seiner Ankündigung auch auf den italienischen Kommunisten Antonio Gramsci, in dessen Briefen aus dem Gefängnis es heißt, die Zerstörung sei mindestens so schwierig wie der kreative Aufbau. Das meint natürlich das Zerstören überkommener Lebens-, Produktions- und auch Geschlechterverhältnisse. Und das darf hier im Museum gleich ausprobiert werden.
"In dieser Ruine aber hat es vier Unterstände. Vier Plätze, um sich zurückzuziehen. Oder Plätze, um zu sein und in dieser Ruine, in dieser Katastrophe etwas zu versuchen, etwas Neues zu denken, etwas zu erfinden."
Theorie-Apotheke mit Bataille, Deleuze und Derrida
Hirschhorn bietet Computer, Drucker und Kopierer nebst Internet; Mikrofon und Bassgitarre, Papier, Farbe, Bleistift – und Bücher, da sogar eine kleine Theorie-Apotheke der von ihm favorisierten Denker Bataille, Deleuze, Derrida. Was hier in den über vier Monaten Laufzeit der Ausstellung geschehen wird, ist ungewiss; auf alle Fälle ergreift das Volk die Macht. Einstweilen säbeln Studierende der Münchner Akademie für Bildende Künste mit Küchenmessern an Styropor-Blöcken herum und schaffen so Kopien antiker Skulpturen – wahrscheinlich als Parodie auf die Ausstattung der Stuck-Villa. Einer kocht Kaffee, auf dem Sofa liegt einer und schläft. Das "nicht-exklusive Publikum", das Thomas Hirschhorn vorschwebt, muss hier keinen Eintritt zahlen, aber zum Leidwesen des Künstlers wird die Installation nachts geschlossen. Das aber sind eigentlich genau die Dinge, die Hirschhorn im bürgerlichen Museum ändern will.
"Ja, wieso kostet das da Eintritt? Wieso hat’s da Wächter, die einem verbieten das und das? Wieso ist das Museum nur so und so viele Stunden auf am Tag, obwohl ich doch Kunst nötig hätte vielleicht in der Nacht, zu jeder Tageszeit? Solche Gegebenheiten zu zerstören ist schwierig. "
Nachdem die Villa Stuck kürzlich schon die theatralen Mysterien-Ambiente des Hermann Nitsch präsentiert hat, ist Thomas Hirschhorns über drei Stockwerke reichende Zerstörungs-Assemblage nun eine noch viel größere Herausforderung für die schlummernden Kreativkräfte im Publikum. Ein begehbares Environment, das an den Wahnsinn des frühen Joseph Beuys erinnert, das Spaß macht und uns daran erinnert, dass auch aus den Ruinenlandschaften des Zweiten Weltkriegs die zarte Pflanze Demokratie zu wachsen begann – was auch in heutigen Ruinen in Syrien und anderswo zumindest denkbar ist.