Doris Schäfer-Noske: Pacific Palisades – so heißt ein Villen-Vorort von Los Angeles. Große Anwesen und weitläufige Parks prägen das Bild: hinten Hügelland, vorne das Meer.
Nun steht dort eine Immobilie zum Verkauf. 15 Millionen Dollar soll das Haus kosten. Und das Ganze könnte uns völlig egal sein, wenn es sich dabei nicht um das Haus handeln würde, das sich Thomas Mann hat bauen lassen: Der Schriftsteller wohnte dort von 1942 bis _52.
Da das Haus alt ist, könnte es abgerissen werden. Und so wollten die Verkäufer vermeiden, dass man in Deutschland Wind von der Sache bekommt. Das ist allerdings gründlich schief gegangen.
Frage an Hans Wißkirchen, den Präsidenten der Thomas-Mann-Gesellschaft und Leiter des Buddenbrook-Hauses in Lübeck: Herr Wißkirchen, in Kalifornien erzählt man sich, dass die Hunde aus der Nachbarschaft noch Jahre nachdem die Manns schon weggezogen waren am Eingangstor gewartet hätten, um mit Thomas Mann spazieren zu gehen. Welche Bedeutung hatte denn dieses Haus für Thomas Mann?
Hans Wißkirchen: Er ist ja in die USA emigriert und hat einige Jahre in Princeton gelebt, in einem gemieteten Haus, Albert Einstein in der Nachbarschaft, ist dann aber nach einiger Zeit nach Kalifornien gezogen, weil er sich, wie er selbst mal ausgedrückt hat, in dem sehr akademischen Princeton nicht so recht wohl gefühlt hat, und da hat man ironisch gesagt, dass ihn das Movie-Gesindel Kaliforniens (er war ein Filmfanatiker; das weiß man gar nicht) viel besser gefallen hat. Er hat dieses Haus sich bauen lassen mithilfe von Agnes E. Meyer, einer Mäzenin, und hat den "Joseph" dort beendet, und es gibt nicht wenige, die sagen, es gibt einen Zusammenhang zwischen dieser ägyptischen Welt, der lichtdurchfluteten ägyptischen Welt dieses "Joseph"-Romans und dann diesem kalifornischen, wie man heute sagt, Way of Life. Die Sonne, das Klima, der Blick auf das Meer, der ihm immer ganz, ganz wichtig war von Lübeck an, das alles war, glaube ich, eine Gegend, in der er sich - das kann man ohne Wenn und Aber sagen - jenseits der politisch schwierigen Zeiten sehr wohl und glücklich gefühlt hat auch.
Das war sein Haus, das war der Ort, an dem er sich zehn Jahre sehr wohl gefühlt hat, bis dann zu Beginn der 50er-Jahre wieder eine andere politische Situation, der Kalte Krieg kam, die ihn dazu gebracht hat, nach Europa zurückzukehren.
Eine entscheidende Stimme des Exils
Schäfer-Noske: Sie haben es schon kurz angesprochen: Sie haben sich ja viel mit dem literarischen Werk von Thomas Mann auch beschäftigt. Welchen Einfluss hatte das Haus mit den sieben Palmen auf die Literatur?
Wißkirchen: Erst mal würde ich davor warnen, zu viel da hineinzugeheimnissen. Aber es sind natürlich zwei, man kann das sagen, fundamentale Werke Thomas Manns in diesem Hause entstanden. Der "Joseph" ist beendet worden, der letzte Band in diesem Haus, der "Joseph"-Roman, der große Roman des Exils, und da gibt es natürlich einen gewissen Zusammenhang - Sie haben die Palmen angesprochen - zwischen dieser Welt Kaliforniens und der Welt Ägyptens. Das war sicher eine Atmosphäre, die dem Schreiben gut getan hat. Das andere, in meinen Augen gewichtigere ist aber der Roman "Doktor Faustus", der zwischen 1943 und 1947 in diesem Hause entstanden ist. Das ist im Grunde die große Auseinandersetzung Thomas Manns mit seiner Herkunft, mit Deutschland, auch mit dem Faschismus, mit Hitler, mit dem Zweiten Weltkrieg. All die Themen, die ihn bewegen in der Zeit, in der er in diesem Hause lebt, werden in diesem Roman verarbeitet auch.
Das ist, glaube ich, ein Werk, was fundamental ist für die Sicht auf Thomas Mann, und ich glaube, das ist insofern wichtig, dass er dort in diesem Buch (und das spielt eine Rolle für das Haus auch) nicht nur literarisch arbeitet, sondern er ist in der Zeit auch entscheidend eine Stimme im Exil geworden, Vertreter des anderen, besseren Deutschlands. Er hat sich sehr stark politisch engagiert und ich glaube, das ist etwas, was dieses Haus auch ausstrahlt als Ort, an dem ein Deutscher in den USA gelebt hat, literarisch, aber auch zeithistorisch politisch gewirkt hat auch.
"Ich sehe das Haus so ein bisschen auf der Ebene eines Goethe-Instituts"
Schäfer-Noske: Wer könnte denn dieses Haus, 15 Millionen Dollar, in Kalifornien jetzt kaufen? Wäre die Thomas-Mann-Gesellschaft, deren Präsident Sie ja sind, zu einem Engagement bereit?
Wißkirchen: Finanzieller Art auf gar keinen Fall. Das würde unsere Möglichkeiten vollkommen übersteigen auch. Ich denke, das müsste eine konzertierte Aktion sein. In meinen Augen ist es ein Ort, der über das Literarische hinausgeht, der im Grunde so eine Art von transatlantischer Kommunikationsort zwischen deutscher Kultur, deutschem Way of Life, deutschem Leben und dem Amerikanischen darstellen könnte, und das wäre etwas, was das Auswärtige Amt in meinen Augen tun müsste.
Ich sehe das so ein bisschen auf der Ebene eines Goethe-Instituts. Thomas Mann ist nicht umsonst als der Goethe des 20. Jahrhunderts auch oft bezeichnet worden. Er nimmt so eine repressive Funktion ein. Was jetzt die "inhaltliche Bespielung", die Konzeption angeht, die man sicher entwickeln muss, da wäre natürlich die Thomas-Mann-Gesellschaft gerne bereit, auch mit etwa dem Auswärtigen Amt, mit dem Goethe-Institut, mit anderen Trägern gemeinsam in eine wie immer geartete Trägerschaft einzutreten, um hier etwas zu entwickeln. Aber ich glaube, es müsste ein klares Signal der Bundesrepublik Deutschland geben, dass man dieses Objekt sichern will für die Zukunft auch.
Schäfer-Noske: Hans Wißkirchen war das, der Präsident der Thomas-Mann-Gesellschaft und Leiter des Buddenbrook-Hauses in Lübeck, das gerade auch eine Ausstellung über das Exil der Familie Mann zeigt.
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