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Thomas Manns "Der Zauberberg"
"Menschheitsbuch" und "Wort-Symphonie"

Er gilt als Klassiker der modernen Literatur und vielen als das beste Buch von Thomas Mann: „Der Zauberberg“. Die weltliterarische Bedeutung des Romans, den Mann als große symphonische Wort-Musik komponiert und als „Lebensbuch“ konzipiert hat, wurde schon bei seinem Erscheinen im November 1924 erkannt.

Von Christian Linder |
    Der Schriftsteller Thomas Mann in den 1940er-Jahren
    Thomas Mann: "Das Erzählwerk meines Mannesalters, 'Der Zauberberg', war ein humanistisches Denkwerk" (picture alliance/dpa/Glasshouse Images/JT Vintage)
    "Dichter sind meistens ‚eigentlich‘ etwas anderes, sie sind versetzte Maler oder Graphiker oder Bildhauer oder Architekten oder was weiß ich. Was mich betrifft, muss ich mich zu den Musikern unter den Dichtern rechnen. Der Roman war mir immer eine Symphonie …"
    Eingeladen, während seiner amerikanischen Exiljahre, im Mai 1939 Studenten der Universität Princeton in seinen am 28. November 1924 erschienenen Roman "Der Zauberberg" einzuführen, gewährte Thomas Mann tiefe Blicke ins Innere seiner Werkstatt und verriet auch eine der für ihn selbst zentralen Szenen des Romans:
    "'Zum Leben', sagt einmal Hans Castorp zu Madame Chauchat, 'zum Leben gibt es zwei Wege: der eine ist der gewöhnliche, direkte und brave. Der andere ist schlimm, er führt über den Tod, und das ist der geniale Weg.'"
    Auf der Suche nach dem heiligen Gral
    Für Hans Castorp, die Hauptfigur des Romans, war es aber auch ein weiter und aufregender Weg, um diese Erkenntnis zu erlangen. Dabei fing seine Reise harmlos an: "Ein einfacher junger Mann reiste im Hochsommer von Hamburg, seiner Vaterstadt, nach Davos-Platz im Graubündischen. Er fuhr auf Besuch für drei Wochen."
    Der Besuch gilt einem lungenkranken Vetter, der sich im Jahr 1907 in einem in den Alpen hoch über Davos gelegenen Sanatorium, dem "Berghof", behandeln lässt. Ein luxuriöser, von der Außenwelt abgeschotteter Märchenort, der Hans Castorp mehr und mehr verzaubert, so dass aus dem geplanten dreiwöchigen Besuch ein Aufenthalt von sieben Jahren wird.
    Zu Beginn als "philosophischer Taugenichts" beschrieben, schickt der Autor den 24-jährigen Mann auf die Suche nach dem heiligen Gral und lässt ihn begreifen, was ihm alles zu seiner Menschwerdung fehlt. Auch sein Verständnis vom Gral hat Thomas Mann den Studenten verraten: "(Er ist) das Wissen, die Einweihung, jenes Höchste, wonach nicht nur der tumbe Held, sondern das Buch selbst auf der Suche ist."
    "Ein humanistisches Denkwerk"
    Den Ort des Geschehens kannte Thomas Mann aus eigener Anschauung. Als seine Frau Katja sich 1912 wegen einer Bronchialerkrankung in Davos zur Kur aufhielt, besuchte er sie für drei Wochen und nahm die Witterung für den Roman auf, wie er sich 1950 erinnerte:
    "Sein äußerer Schauplatz war der engste – ein international besuchtes Schweizer Gebirgstal –, sein innerer weit: er umfasst die ganze abendländische politisch-moralische Dialektik …"
    Im Mai 1913 begann er zu schreiben, ließ die Arbeit aber bald ruhen, weil er in den "Betrachtungen eines Unpolitischen" auf die Zeitläufte meinte reagieren zu müssen. Erst nach Ende des Ersten Weltkriegs arbeitete er wieder kontinuierlich und fünf Jahre am "Zauberberg".
    "Das Erzählwerk meines Mannesalters, ‚Der Zauberberg‘, war ein humanistisches Denkwerk auch; seine humoristische Symbolik drehte sich um das 'Sorgenkind des Lebens', den Menschen; ein Menschheitsbuch wollte es sein …"
    Bildungs- und intellektueller Abenteuer-Roman
    Ein auf tausend Seiten als große Symphonie inszenierter Bildungs- und intellektueller Abenteuer-Roman, der dem einfachen Kaufmannssohn und angehenden Schiffsingenieur Hans Castorp nicht nur mit Humor, sondern auch mit Ironie eine Welt eröffnet, deren Existenz er vorher noch nicht einmal geahnt hat. Zum Beispiel den Disputen zwischen dem aufgeklärten italienischen Literaten Settembrini und dem jesuitisch erzogenen, radikal ideologisch denkenden Naphta lauschend oder in der entflammten Liebe zu der Russin Clawdia Chauchat wird Hans Castorp metaphysisch geimpft. Auch weist ihn der Autor in die Geheimnisse der Musik ein, wenn er ihn zum Beispiel Claude Debussys "Préludes à l’après-midi d’un faune" hören lässt:
    "Ein flüchtiger Augenblick, dessen wonnevoll-vollkommenes Genügen aber die Ewigkeit in sich trug. Der junge Faun war sehr glücklich."
    Den Gral findet Hans Castorp nicht. Aber auch der Roman kann den Gral als Realität nicht fassen:
    "Der Gral ist ein Geheimnis, aber auch die Humanität ist das. Denn der Mensch selbst ist ein Geheimnis, und alle Humanität beruht auf Ehrfurcht vor dem Geheimnis des Menschen."