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Thomas Mullen: "Darktown"
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Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg wurden in Atlanta im US-Staat Georgia erstmals farbige Polizisten eingestellt – eine Entscheidung der Stadtverwaltung, die bei großen Teilen der Bevölkerung auf vehemente Ablehnung stieß. Thomas Mullen nimmt dies als Ausgangspunkt für seinen Kriminalroman "Darktown".

Von Kirsten Reimers |
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    Thomas Mullen: „Darktown“ (Buchcover Dumont Verlag, Hintergrund: picture alliance / dpa / Meyer)
    Atlanta 1948. Seit Kurzem laufen hier schwarze Polizisten Streife, genauer gesagt: im Stadtviertel Sweet Auburn, von den Weißen abschätzig "Darktown" genannt, denn hier wohnen nur Farbige, nur Negroes, so der Sprachgebrauch im Roman von Schwarzen wie Weißen. Da es undenkbar ist, dass weiße und schwarze Polizisten in ein und demselben Gebäude arbeiten, wurde eine eigene Wache in einem muffigen Keller des Viertels eingerichtet. Für dessen Bewohner sind die schwarzen Cops Verräter, die mit den Weißen gemeinsame Sache machen. Und von ihren weißen Kollegen schlägt ihnen offene Feindseligkeit entgegen, wie die Officers Lucius Boggs und Tommy Smith wiederholt erleben:
    "Ein Streifenwagen tauchte auf, die Frontscheinwerfer waren seltsamerweise ausgeschaltet. Auf der Hilliard Street gab es weder Straßenlaternen noch einen Gehweg. Sie hörten auf zu reden und blieben stehen, fragten sich, ob sie zurücktreten sollten oder ob sie das wie Schwächlinge aussehen ließ.
    Dann beschleunigte der Wagen, und sie wichen tatsächlich auf einen Flecken Gras und Unkraut aus, der jemandem als Vorgarten diente. Der Einsatzwagen hielt auf sie zu, kam leicht ins Schlingern und legte dann eine Vollbremsung hin.
    Sie erblickten flüchtig die Gesichter von zwei weißen Polizisten, die sie nicht kannten. Offensichtlich Cops aus einem anderen Bezirk, die nur auf Durchreise waren.
    "Uuuh-uuuh-uuuh!", brüllten die weißen Cops.
    "Aaah-aaah-aaah!"
    Affen- und Orang-Utan-Laute. Vielleicht ein bisschen Gorilla dabei.
    "Wuu-wuu-wuu-bugga-bugga!"
    "Passt auf eure Ärsche auf, Nigger!"
    Dann raste der Streifenwagen davon, die weißen Cops darin hysterisch lachend."
    Zwischen allen Stühlen
    Die Negro-Cops von Atlanta verfügen zwar über Waffen, aber nicht über Streifenwagen. Sie dürfen nur nachts in den Schwarzenvierteln patrouillieren, tagsüber haben ihre weißen Kollegen das Sagen. Polizeiliche Befugnisse haben sie nur eingeschränkt und nur gegenüber Farbigen. Darum können Boggs und Smith nicht eingreifen, als ein weißer Mann eines Nachts betrunken eine Laterne rammt. Und sie können auch nicht eingreifen, als sie sehen, dass die junge schwarze Frau auf dem Beifahrersitz ganz offensichtlich misshandelt wurde. Alles, was ihnen bleibt, ist, die weißen Kollegen zu rufen. Zu ihrem Erstaunen sind Officer Lionel Dunlow und dessen neuer Partner Denny Rakestraw relativ zügig da. Die junge Frau ist inzwischen aus dem Auto geflüchtet, der betrunkene Weiße macht rassistische Bemerkungen, die Officer Dunlow mit Lachen quittiert.
    Wenige Tage später wird die Leiche der jungen Schwarzen auf einem Müllhaufen in Darktown gefunden. Kein Fall von Interesse für die weißen Cops. Lucius Boggs hingegen macht sich Vorwürfe, dass er sich nicht um die Frau gekümmert hat. Gegen alle Vorschriften beginnen Boggs und Smith zu ermitteln und bekommen unerwartet Unterstützung von Denny Rakestraw: Der junge Officer ist entsetzt von der Korrumpierbarkeit sein Partners und vermutet, dass dieser in den Mord involviert ist. Zunächst unabhängig voneinander, später gemeinsam, aber unter großen gegenseitigen Vorbehalten, versuchen die ungleichen Polizisten herauszufinden, was geschehen ist.
    Selbstverständlicher Rassismus, offene Gewalt
    Thomas Mullen zeigt eine gespaltene Gesellschaft im Umbruch. Der Zweite Weltkrieg ist in seinen Auswirkungen überall zu spüren: im wirtschaftlichen Aufschwung der Stadt, in den tiefen psychischen Vernarbungen der Kriegsteilnehmer, in den Minderwertigkeitsgefühlen derjenigen, die nicht an der Front waren – aber auch in einem wachsenden Selbstbewusstsein der schwarzen Bevölkerung, die als Soldaten und nun als Arbeitskräfte gebraucht werden. Doch sich als Teil der amerikanischen Bevölkerung zu fühlen, wird oft mit dem Leben bezahlt: Der Vater von Tommy Smith, Soldat im Ersten Weltkrieg, der Schützengräben und Senfgas überlebt hat, wurde von Weißen gelyncht, weil er in seiner Uniform an einer Parade von Kriegsveteranen teilgenommen hat.
    "Atlanta, Georgia. Zu zwei Teilen konföderiert-rassistisch, zu zwei Teilen schwarz und zu einem Teil etwas, für das sich noch keine Bezeichnung gefunden hatte. (…) einst ein verschlafener Eisenbahnknoten, doch der Bedarf an Wehrmaterial und dessen Transport hatten zu Kriegszeiten eine Bevölkerungsexplosion verursacht. Auch nach dem Krieg hörten die Kamine der Fabriken, der Textilindustrie und der Eisenbahn nicht auf zu rauchen, denn der Alltag war zurück, die Amerikaner benötigten dringend neue Kleidung, Waschmaschinen und Autos, und der Süden hatte billige Arbeitskräfte zu bieten, die in keiner Gewerkschaft waren. Atlanta wuchs weiter, die Züge spuckten immer mehr Neuankömmlinge aus (…), und die Straßen wurden überflutet von Ehrgeiz, Intrigen und Prügeleien, denn dort, im Bergvorland von Georgia, war etwas entfesselt worden, das wohl nicht mehr aufzuhalten war."
    Südstaatenklischees en masse
    "Darktown" ist immer dann am stärksten, wenn es Zeitporträt und Gesellschaftsstudie ist. Die Alltagsschilderungen, die beiläufige Darstellung, wie selbstverständlich sich der menschenverachtende Rassismus in Weißen wie in Schwarzen eingegraben hat bis in die kleinsten Gesten hinein, gehen unter die Haut. Eindrücklich und beklemmend ist die Angst, die Lucius Boggs empfindet, als er für wenige Stunden Atlanta verlässt, um in der Provinz die Verwandten der jungen Toten aufzusuchen – eine Angst, die sich als äußerst berechtigt erweist, da er und sein Partner als Afro-Amerikaner Freiwild und als afro-amerikanische Polizisten eine Provokation für die örtlichen Cops sind.
    Manches wirkt in "Darktown" wie zu dick aufgetragen, zu sehr scheinen alle Südstaatenklischees von drückender Hitze, der Allgegenwart von Ku-Klux-Klan und korrupten Polizisten bedient zu werden – doch das Erschreckende ist, dass gerade die Schilderungen des brutalen alltäglichen Rassismus viel zu realitätsnah die Nachkriegszeit im Süden der USA wiedergeben. Thomas Mullen vermeidet jegliche stereotype Verkürzung, keine Figur ist einfach gut, schlecht oder über Käuflichkeit oder die Verführung durch Macht erhaben. Wer zuschlägt oder wegschaut, wer die Hand aufhält oder andere abkassiert, hat gute Gründe dafür. Die differenzierten Figuren tragen über die mitunter etwas holprigen Actionszenen und den ein wenig konventionellen Fall hinweg, die Abwesenheit von moralischer Verurteilung macht das Buch umso überzeugender. "Darktown" ist ein durchdachter Roman über Hass und Rassismus und ein beeindruckendes Gesellschaftsporträt.
    Thomas Mullen: "Darktown", aus dem Amerikanischen von Bernie Mayer, DuMont Buchverlag, Köln, 478 Seiten, 24 Euro
    Das Hörbuch (gekürzte Fassung) wird gelesen von David Nathan, Der Audio Verlag, Berlin, 2 CDs, Gesamtlaufzeit 14 Stunden, 22,99 Euro