Italien ist ein Sehnsuchtsort, daran gibt es nichts zu rütteln. Vor allem Deutsche pflegen ein immer noch von Goethe grundiertes sentimentales Verhältnis zu ihrem liebsten Urlaubsland und erleben es als die bessere Ausprägung ihrer selbst, als Inbegriff von Schönheit und Lebensstil, als Hort der Kunst und der guten Küche, wo Geselligkeit gepflegt wird und zudem meist die Sonne scheint. Dass es viele Städte und Landschaften gibt, die einen ganz anderen Charakter haben und tiefe Einblicke in das Innere des Landes vermitteln, bleibt dem gelegentlichen Besucher oft verschlossen – weil es ihn nicht interessiert, weil seine Wege immer wieder an dieselben Ziele führen. Nach Venedig, Florenz, Rom, Pompeij, neuerdings auch mal nach Neapel und vielleicht Taormina. Der Journalist Thomas Steinfeld, zwischen Dezember 2013 und Frühjahr 2018 als Kulturkorrespondent der Süddeutschen Zeitung in Venedig beheimatet, unternimmt in seinem Buch "Italien. Porträt eines fremden Landes" den Versuch, den Eigenarten der vielgestaltigen Halbinsel gründlicher auf die Schliche zu kommen. Er tut das, was für einen Reporter nahe liegt, und begibt sich auf Reisen. Eine der ersten Stationen ist Ligurien.
Idylle und Zerstörung
"Ligurien ist eine vertikal gegliederte Landschaft. Erschlossen wird sie durch Terrassen, auf denen die Landwirtschaft stattfand (und oft immer noch stattfindet). Die Hänge sind daher wie durch Treppen gestaffelt, in geometrischen Großmustern, aber mit unendlich vielen Unregelmäßigkeiten dazwischen, mit schiefen Ebenen, Absätzen, Neuanfängen. Dazwischen stehen Olivenbäume. An manchen Stellen drängt eine Stufe nach vorn, an anderen wird sie schmal und weicht zurück. Darunter liegen immer einige tiefere Stufen, auf denen sich Platz für einen Gemüsegarten findet, in dem Tomaten, Bohnen oder Artischocken angebaut werden. Gehalten werden die Treppen von Trockenmauern, aufeinandergestapeltes, nicht durch Mörtel verbundenes Gestein. Dem Bau solcher Mauern gilt ein hochentwickeltes Handwerk."
Exkurse zur Wirtschaft, Urbanistik, Architektur und Soziologie
Immer wieder betrachtet Thomas Steinfeld Landschaften, erklärt ihre Entstehung, ihre Beschaffenheit, die traditionelle Bewirtschaftung und die derzeitige Nutzung. Wir erfahren, dass sich für die Bauern heute eher der Verkauf der Oliven in Salzlake lohnt, während die Ölmühlen ihre Früchte aus anderen Ländern einführen und nur noch durch einen heimischen Anteil ergänzen. Der Autor taucht nicht nur in die Geschichte dieser Gegenden ein, sondern liefert Exkurse zur Wirtschaft, Urbanistik, Architektur und Soziologie.
In wirkungsvollem Kontrast zu der immer noch hinreißenden ligurischen Verschachtelung mit ihren Terrassen und dem Meer im Hintergrund, wo sich das Auge ausruhen kann, nimmt Steinfeld dann die Autobahn in den Blick. Diese von Tunneln und Brücken skandierte Strecke, gebaut in den sechziger Jahren, sei der Stolz der Nation gewesen, erklärt Steinfeld und fügt eine wichtige Beobachtung hinzu: Der "ingegnere", der Ingenieur, sei in Italien ein Ehrentitel. Ebenso zutreffend ist seine Feststellung, dass in den vergangenen Jahrzehnten eine Fläche von der Größe der Lombardei zubetoniert wurde. Allenthalben wütet Zerstörung und Raubbau an der Natur, umzingeln marode Fabrikgelände und Trabantenvorstädte die historischen Stadtkerne, vergiften überkommene Produktionsstätten die Böden. Darin liegt eine Qualität dieses ungewöhnlichen Reisebuchs: Es blendet die hässlichen Ausformungen der Zivilisation nicht aus, sondern ordnet sie ein und erklärt ihre Entstehung.
"Als eine der Brücken, ein zentrales Verbindungsstück, das im Norden Genuas über den Fluss Polcevera, eine Eisenbahnstrecke und einige Wohnhäuser im Tal führte, im August 2018 einstürzte, wurden dreiundvierzig Menschen in den Tod gerissen und etwas sechshundert obdachlos gemacht. Die Katastrophe weckte im Ausland sofort alle Ressentiments gegenüber Italien, der vermeintlichen Eitelkeit und Unzuverlässigkeit wegen. Doch liegen die Dinge komplizierter. In den sechziger Jahren konnte sich Italien den Stahl, den das Land für seine Industrialisierung benötigte, kaum leisten: Es besitzt nur wenige Erzvorkommen und war während des Faschismus mit einem Einfuhrboykott belegt. Eine eigene Stahlindustrie konnte Italien erst spät aufbauen, mit gemischten Erfolgen. Die Brücke, entworfen von Riccardo Morandi, einem der berühmtesten Architekten seiner Zeit, war deswegen so konzipiert, dass ein Minimum an Stahl mit einem Maximum an Beton verbunden wurde, in einem Konzept, das zugleich hohe ästhetische Ansprüche erfüllen sollte."
Unfassbar viel Zement wird verbaut
Die Konsequenz besteht darin, dass bis heute unfassbar viel Zement verbaut wird, doppelt so viel, erklärt Steinfeld, wie in Deutschland. Ein großes Problem liegt in den Privatisierungen der Transportwege, so auch der Autobahnen, was ein Versuch war, das Land zu entschulden, um die Währungsunion mit der EU zu bewerkstelligen. Gerade die ökonomischen Zusammenhänge legt Thomas Steinfeld luzide dar und erläutert die Lage Italiens, das von deutscher Seite nicht nur während der Finanzkrise beschämenderweise an seine Hausaufgaben erinnert wurde. Aber auch die klassische "bellezza" kommt in dem Band nicht zu kurz. Von Ligurien, dem ein Abstecher ins Piemont und nach Turin voransteht, geht es weiter in die Toskana, nach Florenz und Siena, von dort nach Umbrien über die Berge bis nach Rom und dann noch weiter in den Süden nach Kampanien, Neapel, Apulien und Sizilien.
Man erfährt vieles, was sehr erhellend ist. Der faszinierende, eigentümlich abschüssige zentrale Platz in Siena hat nichts von seiner architektonischen Herrlichkeit eingebüßt. Wie weit es mit der Touristifizierung und Musealisierung der stolzen Toskana schon gekommen ist, lässt sich allerdings daran ablesen, dass zwei Drittel aller angrenzenden Häuser einem Unternehmer aus Kasachstan gehören. Dieser obskure Investor hat auch die Markenrechte an der traditionsreichen Bäckerei Nannini erworben, deren Tochter, was Steinfeld unerwähnt lässt, übrigens Gianna Nannini ist, während es sich bei dem Sohn um den bekannten Formel-1-Rennfahrer Alessandro Nannini handelt. Warum weder der Autonarr noch die Frau mit der rauen Stimme und Hits wie "Bello impossibile" die Pasticceria im Familienbesitz behielten und wieso der allseits geschätzte und unternehmerisch sehr begabte Vater Danilo überhaupt Pleite ging, wäre eine eigene Geschichte wert gewesen. Manchmal hätte Steinfeld ein bisschen mehr ins Erzählen kommen können, ein paar Informationen weniger und ein größerer Gefallen am Fabulieren wären der Lektüre entgegengekommen, denn wie kaum ein anderes Land besteht Italien vor allem aus Geschichten, die man von morgens bis abends weitertratscht.
"Il bar": ritualisierte Flüchtigkeit
Musik ist dafür mehrfach Thema in Steinfelds Buch. Der Autor schildert die Gepflogenheiten beim Schlagerfestival von Sanremo, das bis heute ein Gradmesser der gesellschaftlichen Stimmung ist. Oder er zeichnet die Geschicke einer Akkordeonfabrik nach, die in den Marken ihre Produktionsstätte hatte und auch Orgeln herstellte, die hießen wie die Firma: Farfisa. Bei einem Auftritt von Pink Floyd in Pompeji 1971 für einen Musikfilm kam eine Farfisa zum Einsatz. Aber die Fabrik der legendären Instrumente ist längst geschlossen, das Erbe wird von einem melancholischen Klavierbauer gehütet. Es sind Trouvaillen wie diese, die den Reiz von Steinfelds Buch ausmachen, das Zusammenspiel von Kulturgeschichte und Ökonomie, von Kunst und Handwerk, von Pinocchio und Fiat, von Fahrraddynamo und Giotto. Und nebenbei dekliniert der Autor auch Orte des italienischen Alltagslebens durch, an denen immer so etwas wie Vergesellschaftung passiert. Das ist nicht nur die Piazza und der Corso, auf dem man allabendlich zu mehreren promeniert, das ist vor allem und immer wieder: "il bar", wo jeder mehrfach pro Tag vorbeischaut.
"Die gewöhnliche italienische Bar ist dagegen ein Ort für Passanten, die auf ihren Wegen innehalten, nicht nur, um sich am Tresen kurz aufzumuntern, sondern auch, um öffentlich präsent zu sein. Die Lage zeichnet sich durch das fließende Ineinander des Gehens und Stehens aus, wobei der Tresen zu einem Ort der plötzlichen Intimität wird, über Klassengrenzen hinweg. Sie entfaltet sich zwischen dem Barista, einem Menschen in erhabener Position und dem Dirigenten aller Bewegungen, und den Kunden, genauso aber zwischen den einzelnen Passanten, die hier einkehren. Die Kaffeemaschine ist innerhalb der vielen, sich gleichzeitig vollziehenden Handlungen innerhalb der Bar der dialektische Apparat, der das ganze Unternehmen zusammenhält: einerseits schwer, ortsfest, oft noch alt und dekoriert auf der Vorderseite, andererseits ein Generator von Beweglichkeit (weswegen es sinnlos ist, eine solche Maschine zu Hause zu betreiben)."
Indische Milchwirtschaft
Immer wieder erläutert Steinfeld die Mechanismen der italienischen Gesellschaft: den Klientelismus, die Notwendigkeit, einer Gruppe anzugehören, die Skepsis Institutionen gegenüber, die Allgegenwart informeller Beziehungen, die aber auch eine große Widerständigkeit entfalten und das soziale Gefüge des Landes festigen. Dass die Tomatenernte in großen Teilen nur noch mit dem kriminellen System des "caporalato" und einem Subproletariat aus rechtlosen Einwanderern zu bewältigen ist, wodurch dem Staat 1,8 Milliarden Euro an Steuern verloren gehen, erfährt man ebenso wie Details über die Praktiken in den chinesischen Sweatshops von Prato für die Produktion von Billigmode. Interessant sind auch die Ausführungen zur Milchwirtschaft in der Emilia Romagna, die längst in den Händen der Sikhs liegt. Die indische Community, eine der größten Europas, stellt das Personal für diesen Bereich, auf den so uritalienische Produkte wie der Parmesan angewiesen sind.
Natürlich ist auch Neapel ein längeres Kapitel wert, das bis in den labyrinthischen Untergrund der Stadt führt und die Erfolgsautorin Elena Ferrante miteinbezieht, zu der Thomas Steinfeld ein ambivalentes Verhältnis hat. In den Bann schlägt ihn die volkstümliche Religiosität der Stadt, und eine seiner Reisen führt ihn später an den Wallfahrtsort San Giovanni Rotondo, wo der tief verehrte Padre Pio seine Wirkungsstätte hatte. Der Mann mit den Wundmahlen, die nie verheilten, wurde 2002 heiliggesprochen, sein Konterfei ziert in ganz Süditalien die Wände. Padre Pio war ein Heiliger, der den Anforderungen der modernen Medienwelt entsprach und sogar per Fernsehen Wunderheilungen vollbrachte. Außerdem beherrschte er die Kunst der sogenannten Bilokation – er konnte an zwei Orten gleichzeitig sein. Seine Popularität beschert San Giovanni Rotondo einen nie versiegenden Besucherstrom, Millionen von Pilgern hoffen auf Erleuchtung.
In leichtfüßig komponierten Kapiteln tastet Thomas Steinfeld also die Physiognomie seines Gastlandes ab und ergründet es in seinen Erscheinungsformen. Modell für seine Art der Annäherung sind die Italien-Bücher von Peter Kammerer und Ekkehart Krippendorf, die Expeditionen von Guido Piovene und Guido Ceronetti, Pier Paolo Pasolinis Autotour in den Süden und etliche andere Werke, die er in einer ausführlichen kommentierten Bibliographie am Ende aufführt. An jedem Ort, an dem sich Steinfeld aufhält, entdeckt er etwas, das typisch ist für jene Gegend – und da Italien so vielfältig ist, kann er uns die verschiedensten Dinge bieten. Es gibt Ausführungen zur Küche und der Slow-food-Bewegung, zum Barock und zu Don Camillo und Peppone. Rennräder mit ihren klickenden Schaltungen kommen ebenso vor wie der Alfa Romeo und der Fiat. Dabei stößt auch der italiengestählte Leser immer wieder auf Neuland. Denn wer fährt schon nach Tarent, um die Schwerindustrie zu besichtigen?
Wüstenkathedrale – ein Stahlwerk am Golf von Tarent
"Die Fabrik am Golf von Tarent, das größte Stahlwerk Europas und eines der größten der Welt, steht immer noch da, eine ‚cattedrale del deserto‘ (‘Wüstenkathedrale‘) auf einer Fläche von etwa fünfzehn Quadratkilometern. Unmittelbar beschäftigt sind dort mindestens zehntausend Menschen, ungefähr doppelt so viele Arbeiter sind für andere Firmen im Stahlwerk tätig, oder sie kümmern sich im Hafen um das Verladen der Rohstoffe. […] Die Fabrik erscheint heute größer denn je. Von der Stadt Tarent ist noch lange nichts zu sehen, wenn das Stahlwerk, ‚Ilva‘ mit Namen, schon am Horizont zu erkennen ist: an Dutzenden, wenn nicht Hunderten von rot-weiß gestreiften Schornsteinen, vor allem aber an zwei gigantischen Hallen, die in den Jahren 2017 bis 2019 gebaut wurden, um die bislang offenen Lager für Eisenerz und Kohle zu überdachen. Fast achtzig Meter hoch sind diese Hallen, fast siebenhundert Meter lang, so groß wie fünfzig Fußballfelder, und man sieht sie von überall, von den Olivenhainen an den Hängen der Terra delle Gravine wie vom historischen Zentrum Tarents zwischen den ‚beiden Meeren‘, der offenen See und der Lagune. Eine eigene Stadt könnte man unter diesem Dach unterbringen, eine Stadt neben dem Stahlwerk, neben der Arbeitersiedlung Tamburi, eine Stadt gegenüber der Altstadt mit der Cattedrale die San Cataldo, dem Dom aus dem 11. Jahrhundert."
Vierzig Prozent des italienischen Stahls entstehen in Tarent. Das Werk wurde Mitte der neunziger Jahre privatisiert, soll aber an den Staat zurückgegeben werden, was in der aktuellen Regierung zu Verwerfungen führt, denn die Umweltbelastung ist enorm. Es existiert kein offizielles Krebsregister, doch Atemwegserkrankungen treten hier doppelt so häufig auf wie anderswo, und Thomas Steinfeld beschreibt, wie Stürme von rotem Staub mehrmals im Monat zu Schulschließungen führen. Ob das apokalyptische Panorama von Tarent oder das verzauberte von Matera, Landschaftsbeschreibungen kommen bei Steinfeld unzählige vor. Es gibt üppige, karge, dürre, bewohnte und unbewohnte Landschaften. Auch der nebligen Po-Ebene sind etliche Seiten gewidmet, woraus sich in der Verknüpfung mit den Filmen Antonios ein stimmungsvolles Bild ergibt. Dann und wann haben nicht nur Helden der Literatur oder des Kinos, sondern auch mehr oder weniger bekannte italienische Geistesgrößen ihren Auftritt. An Umberto Eco wird erinnert, der Kunsthistoriker Tommaso Montanari ist bei einem Spaziergang Steinfelds Begleiter, der Slow-food-Erfinder Carlo Petrini wird besucht, ebenso grüßt der Mitteleuropäer Claudio Magris aus einer triestinischen Windböe. Dennoch ist es das, was in diesem schönen Italienbuch ein bisschen zu kurz kommt: die Italiener an sich und ihre Beziehungen untereinander. Die komplex ineinander verzahnten Familienverbände, die Clans und Sippen. Sie werden zwar als eine Ausprägungsform der Gesellschaft benannt, aber nicht erkundet.
Schönheit ist etwas Zufälliges
Ebenso schmerzlich vermisst man etwas anderes: ein Kapitel über die Coronakrise. Denn kaum etwas hat Italien in den letzten Jahrzehnten mehr gezeichnet als die dramatische Lage in diesem Frühjahr. Dieses Versäumnis kann man dem Autor nicht vorwerfen – sein Buch war längst fertig, seine Zeit in Italien abgelaufen, als das Virus sich mit rasender Geschwindigkeit in der Lombardei ausbreitete und den Alltag veränderte, wie es seit hundert Jahren nicht mehr passiert war. Die Folgen, auch für das traditionell so enge Generationenverhältnis, werden erst in den nächsten Monaten und Jahren zu überblicken sein. Entschädigt wird man bei Steinfeld mit der Diagnose eines anderen Virus, das Venedig zu unterhöhlen droht: schrankenloser Tourismus. In diesem Kapitel wird die Betroffenheit des Autors spürbar, denn allein zwischen 2013 und 2018 verlor die Lagunenstadt etliche alteingesessene Einwohner und wandelte sich immer stärker in einen Themenpark für zahlungskräftige Besucher, die ihre Umgebung nach der Instagram-Tauglichkeit bewerten.
"Es war ein ungeheures Erlebnis, anfangs, beim Einschlafen nur das sanfte Plätschern des Wassers im Kanal zu hören, ein paar Schritte auf der nahegelegenen Brücke und sonst nichts, kein Autoverkehr, allenfalls in der Ferne das Brummen einiger Schiffsdiesel. Wir waren die einzigen Ausländer in einem Palazzo, der nach alter venezianischer Manier in viele Wohnungen geteilt ist, zu denen jeweils ein eigener Zugang führt. Auch in den beiden Häusern gegenüber wohnten nur Italiener, die meisten davon ältere Damen mit kleinen, dicken Hunden, deren Ausscheidungen auf den Gassen lagen. Als wir Venedig im Frühjahr 2018 verließen, war keine von diesen Damen mehr da. Ihre Wohnungen waren in vorübergehende Heimstätten für Touristen verwandelt worden, die zu hohen Preisen für ein paar Tage oder Wochen vermietet werden. Mit den Damen verschwand auch die Infrastruktur, die man für ein gewöhnliches Leben braucht: der Bäcker und der Gemüsemann, der Fischhändler und die schlichte, von zwei Sizilianern betriebene Pizzeria."
Venedig - ein Produkt ohne eigenes Leben
So wandelt sich Venedig in ein Produkt, in eine Kulisse ohne jedes eigene Leben, in einen seelenlosen Ort ohne Kern. Thomas Steinfeld liefert mit seinem Buch kulturgeschichtlich gesättigte Reportagen, die vor allem die verschiedenen Landstriche und Milieus erkunden. Ihm gelingt tatsächlich ein Porträt, wie es der Untertitel verspricht: Eine Serie von Nahaufnahmen mit Licht und Schatten. Er will Italien wirklich begreifen und sich nicht mit der Entfremdung zwischen Deutschland und dem Süden zufriedengeben. Sehr sympathisch ist sein Werben um Verständnis für die komplizierte wirtschaftliche Lage des Landes, die auf einer differenzierten ökonomischen Analyse beruht. Und zwischendurch kann man sich in die Kapitel über das "buon governo", die gute Regierung in der Toskana des Trecento versenken. Bisher hat das Land immer wieder ungeahnte Ressourcen zu aktivieren gewusst. Hoffentlich können wir bald wieder hinfahren.
Thomas Steinfeld: "Italien. Porträt eines fremden Landes"
Rowohlt.Berlin Verlag, Berlin. 448 Seiten, 25 Euro.
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