Ein Projektvertrag hat klare Zielvorgaben, die in einer bestimmten Zeit erreicht werden sollen. Und die englische Fußball-Nationalmannschaft, seit 58 Jahren ohne Titel, hat mit Thomas Tuchel den perfekten Manager für ihr nächstes Projekt verpflichtet: Der Deutsche soll mit England die WM 2026 gewinnen.
Um das Ganze zum Erfolg zu führen, hat Tuchel ab Januar 18 Monate Zeit. Es ist ein Projektvertrag, nicht mehr, nicht weniger. Mit dem sich der englische Fußballverband wohl auch absichert, falls es mit Tuchel doch nicht passen sollte – vor allem menschlich.
Bei Tuchel knallt es schon mal mit den Vorgesetzten
Denn das Risiko besteht – Tuchel war in letzter Zeit kein Mann für langfristige Jobs. Zwischen dem Alpha-Trainer und seinen Alpha-Vorgesetzten wie Hans-Joachim Watzke beim BVB oder Uli Hoeneß und Co. bei Bayern München hat es immer wieder geknallt.
23 Monate saß Tuchel in Dortmund auf der Trainerbank, danach immerhin knapp 30 Monate in Paris, aber anschließend nur 19 beim FC Chelsea und nicht einmal volle 15 Monate beim FC Bayern. Da wirkt der Vertrag über 18 Monate in England jetzt nur konsequent. Bei jeder Station gab es schließlich irgendwann Streit mit der Führungsetage.
Southgate und England hatten sich entliebt
Und ja, Tuchel konnte stur sein – aber das konnten seine Vorgesetzten auch. Sollte der englische Verbandsboss Mark Bullingham nun also tatsächlich bereit sein, Tuchel freie Hand zu lassen, könnte aus diesem Projektvertrag eine langfristige Arbeits- oder sogar fußballromantische Liebesbeziehung werden.
Denn gerade diese gab es zwischen den Briten und Gareth Southgate, dem letzten englischen Nationaltrainer, nicht.
Denn gerade diese gab es zwischen den Briten und Gareth Southgate, dem letzten englischen Nationaltrainer, nicht.
Englands Fußballfans regten sich bei der EM trotz der Finalteilnahme über den passiven Spielstil von Southgate auf – und das mit einer Mannschaft voller Superstars. Die Fans sehnen sich nicht nur nach einem Titel, sondern dieser soll bitteschön auch mit dominantem Angriffsfußball geholt werden.
Tuchel wird zumindest in manchen Teilen Englands schon als brillanter Taktiker geschätzt. Er hat gezeigt, dass er mit einem Kader voller Superstars umgehen und sie auf ein Turnier mit K.o.-Runde einstellen kann. Mit dem FC Chelsea aus London gewann er 2021 die Champions League. Daran erinnern sich auch noch viele englische Fans.
Diskussion um Ausländer als Nationalcoach
Einige englische Boulevard-Blätter dürften das vergessen haben, wenn sie titeln, dass nur Engländer Nationaltrainer werden sollten, weil sie das Land angeblich am besten kennen. Die „Daily Mail“ stellte Tuchel, erst der dritte Ausländer überhaupt auf dem Posten, als Söldner ohne Verbindung zum englischen Fußball hin. Selbst Gary Lineker, englisches Fußball-Idol, meinte, der Trainer der Nationalelf sollte doch lieber aus England kommen.
Dieses patriotische Gefasel ist nicht nur zum Gähnen langweilig, sondern auch respektlos und ignorant gegenüber Tuchel – der sich immer wieder begeistert über das Leben auf der Insel und den englischen Klubfußball geäußert hat.
Klar ist, dass Tuchel seine Kritiker überzeugen muss – als Bayern-Trainer reagierte er oft dünnhäutig auf Gegenwind aus den Medien, wenn es nicht lief. Bei der berüchtigten englischen „Yellow Press“ muss sich Tuchel – gerade als Trainer der englischen Nationalmannschaft – wohl dringend ein dickeres Fell zulegen, um den Projektvertrag zu überstehen. Und wenn schnell die ersten Erfolge in Testspielen, der Nations League oder WM-Qualifikation kommen, könnte aus dem Ganzen auch eine langfristige Liebesbeziehung werden.