Thorsten Frei, Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, hat mit einem Gastbeitrag in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" am 18. Juli 2023 eine weitere Debatte über europäische Flüchtlingspolitik ausgelöst. Was betrachtet Frei als Kernproblem und welche Lösungen soll es stattdessen geben?
Welche Probleme sieht Frei?
In dem "FAZ"-Artikel beschreibt Frei seine Sicht auf die Asylpolitik unter anderem folgendermaßen:
„Wir machen uns mit Autokraten gemein, damit sie Menschen von unseren Grenzen fernhalten, und sehen weg, wenn Staaten zu illegalen Zurückweisungen an den EU-Außengrenzen schreiten. Damit möglichst wenig Menschen ihr Recht in Anspruch nehmen, knüpfen wir es an die Voraussetzung eines Antrages auf europäischem Boden und initiieren damit einen viel zu oft tödlich verlaufenden Wettlauf, in dessen Rahmen nur eines gilt: das Recht des Stärkeren.“
Rückendeckung von Merz
Soll heißen: Vor allem junge Männer schaffen es, in Europa einen Asylantrag zu stellen. Die wirklich Schutzbedürftigen bleiben außen vor. Sein Vorschlag ziele darauf ab, „im Grunde unhaltbare Zustände hier in Europa im Bereich der Migrationspolitik“ zu lösen, sagt Frei im Dlf-Interview.
Aus der Union bekommt der Politiker Rückendeckung, vor allem von CDU-Parteichef Friedrich Merz. Ablehnend reagieren die Ampel-Parteien: geschichtsvergessen und realitätsfremd sei die Idee. Linke und AfD äußern ebenfalls Kritik.
Welche Vorschläge zum Asylrecht macht Frei?
Der Vorstoß des CDU-Politikers sieht vor, jährlich 300.000 bis 400.000 Flüchtlinge im Ausland auszuwählen – zum Beispiel durch das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR – und in Europa zu verteilen. Das Recht des Einzelnen auf Asyl, wie es in Artikel 16a des Grundgesetzes steht, soll demnach entfallen.
Nach Freis Überzeugung muss in Europa gehandelt werden, da das Migrationsrecht „weitgehend vergemeinschaftet“ sei. Tatsächlich gibt es kein europäisches Asylrecht, sondern viele Vorschriften: zur Prüfung von Schutzansprüchen oder zur Verteilung von Flüchtlingen. Frei möchte, dass hier „die Grundlagen in sämtlichen europäischen Richtlinien und Verordnungen" angefasst werden.
„Mein Vorschlag würde einen Paradigmenwechsel bedeuten", betont Frei. Über ein Kontingent für Schutzbedürftige einerseits und über Fachkräftezuwanderung andererseits würde die Migration begrenzt, gesteuert und geordnet.
Welche Positionen sind besonders umstritten?
Als „unterkomplex“ bezeichnet der SPD-Politiker Helge Lindh Freis Vorschlag. So habe die Idee der Kontingente „einen riesigen Haken“: Es dauere momentan „ewig“, schutzbedürftige Menschen zu identifizieren. Bevor sie kommen könnten, seien sie „im Zweifelsfall schon tot oder Opfer von Verfolgung und Folter“ geworden.
Freis „Paradigmenwechsel“ würde die Situation für Schutzbedürftige also „viel schlechter“ machen, ihnen weniger Perspektiven bringen und nur darauf abzielen, „Zahlen zu reduzieren“.
Lindh sieht in Freis Idee zudem einen „grundlegenden Verstoß gegen diverse rechtliche Grundlagen“.
Die Genfer Flüchtlingskonvention ist die Grundlage
Europäische Regelungen fußen auf dem Völkerrecht. Darauf weist Dlf-Chefkorrespondent Stephan Detjen hin: „Wer das Recht auf eine individuelle Prüfung von Asylanträgen an den europäischen Außengrenzen abschaffen will, muss zuvor die Genfer Flüchtlingskonvention aufkündigen.“ Diese enthält ein Rückführungsverbot. Danach dürfen Schutzsuchende in kein Land zurückgewiesen werden, in dem ihnen Verfolgung droht. Das erfordert eine Einzelfallprüfung.
Auch der Jura-Professor Daniel Thym betont, dass ein Abschiebeverbot weiter existierte, selbst wenn man die Genfer Flüchtlingskonvention änderte:
„Internationale Gerichte legen die Menschenrechte so aus, dass eine Rückführung auch dann illegal ist, wenn keine Verfolgung aus politischen oder religiösen Gründen droht, wohl aber schwerste Menschenrechtsverletzungen“, schreibt Thym in der FAZ. Davon profitierten nach Rechtsprechung des Straßburger Menschenrechtsgerichtshofes sogar jene, „denen bei einer Abschiebung eine existentielle Notlage bei extremer Armut droht“.
"Effektiver Grenzschutz"
Der CDU-Politiker Frei argumentiert, dass man die Anforderungen der Genfer Flüchtlingskonvention auch im Wege von Kontingenten erfüllen könne. „Das machen im Übrigen auch die meisten Länder in der Welt so“, sagt er. Und: „Im Regelfall ist Europa von Ländern umgeben, in denen den Menschen gerade keine Verfolgung droht.“ Im Kern gehe es um „effektiven Grenzschutz“.
Welche Ansätze für eine humanere Asylpolitik sehen Kritiker?
Defizite in der jetzigen Asylpolitik beklagt auch der SPD-Politiker Lindh. Wegen der scharfen Visa-Regelungen der EU könne man "kaum anders als irregulär“ einreisen. Menschen, die wirklich Schutz durch das Asylrecht benötigen, hätten "schlechte Chancen“.
Zudem kritisiert Lindh "einseitige" Abkommen wie mit der Türkei oder Tunesien, die gegen Geld Flüchtlinge aufhalten sollen: „Die EU ist notorisch erpressbar.“ Faire Partnerschaften böten dagegen auch Möglichkeiten legaler Einwanderung. Er sieht sich darin mit dem Migrationsexperten Gerald Knaus einig.
"Es fehlen Vereinbarungen"
„Das echte Problem ist, dass wir es nicht schaffen derzeit, die Migrationsabkommen zu schließen, die wir brauchen“, sagte Knaus im ARD-„Morgenmagazin“. Freis Vorschlag würde an der aktuellen Situation nichts verbessern. Es fehlten Vereinbarungen, um Ausreisepflichtige aus der EU zurückzubringen.
Der SPD-Politiker Lindh fordert, individuelles Asylrecht mit Aufnahmeprogrammen zu kombinieren, Migrationsabkommen zu schließen und vor allem Solidarität in Europa zu üben.
bth, epd, dpa, KNA