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Wege zum deutschen Pass
Frei (CDU): Einbürgerungen nach fünf Jahren Aufenthalt verfrüht

Einbürgerungen schon nach fünf Jahren zu ermöglichen, sei der falsche Ansatz für Integration, sagte der Unions-Politiker Thorsten Frei im Dlf. Der Gastarbeitergeneration den Weg zur Einbürgerung zu erleichtern, sei aber ein richtiger Schritt.

Thorsten Frei im Gespräch mit Panajotis Gavrilis |
Porträtaufnahme von CDU-Politiker Thorsten Frei
Thorsten Frei ist Parlamentarischer Geschäftsführer der Unions-Fraktion im Bundestag (picture alliance / Geisler-Fotopress / Frederic Kern / Geisler-Fotopress)
Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsbundestagsfraktion, Thorsten Frei, zeigt sich offen für die Ampel-Pläne, Menschen der sogenannten Gastarbeitergeneration den Zugang zur deutschen Staatsangehörigkeit zu erleichtern. Das sei kein Punkt, den er jetzt kritisieren würde. Im Gegenteil: „Ich finde, wenn es um Menschen geht ab dem 67. Lebensjahr, dann ist es angezeigt, wenn sie lange schon in Deutschland leben, dass man da durchaus auch undogmatische Lösungen findet, dass man pragmatisch damit umgeht“, sagte Frei im Deutschlandfunk.

Frei bekräftigt Kritik an Einbürgerungserleichterungen

Grundsätzlich bleibt Frei aber bei seiner Kritik an den Einbürgerungsplänen der Ampel-Koalition. Die Regierung will Einbürgerungen nach fünf statt wie bisher nach acht Jahren ermöglichen. Die Fristen zu verkürzen hält Frei für den falschen Ansatz: „Wir sind grundsätzlich der Auffassung, dass die Zeiten, wie wir sie heute haben, ein guter Kompromiss sind, den Interessen auch gerecht werden und ermöglichen, dass zum Abschluss einer gelungenen Integration dann eben auch die deutsche Staatsbürgerschaft steht“, sagt der CDU-Politiker. Auch das Prinzip der Mehrstaatigkeit hält Frei für falsch und sieht mehrere Staatsangehörigkeiten als Ausdruck von Integrationsproblemen. „Die doppelte Staatsbürgerschaft dauerhaft und flächendeckend hinzunehmen, das ist aus unserer Sicht nicht im Sinne einer guten Integration“, argumentiert Frei.

Frei verteidigt „Verramsch“-Rhetorik von Parteikollegen

Zudem verteidigt er die Rhetorik einiger Unionspolitiker, die in der Debatte um Einbürgerungen von „Verramschen“ des deutschen Passes gesprochen oder ihn mit einem Black Friday-Artikel im Sonderangebot verglichen hatten. „Das sei keine Polemik, sondern lediglich akzentuiert auf den Punkt gebracht, worum es geht“, sagte Frei.

Unionsfraktion nicht gespalten

Die Abweichlerinnen und Abweichler bei der Abstimmung zum „Chancen-Aufenthaltsrecht“ in den eigenen Reihen sind für Frei kein Grund zur Sorge. Die Gefahr einer Spaltung innerhalb der Unionsfraktion sieht er nicht. „Die fehlende Geschlossenheit kann ich wirklich nicht sehen“, meint der CDU-Politiker. Man sei eine große Fraktion mit 197 Kolleginnen und Kollegen und man sei sich in den wesentlichen Punkten immer einig. Umgekehrt wisse aber auch jeder, „dass unsere politische Kraft aus der Geschlossenheit kommt.“ Deswegen werde jeder sich sehr genau überlegen, warum er wann wie abstimme. „Und wir akzeptieren das ausdrücklich“, erklärt Frei.

Das Interview im Wortlaut:

Panajotis Gavrilis: Herr Frei, wir haben eine Woche hinter uns, in der die Themen Einbürgerung, Fachkräfteeinwanderung, Chancen-Aufenthaltsrecht sehr präsent waren. Alles drei unterschiedliche Dinge, die in der Diskussion gerne vermischt werden. Was sie eint, es geht um Menschen, die nach Deutschland gekommen sind und möglicherweise noch kommen.
Lassen Sie uns beginnen mit dem Thema Staatsangehörigkeitsrecht. Die Ampelregierung will die Einbürgerung nach fünf Jahren, statt bisher nach acht Jahren ermöglichen. Bei besonderen Integrationsleistungen sollen Menschen auch nach drei Jahren Deutsche werden können. Herr Frei, warum sollte nicht jemand Deutscher werden, der hier fünf Jahre rechtmäßig lebt, den Lebensunterhalt komplett sichert und Deutsch spricht und sich zum Grundgesetz bekennt?
Thorsten Frei: Die Staatsangehörigkeit ist nach unserem Verständnis immer der Abschluss einer gelungenen Integration und eben nicht der Startpunkt. Und was man auch berücksichtigen muss, es ist ja nicht so, dass das Staatsangehörigkeitsrecht isoliert für sich steht. Sondern tatsächlich ist es so, dass das Auswirkungen hat auch auf die Vorzeiten hier in Deutschland, wenn es beispielsweise um ein Daueraufenthaltsrecht geht oder auch um das System der Aufenthaltstitel insgesamt.
Und deswegen wird man sagen müssen, wenn nach fünf Jahren rechtmäßigem Aufenthalt in Deutschland die Staatsangehörigkeit steht, dann wird eben für die anderen Aufenthaltstitel es auch zu einer Absenkung der Zeiten kommen müssen. Wir sind grundsätzlich der Auffassung, dass die Zeiten, wie wir sie heute haben, ein guter Kompromiss sind, den Interessen auch gerecht werden und ermöglichen, dass zum Abschluss einer gelungenen Integration dann eben auch die deutsche Staatsbürgerschaft steht.

"Gleiche Staatsangehörigkeit verbindet Menschen"

Gavrilis: Gerade Parteikollegen von Ihnen haben in dieser Woche davon gesprochen, dass der deutsche Pass verramscht werde. Mario Czaja, ihr CDU-Generalsekretär, sagte, die Staatsangehörigkeit sei kein Artikel, den es bei Black Friday im Sonderangebot gebe. Was bringt Ihnen diese polemische Rhetorik?
Frei: Das ist keine Polemik, sondern es ist lediglich sehr akzentuiert auf den Punkt gebracht, worum es geht. Es ist zunächst einmal etwas Schönes, wenn Menschen versuchen, die deutsche Staatsangehörigkeit zu bekommen und damit sich auch als Teil der Gesellschaft fühlen. Staatsangehörigkeit, die gleiche Staatsangehörigkeit zu haben, das verbindet Menschen ja in ganz besonderer Weise, und zwar mit guten wie mit weniger einfachen Dingen. Der Staat und die Staatsangehörigkeit sind natürlich etwas Tolles, wenn der Staat als fürsorgender Sozialstaat daherkommt, als demokratischer Rechtsstaat. Oder, wenn es konsularische Hilfe im Ausland gibt.
Aber der Staat fordert ja auch von seinen Bürgerinnen und Bürgern, bis hin bei einer aktiven Wehrpflicht beispielsweise das Land und seine Verfassung und die Menschen hier bis mit zu seinem Leben zu verteidigen. Also, insofern, wir haben schon eine Solidargemeinschaft, die auf einer gemeinsamen Überzeugung, auch gemeinsamen Werten fußen muss. Und das macht es ja so notwendig, die Staatsbürgerschaft am Ende eines Integrationsprozesses zu sehen.

Grundsätzliche Hinnahme doppelter Staatsbürgerschaft "nicht im Sinne einer guten Integration"

Gavrilis: Das haben Sie jetzt schon gesagt. Aber das suggeriert ja, dass man den deutschen Pass beim Antrag am Anfang einfach so bekommt. Aber das Prinzip ist ja und bleibt ja auch gleich. Man muss für sich und seine Familie finanziell aufkommen können ohne staatliche Hilfen. Man darf keine Straftaten begangen haben und man muss Deutschkenntnisse nachweisen. Also, warum verwenden Sie diesen Begriff, das muss am Ende stehen?
Frei: Ja, weil wir das tatsächlich für richtig halten. Und das ist ja im Übrigen auch nur der eine Teil dieses Gesetzentwurfes, den die Ampel einbringen möchte. Ein anderer ist der, dass die Doppelstaatsangehörigkeit oder die Mehrstaatigkeit generell hingenommen werden soll. Und auch da haben wir ein Problem damit. Nicht, dass es viele Einzelfälle und persönliche Konstellationen gibt, wo das nicht nur naheliegend ist, sondern auch billig, eine doppelte Staatsbürgerschaft zu gewährleisten, aber sie eben dauerhaft und flächendeckend hinzunehmen, das ist aus unserer Sicht nicht im Sinne einer guten Integration.
Gavrilis: Aber Herr Frei, das ist doch längst Realität, dass Menschen zwei Staatsangehörigkeiten haben. Bei Einbürgerungen im vergangenen Jahr lag die Mehrstaater-Quote bei 69 Prozent. Also, der Grundsatz Mehrstaatigkeit zu vermeiden, den es jetzt gibt, der ist doch schon lange nicht mehr die Regel, sondern eher die Ausnahme.
Frei: Das ist nicht ganz zutreffend. Also, die Zahl, die Sie zitieren, 69 Prozent, das ist eine sehr aktuelle Zahl. Wir haben in den letzten ein, zwei Jahren tatsächlich stark gestiegene Zahlen oder Anteile bei der Mehrstaatigkeit. In der Vergangenheit lag der Anteil immer bei etwa 50 Prozent. Das ist natürlich auch …
Gavrilis: Das ist viel.
Frei: Ja, ist auch viel, aber wenn Sie sich mal international umschauen, dann werden Sie ganz unterschiedliche Konstellationen finden. Sie finden Länder, die die Mehrstaatigkeit grundsätzlich hinnehmen. Sie finden Staaten, die das nicht ermöglichen oder extrem restriktiv machen. Und es gibt Länder, die das sehr pragmatisch machen, wie Deutschland.
Beispielsweise für diejenigen, die eine andere Staatsangehörigkeit gar nicht abgeben können oder wo man aus persönlichen Gründen sagt, das ist jetzt jemandem auch nicht zumutbar, beispielsweise sich in jungen Jahren gegen die Staatsbürgerschaft der Eltern zu entscheiden. Da ist es aus meiner Sicht auch vollkommen in Ordnung. Und es sind ja auch Konstellationen, die keinen Zweifel daran aufkommen lassen, dass auch ein gewisses Maß an Identifikation da ist.
Gavrilis: Ich habe noch nicht ganz verstanden. Was haben Sie gegen die doppelte Staatsbürgerschaft? Ihr Parteikollege David McAllister, früherer Ministerpräsident in Niedersachsen, der hat den britischen und den deutschen Pass. Sagen Sie ihm das auch, dass Sie das eigentlich nicht okay finden, dass er zwei Pässe hat?
Frei: Nein, es war ja eine unionsgeführte Regierung, die es ermöglicht hat, dass deutlich häufiger auch ein zweiter Pass möglich ist. Und deswegen gibt es überhaupt keine grundsätzlichen Bedenken dagegen. Sondern es ist tatsächlich die Frage, ob man das als Normalfall flächendeckend hinnimmt. Mir fallen drei Länder ein, bei denen sie eine grundsätzliche Hinnahme der Mehrstaatigkeit haben. In Frankreich beispielsweise, in Großbritannien oder in Schweden. Alle drei Länder haben große Probleme mit der Integration der Menschen in die Gesellschaft.

Frei: Doppelte Staatsbürgerschaft könnte Integration hemmen

Gavrilis: Aber was hat das mit der doppelten Staatsbürgerschaft zu tun?
Frei: Ja, ich finde das ganz interessant, dass die Länder, die sehr, sehr restriktiv sind bei der Vergabe der doppelten Staatsbürgerschaft, diese Integrationsprobleme gerade nicht haben. Wenn ich etwa an Dänemark denke, wenn ich an Litauen denke, wenn ich an Österreich denke, da ist das vollkommen anders. Und deswegen scheint es schon eine Rolle zu spielen, ob man sich sozusagen klar zu dem Land, in dem man lebt, bekennt oder eben auch bei vielen Dingen, bis hin zum Wahlrecht, eben auch zweite Möglichkeiten hat.
Gavrilis: Ich würde einen Aspekt rausgreifen. Selbst aus der Wirtschaft gibt es Zuspruch für die Pläne der Ampelkoalition. Der Berufsverband mittelständische Wirtschaft argumentiert, der Abbau bürokratischer Hürden bei der Einbürgerung von Software-Ingenieuren und Pflegekräften könne sich langfristig als wichtiger Standortvorteil erweisen. Gerade so eine Stimme dürfte Ihnen doch nicht egal sein als CDU.
Frei: Nein, mir ist im Grunde genommen überhaupt keine Stimme egal. Ich würde zum Beispiel hier entgegnen, dass ich gerade nicht glaube, dass die Frage des Staatsangehörigkeitsrechts ursächlich ist für die Frage, ob man ein attraktives Einwanderungsland ist oder nicht. Wenn ich mir andere Länder anschaue, dann sind die Zeiten, die wir heute in Deutschland haben, dann sind die durchaus angemessen. Dann sind die durchaus im mittleren Bereich. Ich will mal ein Beispiel nennen. Deutschland hat eine schlechte Einbürgerungsquote, wenn Sie so wollen.
Gavrilis: Das sind so 2,45 Prozent.
Frei: Genau. Das ist nicht unbedingt viel. Das muss man sagen. Und die Kolleginnen und Kollegen der Ampelkoalition glauben ganz offensichtlich, dass wenn man grundsätzlich die Mehrstaatigkeit hinnimmt, dass man dann diese Quote heben könnte. Das halte ich allerdings für einen sehr formalistischen Ansatz.
In den Niederlanden beispielsweise ist es so, dass man ein sehr restriktives Staatsangehörigkeitsrecht hat, das nur in wenigen Ausnahmefällen eine doppelte Staatsangehörigkeit zulässt. Und trotzdem liegt die Einbürgerungsquote zwischen vier und fünf Prozent, also mehr als doppelt so hoch. Deshalb glaube ich, kann das eine nicht losgelöst vom anderen betrachtet werden bzw. gibt es keine zwangsläufigen Verbindungen. Damit wir ein attraktives Zuwanderungsland sind, müssen wir, glaube ich, andere Bedingungen erfüllen.
Ein Testbogen eines Einbürgerungstests wird ausgefüllt..
Nach den Plänen der Ampelregierung sollen die formalen Tests für die Gastarbeitergeneration wegfallen (picture alliance / dpa / Lino Mirgeler)

Frei: Wahlrecht nach fünf Jahren nicht unbedingt nötig

Gavrilis: Ich würde trotzdem gerne noch mal auf die Sprache zurückkommen. Sie sagen, das sei keine Polemik, wenn man von verramschen spricht, wenn man suggeriert, es gebe irgendwie bei Amazon oder anderen Anbietern die Staatsbürgerschaft zu kaufen bei Black-Friday-Angeboten. Was für Signale sendet das aus? Würden Sie gerne in ein Land einreisen und möglicherweise dort arbeiten, wenn Sie solche Töne aus diesem Land bekommen, wo im Prinzip gesagt wird, Sie sind hier nicht willkommen?
Frei: Nein. Das wird mit solchen Begriffen auch überhaupt nicht gesagt. Sondern tatsächlich ist es eben so, dass die Koalition, wenn man sich das einmal anschaut, ganz offensichtlich nach dem Motto verfährt: Deutschland hat eine niedrige Einbürgerungsquote, also senke ich die Voraussetzungen ab. Das ist also eine sehr technokratische Herangehensweise.

Frei plädiert für "pragmatischen" Umgang mit Gastarbeitergeneration

Gavrilis: Na, es geht auch um demokratische Teilhabe zum Beispiel für Menschen, die seit Jahren hier leben, Gastarbeitergeneration.
Frei: Was heißt seit Jahren? Wenn sie acht Jahre hier leben und die Voraussetzungen erfüllen, dann können sie die deutsche Staatsangehörigkeit bekommen. Also, ich finde nicht, dass wenn jemand fünf Jahre in einem Land lebt, dass das dann automatisch auch zum Wahlrecht führen muss.
Gavrilis: Ich habe es gerade angesprochen. Die sogenannte Gastarbeitergeneration. Sie soll einfacher die deutsche Staatsangehörigkeit bekommen, also, die Menschen, die damals eingereist sind. Sollten Menschen aus dieser sogenannten Gastarbeitergeneration einfacher Deutsche werden können, auch als Anerkennung für ihre Leistung? Sie haben ja immerhin dieses Land mitaufgebaut.
Frei: Ja, das ist auch ein Punkt in diesem Gesetzentwurf. Ich muss ganz ehrlich sagen, ich finde, wenn es um Menschen geht ab dem 67. Lebensjahr, dann ist es angezeigt, wenn sie lange schon in Deutschland leben, dass man da durchaus auch undogmatische Lösungen findet, dass man pragmatisch damit umgeht.
Gavrilis: Also, Sie sind dafür?
Frei: Und deswegen ist das kein Punkt, den ich jetzt kritisieren würde. Auf der anderen Seite muss man natürlich schon sagen, dass wenn jemand über Jahrzehnte hinweg in Deutschland gelebt hat und eine einfachste Sprachprüfung nicht besteht, zeigt das natürlich auch, dass die Integration ganz offensichtlich nicht vollständig geglückt ist.
Gavrilis: Ja, okay, man argumentiert da ja, dass gerade Menschen aus der Gastarbeitergeneration, dass man damals eben …, dass es keine Sprachangebote gab, und dass es ja eben nicht möglich war für viele Menschen, auch Deutsch zu lernen. Ich würde einen Aspekt noch herausnehmen, den Sie jetzt, weil Sie haben die Verknüpfung aufgemacht, doppelte Staatsbürgerschaft und Integrationsprobleme. Ich würde da gerne dagegensetzen: Der Osnabrücker Migrationsforscher Aladin El-Mafaalani, der sagte in Bezug auf Menschen zum Beispiel mit türkischem Pass, die Chance auf eine doppelte Staatsbürgerschaft könne ihre Bindung an den deutschen Staat und seine Werte stärken – als Gegenpunkt.

Frei: Erdogan bekommt viel Zustimmung von Türken aus Deutschland

Frei: Es überzeugt mich zunächst einmal nicht. Einfach, wenn ich rein subjektiv die Wirklichkeit anschaue, ich kann mich gut daran erinnern, als der Deutsche Bundestag vor einigen Jahren eine Resolution verabschiedet hat, wo es um die Verurteilung des Völkermordes in Armenien gegangen ist. Und ich habe gesehen, wie viele Menschen türkischer Abstammung hier in Berlin unmittelbar vor dem Brandenburger Tor demonstriert haben. Ich habe nur türkische Nationalflaggen gesehen. Die Kundgebung war in türkischer Sprache. Das hat aus meiner Sicht alles nicht darauf hingedeutet, dass hier wirklich eine gelungene Integration erfolgt ist, sondern diese Menschen haben sich ganz offensichtlich stärker als Türken denn als Deutsche gefühlt.
Gavrilis: Was wäre für Sie dann eine gelungene Integration? Ich meine, wir wissen, was die türkische Gastarbeitergeneration und auch, was türkische Menschen oder Menschen mit einer türkischen Einwanderungsgeschichte für dieses Land getan haben. Also, warum nehmen Sie gerade diesen Punkt heraus, wenn es um so sensible Bereiche geht wie den Völkermord an den Armeniern? Denn das suggeriert: Die Türken sind nicht integriert.
Frei: Nein. Das will ich damit, Herr Gavrilis, ausdrücklich nicht suggerieren. Sondern ich wollte ein plastisches Beispiel nehmen, das jetzt auch eine sehr subjektive Erfahrung meinerseits war. Ich will das nicht verallgemeinern. Ich stelle aber zum Beispiel fest – auch das jetzt eine subjektive Wahrnehmung meinerseits –, dass wenn Sie die Wahlergebnisse in der Türkei anschauen, dann fällt mir auf, dass beispielsweise Präsident Erdogan, dessen Regime in den vergangenen Jahren immer autokratischer geworden ist, überdurchschnittliche Zustimmung von Türken aus Deutschland bekommen hat, mehr als von Türken aus der Türkei.
Gavrilis: Gut, aber andererseits, man redet immer sozusagen über die Menschen mit türkischer Einwanderungsgeschichte, aber man stellt diese Frage oder man kritisiert zum Beispiel nicht US-Amerikaner oder Franzosen, ob sie vielleicht Trump gewählt haben oder Le Pen-Anhänger sind.
Frei: Ich wollte Ihnen einfach zwei Beispiele geben, die sicherlich auch sehr subjektiv geprägt sind. Sie sind auch Einzelfälle. Ich will sie nicht absolut setzen. Und ich will damit vor allen Dingen nicht sagen, dass das für alle Mitbürgerinnen und Mitbürger aus der Türkei gilt. Das wäre ungerecht und das wäre falsch. Und deswegen möchte ich das ausdrücklich nicht tun. Ich wollte damit lediglich zeigen, dass Integration eben kein Selbstläufer ist, und dass insbesondere alleine die deutsche Staatsbürgerschaft eben noch nicht dazu führt, dass Integration gelingt.

Frei: Es braucht breiten, öffentlichen Diskurs

Gavrilis: Herr Frei, ich würde gerne dieses Thema noch einmal kurz abschließen. Viele Menschen, vor allem aus der migrantischen Community, sagen, diese ganze Debatte erinnere sie an Roland Koch. Herr Koch hatte im hessischen Wahlkampf 1999 Unterschriften in Fußgängerzonen gesammelt. Die Kampagne verhalf ihm dann, die Wahl auch zu gewinnen. Teilen Sie das auch? Oder würden Sie sagen, Deutschland, die Gesellschaft ist eigentlich weiter?
Frei: Nein, also wir haben eine völlig andere Situation als vor über 20 Jahren. Ich finde, dass wir eine solche Diskussion ohne Schaum vor dem Mund führen sollten. Und ich habe das auch gesagt in der Plenardebatte am vergangenen Donnerstag. Die Tonalität gefällt mir nicht, weil es wird …
Gavrilis: Aber Sie setzen ja auch den Ton, gerade Mitglieder Ihrer Partei, Ihrer Fraktion.
Frei: Nein, ich würde das so nicht sagen. Was meine ich damit? Ich meine damit, dass man grundsätzlich respektvoll miteinander umgeht und durchaus akzeptiert, dass andere vielleicht für ihre Position auch gute Argumente haben können. Nur ich hatte allerdings den Eindruck in der Plenardebatte, dass jeder, der dieses Gesetz nicht zu 100 Prozent teilt, dann automatisch rassistisch, populistisch ist, ein Vereinfacher. Ich finde, das sind Schlagworte, die der Debatte nicht helfen.
Und wir erleben ja auch, dass die Menschen bei uns im Land einen sehr differenzierten Blick darauf haben. Und es ist eines jedenfalls klar: Das, was die Ampelkoalition vorhat im Staatsangehörigkeitsrecht, das ist ein grundlegender Paradigmenwechsel. Und wenn man das möchte, dann muss man das, glaube ich, auch in einem breiten, öffentlichen Diskurs diskutieren. Dann muss man auch Argumente austauschen, bevor man solche Entscheidungen trifft. Und nur darum geht es. Wir wollen diesen Austausch an Argumenten im Parlament und in der Gesellschaft. Und dann kann man am Ende auch Entscheidungen treffen, die gesellschaftlich abgestützt sind.

Frei: Man muss auf Einhaltung der Regeln achten

Gavrilis: Herr Frei, blicken wir noch auf ein zweites großes Thema. Der Bundestag hat am Freitag das sogenannte Chancen-Aufenthaltsrecht beschlossen. Ich vereinfache das mal ein wenig – es geht darum, dass Menschen mit einer Duldung eine Art Aufenthaltserlaubnis auf Probe bekommen. Das sind dann 18 Monate, in denen man sich die Voraussetzungen erfüllen muss für einen dauerhaften Aufenthalt. Unter anderem darf man nicht straffällig geworden sein. Man muss Deutsch sprechen und die Identität muss geklärt sein. Und es gibt einen Stichtag. Also, es betrifft, ich glaube, 138.000 Menschen. Was haben Sie gegen dieses Vorhaben? Es sind Menschen mit einer Duldung, die hier sind und die nicht abgeschoben werden können. Das heißt, sie sind hier, sie bleiben hier.
Frei: Ich teile das nicht ganz. Also, zunächst einmal muss man sagen, ich war ja in der vergangenen Legislaturperiode selbst als Fraktionsvize für die Innenpolitik zuständig. Da haben wir einige Gesetze in der Großen Koalition gemacht, die insbesondere auch die besonderen Herausforderungen für langjährig Geduldete hier in Deutschland adressiert hat. Insbesondere haben wir dafür gesorgt, dass sehr schnell, nämlich nach drei Monaten, diese Menschen auch in Arbeit kommen können und damit eben auch ihr Leben hier bei uns führen können.
Wenn man sich jetzt nüchtern anschaut, worum es geht beim Chancen-Aufenthaltsrecht, dann ist es ein Bereich, der sozusagen bisher nicht umfasst war. Und zwar sind das Menschen, die keine Flüchtlinge sind, sondern abgelehnte Asylbewerber, also letztgültig, von einem Gericht häufig, jedenfalls aber von einer Behörde entschieden ist, dass die vorgebrachten Asylgründe nicht zutreffend sind. Und diese Menschen sind ausreispflichtig, reisen aber seit Jahren nicht aus.
Und da geht es eher nicht um diejenigen, die nicht ausreisen können, weil beispielsweise die Situation im Herkunftsland dies nicht ermöglicht, sondern in der Regel ist es so, dass die Rückführung deshalb nicht erfolgen kann, weil die Identität nicht geklärt ist, weil sie nicht dazu beitragen, ihre Identität zu erkunden. Und deshalb meine ich, wenn eine Rechtsordnung sich ernst nimmt, dann muss sie nicht nur auf die Einhaltung der Regeln achten, sondern sie darf vor allen Dingen die Missachtung ihrer Regeln nicht auch noch prämieren. Und genau das soll durch das Gesetz erfolgen.

"Wer die Voraussetzungen nicht erfüllt, kann nicht dauerhaft in Deutschland leben."

Gavrilis: Aber ganz konkret, es bleibt ja sehr schwer für geduldete Menschen, einen regulären Aufenthalt zu erlangen. Also, um als Geduldeter arbeiten zu dürfen, muss man eben bei der Ausländerbehörde das beantragen. Da gibt es Verzögerungen und gerade einen Job zu finden, ist doch mit einem Aufenthaltstitel als Chance wesentlich einfacher und auch Arbeitgeber bekommen die Sicherheit, wenn sie jemanden einstellen oder jemand eine Ausbildung macht, okay, ich weiß, der kann auch bleiben. Und nicht, dass die Gefahr besteht, dass da eine Kettenduldung folgt und vielleicht ist der dann morgen weg.
Frei: Also, beim Chancen-Aufenthaltsrecht geht es um Menschen, die seit fünf Jahren in Deutschland sind. Die müssen nicht fünf Jahre geduldet sein – das steht nämlich gar nicht im Gesetz drin –, sondern seit fünf Jahren hier sein. Ihren Lebensunterhalt müssen sie auch nur überwiegend selbst bestreiten, das heißt zu 51 Prozent. Die Anforderungen sind also sehr, sehr niedrig. Es geht um Menschen, die entweder aktiv über ihre Herkunft getäuscht haben oder jedenfalls …
Gavrilis: Das sind nicht alle.
Frei: Nein, oder…
Gavrilis: Von den 138.000, wie viele sind es?
Frei: Oder jedenfalls nicht aktiv dazu beigetragen haben, ihre Identität zu erkunden. Aber das ist ja die Voraussetzung von Integration, dass man auch offen ist gegenüber der eigenen Identität und der eigenen Herkunft. Und insofern muss man sagen, es ist in der Tat ein sehr, sehr kleiner Kreis.
Und, wenn Sie fragen, was ist die Alternative, ja, es gibt genau zwei Möglichkeiten, nach Deutschland zu kommen. Die eine Möglichkeit ist, man ist verfolgt und genießt einen Schutzstatus nach dem Asylrecht unseres Grundgesetzes oder auch der Genfer Flüchtlingskonvention. Und wir haben umgekehrt, wenn ich diesen zweiten Teil noch sagen darf, wir haben umgekehrt als Gesellschaft natürlich auch ein Interesse an Migration in den Arbeitsmarkt. Dass Menschen zu uns kommen, die Teil der Gesellschaft werden auf der Basis gemeinsamer Werte, hier etwas erreichen möchten und im Arbeitsmarkt auch ihr Glück finden. Dafür haben wir ein Fachkräfteeinwanderungsgesetz.
Gavrilis: Ja.
Frei: Und man muss es ganz offen sagen. Wer weder die einen, noch die anderen Voraussetzungen erfüllt, der kann eben nicht dauerhaft in Deutschland leben.

"Gerade beim Staatsangehörigkeitsrecht sehr, sehr hohe Geschlossenheit in der Fraktion"

Gavrilis: Die Bundesregierung hat diese Woche auch Eckpunkte zur Fachkräfteeinwanderung noch mal vorgestellt. Ich würde aber ganz kurz noch mal auf einen Punkt eingehen beim Chancen-Aufenthaltsrecht. Denn die Kritik, die Sie formulieren, die teilen einige aus Ihrer Fraktion nicht. Bei der Abstimmung haben sich 20 Abgeordnete enthalten, statt wie die übrige Fraktion dagegen zu stimmen. Und darunter sind Abgeordnete, die nicht ganz unbekannt sind. Hermann Gröhe, Serap Güler, Armin Laschet, Roderich Kiesewetter. Wie erklären Sie sich das?
Frei: Na ja, also, wir sind eine große Fraktion mit 197 Kolleginnen und Kollegen. Und wir sind uns in den wesentlichen Punkten unserer Politik immer einig. Das kann man am Abstimmungsverhalten sehr gut ablesen. Wir waren uns im Übrigen auch in diesem Fall einig, dass dieses Gesetz jedenfalls so ist, dass es nicht unsere Zustimmung verdient. Es gab also keine Kollegin, keinen Kollegen …
Gavrilis: Aber es gab persönliche Erklärungen. Sie haben einen Brief geschrieben und gebeten, geschlossen dagegen zu stimmen. Es gibt Unmut in der Fraktion.
Frei: Nein. Nein, das gibt es nicht. Ich habe auch nicht gebeten, sondern ich habe darauf hingewiesen, was die Empfehlung der zuständigen, federführenden Arbeitsgruppe ist und des Fraktionsvorstandes. Und damit weiß dann jede Kollegin und jeder Kollege umzugehen. Wir haben ein freies Mandat. Und wir pflegen das bei uns in der Fraktion auch. Umgekehrt weiß natürlich auch jeder, dass unsere politische Kraft aus der Geschlossenheit kommt. Deswegen wird jeder sich sehr genau überlegen, warum er wann, wie abstimmt. Und wir akzeptieren das – ausdrücklich.
Gavrilis: Man könnte auch sagen, die Union hat eigentlich in diesem Bereich keine geschlossene Meinung, was Migrationspolitik angeht. Man sieht auch das zum Beispiel beim Staatsbürgerschaftsrecht. Auch dort könnte es ja sein, dass diese Menschen, die sich enthalten haben bei dem Chancen-Aufenthaltsrecht, dass diese Debatte, dass das ja erst der Anfang ist. Befürchten Sie – wir hatten das ja 2018 auch da. Da gab es den Streit zwischen CDU und CSU. Befürchten Sie fraktionsintern einen Streit, möglicherweise auch eine Spaltung?
Frei: Nein. Das fürchte ich überhaupt nicht. Ich bin im Übrigen auch sicher, dass gerade beim Staatsangehörigkeitsrecht es eine sehr, sehr hohe Geschlossenheit in der Fraktion gibt. Wir haben natürlich in dieser Woche auch miteinander diskutiert. Wir haben auch darüber diskutiert, dass einzelne Bestandteile dieses Gesetzes von einigen Kollegen eben durchaus als nachvollziehbar angesehen werden. Das haben Sie gerade eben selbst referiert. Diese Kollegen haben in ihren Wortmeldungen aber immer darauf hingewiesen, dass sie es beim Staatsangehörigkeitsrecht, dass sie das als etwas völlig anderes sehen und deswegen auch zu anderen Schlüssen kommen.
Nichtsdestotrotz, Sie haben Recht, das sind jetzt mal drei entweder Gesetzesvorhaben oder avisierte gesetzliche Regelungen in dieser Woche gewesen. Wir werden absehbar mit weiteren Vorschlägen im Bereich des Migrationsrechts zu tun haben. Und wir werden natürlich bei uns in der Fraktion sehr intensiv diese Punkte auch miteinander diskutieren, und zwar sowohl die eigenen Vorschläge, die wir haben, wie auch die Vorschläge, die mutmaßlich aus der Koalition kommen.
Und dann werden wir diese Dinge miteinander diskutieren und dann wird es immer so sein, dass man auch versucht zusammenzubleiben, gemeinsam zu agieren, selbst dann, wenn man sich vielleicht in der Fraktion nicht durchsetzen kann. Aber klar ist auch, die Frage, ob ein politisches Thema für einen Abgeordneten eine Gewissensfrage ist, das kann nicht die Fraktionsführung entscheiden, sondern das entscheiden die Kollegen für sich.

Frei: Migration ist Sachfrage und keine Gewissensfrage

Gavrilis: Aber Herr Frei, hier geht es doch um einen zentralen Punkt, nämlich Migration, Integration. Das ist ein Thema, da geht es ja nicht um Gewissen, sondern da geht es um eine politische Richtung. Und die Union ist hier anscheinend nicht geeint.
Frei: Ich teile Ihre Einschätzung. Aus meiner Sicht ist es eine Sachfrage. Nichtsdestotrotz habe ich festzustellen, dass für den einen oder anderen meiner Kollegen das eine Gewissensfrage ist. Und dann habe ich das auch zu akzeptieren. Das entscheidet nämlich jeder für sich, ob es für ihn eine Gewissensfrage oder eine Sachfrage ist. Die fehlende Geschlossenheit, die kann ich wirklich nicht sehen. Migrationspolitik ist ausgesprochen vielfältig. Und deswegen, glaube ich, muss man schon annehmen, dass es da eben auch eine sehr differenzierte Herangehensweise gibt.