Einer zog eine spindeldürre, nadellose Fichte hinter sich her. Zwei andere rollten eine überdimensionale Weltkugel. Viele trugen Blumen. Die meisten Männer sahen wild aus, die Gesichter halb verdeckt durch eine lange Mähne und kaum gestutzte Vollbärte. Die Frauen kamen ungeschminkt daher, viele in langen, wallenden Kleidern und Gesundheitsschuhen. Es war ein trüber Vormittag am 29. März 1983 als die merkwürdige Prozession vom Bonner Hofgarten die Kaiserstraße hinunter Richtung Regierungsviertel zog.
Es waren die ersten grünen Bundestagsabgeordneten, die von ihren Basis-Mitgliedern zur konstituierenden Sitzung des neuen Bundestages begleitet wurden. Mit dieser Szene beginnt Ludger Volmer sein Buch über die Geschichte der Grünen. Dabei ist es eigentlich nicht der Anfang, sondern schon ein bedeutendes Etappenziel (Dlf, Hintergrund). In den 70er-Jahren entstanden aus Bürgerinitiativen und sozialen Bewegungen, hatten die Grünen es 1980 geschafft, sich eine Struktur zu geben, zur Partei zu werden, wenn auch, so wollten sie es selbst – einer Anti-Parteien-Partei.
Von Anfang an mitten drin und als treibende Kraft dabei: Ludger Volmer. Sohn eines CDU-Bundestagsabgeordneten, später unter anderem Fraktionssprecher, Parteichef, Staatsminister unter Außenminister Fischer – und immer wieder Kopf und Taktiker hinter vielen richtungsweisenden Entscheidungen innerhalb der Partei. 2005 musste er von allen politischen Ämtern zurücktreten, weil er wegen einer Nebentätigkeit als Berater für die Bundesdruckerei ins Blickfeld der Öffentlichkeit geraten war. Der Vorwurf: Er habe sein politisches Mandat und private Tätigkeiten vermischt. Was Volmer stets zurückgewiesen hat.
Er habe gezögert, schreibt er, als er das Angebot erhielt, in einem Buch Bilanz zu ziehen, denn er war gerade dabei, die Partei, die ihm 2005 nicht beigestanden hat, innerlich hinter sich zu lassen.
"Das war nicht der Abschied, den man sich wünscht, wenn man 25 Jahre an verantwortlicher Stelle tätig war. Auf der anderen Seite haben mich dann viele Freunde bekniet und gesagt, du musst das aufschreiben und weitergeben an Leute, die die ganze Vorgeschichte nicht kennen. Und so habe ich mich dann durchgerungen und die Anfrage dann angenommen."
Sein Anspruch: Eine subjektive Chronik sollte es werden.
Keine Autobiografie, aber natürlich durchwirkt von eigenen Erlebnissen und Bewertungen, gleichzeitig auch sozialwissenschaftlich reflektiert.
Volmer hat sein Buch in sieben Teile gegliedert. Er spannt den Bogen von den Vorläufern, über die Gründung, den Einzug in den Bundestag, den Absturz, das Comeback, Rot-Grün, und blickt zum Schluss auf das heutige Fünf-Parteiensystem und die zukünftige Rolle der Grünen.
Diese thematische Aufteilung macht einerseits Sinn, weil sie Ereignisse und Entwicklungen im richtigen Kontext erklärt, andererseits folgen daraus zeitliche und inhaltliche Sprünge und Wiederholungen, die beim Lesen irritieren.
Und so notwendig es auch ist, die politische und weltanschauliche Spannbreite der Vorläuferbewegungen zu beschreiben, damit man die späteren Richtungsdiskussionen nachvollziehen kann, so beschwerlich ist es doch, durch den sehr breitgetretenen Urschlamm zu waten.
Abgesehen davon aber ist es ein Buch, das sich gut lesen lässt. Faktenreich, mit viel Insider-Wissen und allem, was einen guten Thriller ausmacht. Fast eine Schöpfungsgeschichte - mit aufrechten Gläubigen, mit Falschspielern, gefallenen Engeln und unschuldigen Opfern, die den Ränkespielen der anderen zum Opfer fallen. Wollte man es darwinistisch lesen: Die gewieftesten Taktiker, die mit den spitzesten Zungen und besten Vernetzungen im Hinterzimmer beißen all jene weg, die die linke Idee, die die Seele der Grünen verteidigen wollen.
Interessant ist es zu lesen, wie und wo sie auftauchen, all die Namen und Gesichter, die die Grünen geprägt haben, wie sie sich entwickelt haben – und wohin viele auch verschwunden sind. Auch wenn nicht verschwiegen werden soll, dass sich, Seite um Seite voranschreitend, eine gewisse Ungeduld einstellt, wenn die Protagonisten – oder vielmehr Antagonisten - schon wieder aufeinanderprallen und ihre unterschiedlichen Ansichten über die Ausrichtung der Partei auskämpfen – manchmal offen in Denkschriften oder auf Parteitagen, manchmal durch heimlich organisierte Mehrheiten.
Die Gegenspieler sind, das ist schnell klar: Ludger Volmer und Joschka Fischer.
So jedenfalls sieht es der Autor, also Ludger Volmer. Er ist es auch, der immer im Interesse der Partei handelt. Er verkörpert die Seele, links bewegt, idealistisch, aber nicht Fundi, sondern, wie er selber schreibt: undogmatisch.
Der andere – Fischer – der ehemalige Sponti, der die frühen Grünen noch mit den Seinen verhöhnt hat, bis er merkt, dass es ein Erfolgsprojekt wird, das er zu seinem Nutzen, dem Streben nach persönlicher Macht, kapern kann.
Volmer und Fischer stehen stellvertretend für die inhaltliche Ausrichtung der Partei. Später schreibt Volmer von der Fischer-Gang, den Fisherman's Friends, die zwar den "Spirit" der Gründerzeit nicht miterlebt hatten, dafür aber alles daransetzen, die Partei auf Regierungsfähigkeit zu trimmen:
Fraktionschef Fischer meißelte sofort an einem neuen Grünen Profil. Ziel war es, die Grünen anstelle der FDP zwischen den beiden Volksparteien zu platzieren.
Die Folge:
Ein tief greifender grüner Profil- und Substanzverlust.
Mit dem Ende der Ära Fischer wurde dieser für Volmer irrige Kurs hin zur Mitte aber nicht korrigiert, sondern weiter verfolgt. Mit der Diskussion um schwarz-grüne Koalitionsmöglichkeiten sogar auf die Spitze getrieben. Die Grünen als Partei des modernen Bürgertums? Volmer fragt sich:
Werden die Grünen eine von Inhalten weitgehend entleerte Mehrheitsbeschafferin welcher Koalition auch immer?
Volmer ist spürbar frustriert, weil er sein Lebenswerk in Gefahr sieht, und dient der Partei, die zurzeit wieder dabei ist, ihre Richtung zu suchen, die alten Ideen und Ideale an – die auch seine sind. Zurück zu den Wurzeln. Nur so könne die Partei in Zukunft bestehen. Volmer mag in einigen Punkten recht haben, an manchen Stellen lässt er es aber an kritischer Distanz fehlen. Und vermag den Leser nicht ganz zu überzeugen, dass viele der ursprünglichen Ideen und Ideale heute noch tragen.
Trotzdem ist Ludger Volmers Buch eine lohnenswerte Lektüre. Gerade in den Passagen, in denen Volmer es nicht dazu nutzt, mit persönlichen Widersachern abzurechnen und damit zu hadern, dass die Partei oft eine andere Richtung genommen hat, als er es sich gewünscht hat. Es sind die Passagen, in denen er als Beobachter - aus der Distanz eines Politologen, aber nie unbeteiligt – das Ringen innerhalb der Partei beschreibt, nicht kommentiert. Oder das Werden der Partei einordnet in die Entwicklungen der Zeit: Der Raketenprotest und die Anti-Atomkraftbewegung, die Deutsche Einheit, der elfte September. Ein geeignetes Buch für all diejenigen, die sich neu mit den Grünen beschäftigen wollen – selbst wenn sie schon lange dabei sind.
Stefan Maas war das, über das Buch von Ludger Volmer: "Die Grünen – Von der Protestbewegung zur etablierten Partei. Eine Bilanz". Erschienen im Bertelsmann Verlag, mit 480 Seiten zum Preis von 24,95 Euro (ISBN: 978-3570100400).
Es waren die ersten grünen Bundestagsabgeordneten, die von ihren Basis-Mitgliedern zur konstituierenden Sitzung des neuen Bundestages begleitet wurden. Mit dieser Szene beginnt Ludger Volmer sein Buch über die Geschichte der Grünen. Dabei ist es eigentlich nicht der Anfang, sondern schon ein bedeutendes Etappenziel (Dlf, Hintergrund). In den 70er-Jahren entstanden aus Bürgerinitiativen und sozialen Bewegungen, hatten die Grünen es 1980 geschafft, sich eine Struktur zu geben, zur Partei zu werden, wenn auch, so wollten sie es selbst – einer Anti-Parteien-Partei.
Von Anfang an mitten drin und als treibende Kraft dabei: Ludger Volmer. Sohn eines CDU-Bundestagsabgeordneten, später unter anderem Fraktionssprecher, Parteichef, Staatsminister unter Außenminister Fischer – und immer wieder Kopf und Taktiker hinter vielen richtungsweisenden Entscheidungen innerhalb der Partei. 2005 musste er von allen politischen Ämtern zurücktreten, weil er wegen einer Nebentätigkeit als Berater für die Bundesdruckerei ins Blickfeld der Öffentlichkeit geraten war. Der Vorwurf: Er habe sein politisches Mandat und private Tätigkeiten vermischt. Was Volmer stets zurückgewiesen hat.
Er habe gezögert, schreibt er, als er das Angebot erhielt, in einem Buch Bilanz zu ziehen, denn er war gerade dabei, die Partei, die ihm 2005 nicht beigestanden hat, innerlich hinter sich zu lassen.
"Das war nicht der Abschied, den man sich wünscht, wenn man 25 Jahre an verantwortlicher Stelle tätig war. Auf der anderen Seite haben mich dann viele Freunde bekniet und gesagt, du musst das aufschreiben und weitergeben an Leute, die die ganze Vorgeschichte nicht kennen. Und so habe ich mich dann durchgerungen und die Anfrage dann angenommen."
Sein Anspruch: Eine subjektive Chronik sollte es werden.
Keine Autobiografie, aber natürlich durchwirkt von eigenen Erlebnissen und Bewertungen, gleichzeitig auch sozialwissenschaftlich reflektiert.
Volmer hat sein Buch in sieben Teile gegliedert. Er spannt den Bogen von den Vorläufern, über die Gründung, den Einzug in den Bundestag, den Absturz, das Comeback, Rot-Grün, und blickt zum Schluss auf das heutige Fünf-Parteiensystem und die zukünftige Rolle der Grünen.
Diese thematische Aufteilung macht einerseits Sinn, weil sie Ereignisse und Entwicklungen im richtigen Kontext erklärt, andererseits folgen daraus zeitliche und inhaltliche Sprünge und Wiederholungen, die beim Lesen irritieren.
Und so notwendig es auch ist, die politische und weltanschauliche Spannbreite der Vorläuferbewegungen zu beschreiben, damit man die späteren Richtungsdiskussionen nachvollziehen kann, so beschwerlich ist es doch, durch den sehr breitgetretenen Urschlamm zu waten.
Abgesehen davon aber ist es ein Buch, das sich gut lesen lässt. Faktenreich, mit viel Insider-Wissen und allem, was einen guten Thriller ausmacht. Fast eine Schöpfungsgeschichte - mit aufrechten Gläubigen, mit Falschspielern, gefallenen Engeln und unschuldigen Opfern, die den Ränkespielen der anderen zum Opfer fallen. Wollte man es darwinistisch lesen: Die gewieftesten Taktiker, die mit den spitzesten Zungen und besten Vernetzungen im Hinterzimmer beißen all jene weg, die die linke Idee, die die Seele der Grünen verteidigen wollen.
Interessant ist es zu lesen, wie und wo sie auftauchen, all die Namen und Gesichter, die die Grünen geprägt haben, wie sie sich entwickelt haben – und wohin viele auch verschwunden sind. Auch wenn nicht verschwiegen werden soll, dass sich, Seite um Seite voranschreitend, eine gewisse Ungeduld einstellt, wenn die Protagonisten – oder vielmehr Antagonisten - schon wieder aufeinanderprallen und ihre unterschiedlichen Ansichten über die Ausrichtung der Partei auskämpfen – manchmal offen in Denkschriften oder auf Parteitagen, manchmal durch heimlich organisierte Mehrheiten.
Die Gegenspieler sind, das ist schnell klar: Ludger Volmer und Joschka Fischer.
So jedenfalls sieht es der Autor, also Ludger Volmer. Er ist es auch, der immer im Interesse der Partei handelt. Er verkörpert die Seele, links bewegt, idealistisch, aber nicht Fundi, sondern, wie er selber schreibt: undogmatisch.
Der andere – Fischer – der ehemalige Sponti, der die frühen Grünen noch mit den Seinen verhöhnt hat, bis er merkt, dass es ein Erfolgsprojekt wird, das er zu seinem Nutzen, dem Streben nach persönlicher Macht, kapern kann.
Volmer und Fischer stehen stellvertretend für die inhaltliche Ausrichtung der Partei. Später schreibt Volmer von der Fischer-Gang, den Fisherman's Friends, die zwar den "Spirit" der Gründerzeit nicht miterlebt hatten, dafür aber alles daransetzen, die Partei auf Regierungsfähigkeit zu trimmen:
Fraktionschef Fischer meißelte sofort an einem neuen Grünen Profil. Ziel war es, die Grünen anstelle der FDP zwischen den beiden Volksparteien zu platzieren.
Die Folge:
Ein tief greifender grüner Profil- und Substanzverlust.
Mit dem Ende der Ära Fischer wurde dieser für Volmer irrige Kurs hin zur Mitte aber nicht korrigiert, sondern weiter verfolgt. Mit der Diskussion um schwarz-grüne Koalitionsmöglichkeiten sogar auf die Spitze getrieben. Die Grünen als Partei des modernen Bürgertums? Volmer fragt sich:
Werden die Grünen eine von Inhalten weitgehend entleerte Mehrheitsbeschafferin welcher Koalition auch immer?
Volmer ist spürbar frustriert, weil er sein Lebenswerk in Gefahr sieht, und dient der Partei, die zurzeit wieder dabei ist, ihre Richtung zu suchen, die alten Ideen und Ideale an – die auch seine sind. Zurück zu den Wurzeln. Nur so könne die Partei in Zukunft bestehen. Volmer mag in einigen Punkten recht haben, an manchen Stellen lässt er es aber an kritischer Distanz fehlen. Und vermag den Leser nicht ganz zu überzeugen, dass viele der ursprünglichen Ideen und Ideale heute noch tragen.
Trotzdem ist Ludger Volmers Buch eine lohnenswerte Lektüre. Gerade in den Passagen, in denen Volmer es nicht dazu nutzt, mit persönlichen Widersachern abzurechnen und damit zu hadern, dass die Partei oft eine andere Richtung genommen hat, als er es sich gewünscht hat. Es sind die Passagen, in denen er als Beobachter - aus der Distanz eines Politologen, aber nie unbeteiligt – das Ringen innerhalb der Partei beschreibt, nicht kommentiert. Oder das Werden der Partei einordnet in die Entwicklungen der Zeit: Der Raketenprotest und die Anti-Atomkraftbewegung, die Deutsche Einheit, der elfte September. Ein geeignetes Buch für all diejenigen, die sich neu mit den Grünen beschäftigen wollen – selbst wenn sie schon lange dabei sind.
Stefan Maas war das, über das Buch von Ludger Volmer: "Die Grünen – Von der Protestbewegung zur etablierten Partei. Eine Bilanz". Erschienen im Bertelsmann Verlag, mit 480 Seiten zum Preis von 24,95 Euro (ISBN: 978-3570100400).