Der Weg zu den AfD-Aussteigern führt durch ein Autohaus. Sieghardt Rydzewski, bis vor zwei Wochen einer der bekanntesten Köpfe der Partei in Thüringen, verkauft drei Tage in der Woche LKWs. Hier in Ost-Thüringen war er zwölf Jahre lang Landrat, die Hälfte der Zeit für die SPD, die andere parteilos. Rydzewski ist ein massiger Typ mit fast kahl geschorenem Kopf. Einer, der nicht zu unnötigen Kompromissen neigt. Wenn dem Reporter der Computer zu laut brummt, dann drückt Rydzewski einfach den Aus-Knopf. Stille.
"Die Partei ist in sich zerrissen. Die Partei ist kurz davor, auseinanderzufliegen und alles andere als in Thüringen eine Alternative."
"Die Fragen waren richtig, die die AfD gestellt hat. Die Partei ist für mich die falsche Antwort."
Ausstieg aus der AfD
Neben Rydzewski sitzt Lutz Eichler. Kleiner, schmaler, ein Psychologe. Die beiden sind Nachbarn. Vor zwei Wochen sind sie gemeinsam mit dem halben Kreisverband Greiz-Altenburg aus der AfD ausgetreten. Die Partei sei sektenähnlich, diktatorisch, autoritär, schimpfen sie. Und warnen die Wähler ausdrücklich davor, die AfD zu wählen. Kernsatz: "Die Partei sei keine Alternative für Thüringen." Dabei waren die beiden so hoffnungsvoll im Sommer letzten Jahres.
"Was hat mich in die AfD gebracht? Einmal das Thema: mehr Bürgerbeteiligung in der Politik. Dass es dort durchaus Notwendigkeiten gibt, sieht man an den immer mehr sinkenden Wahlbeteiligungen. Andere Frage: Was wird aus Europa, wo entwickelt sich das hin? Man kann es ja nicht so laufen lassen, man muss auch dafür eine Vision entwickeln."
"Wir brauchen einfach auch eine Partei, die für Selbstständigkeit eintritt, die für Eigenverantwortung eintritt und die auch Patriotismus hochhält. Und ich glaubte, das bei der AfD gefunden zu haben. Die Ideale sind ganz toll – nach wie vor, dazu stehe ich auch. Aber die personelle Untersetzung ist eine Katastrophe – gerade hier in Thüringen."
Unruhe in der Thüringer AfD
Seit Monaten rumort es in der Thüringer AfD. Auf Parteitagen geht es – freundlich gesagt – "lebendig" zu, die Kreisverbände misstrauen sich gegenseitig, Brandbriefe gehen hin und her. Die zweite Landessprecherin wirft entnervt das Handtuch. Und dann gibt es da einen Mann, der die Partei in Thüringen endgültig spaltet: der Landessprecher der AfD, Matthias Wohlfarth. Ein frommer Mann, der das Abendland in Gefahr sieht:
"Von wegen Frieden durch den Euro - das Gegenteil ist der Fall! Wir gehen auf bürgerkriegsähnliche Zustände zu! Wir sehen die fehlgelenkte Integrations- und Einwanderungspolitik. Die Früchte: Parallelgesellschaften mit Paralleljustizen, mit Blut, was da fließt, was wir schon gar nicht mehr veröffentlichen in Zeitungen – die Fakten würden uns zu sehr erschrecken."
In einem Interview mit dem Deutschlandradio zeigte Wohlfarth Verständnis für Gewalt gegen Ausländer. Er hielt eine ausländerskeptische Haltung in Deutschland für "biologisch normal", den Islam für das Problem und das Christentum für die Lösung. Das Interview schlug Wellen - bis hoch in die Berliner AfD-Spitze. Aus einigen Thüringer Kreisverbänden hagelte es Rücktrittsaufforderungen. Unterschrieben auch von Sieghardt Rydzewski und Lutz Eichler.
"Was uns als Kreisverband – man muss es so sagen – entsetzt hat, dass sich niemand vom Landesverband von gewissen Aussagen, die dort getätigt worden sind, klar distanziert hat. Das sagt natürlich auch einiges aus, welche Position der Herr Wohlfarth innerhalb dieses Landesvorstandes hat."
"Es ist ja ein Mensch, der nicht von politischen Zielen getrieben wird, sondern von seinem völkisch-christlichen Fundamentalismus. Er sieht sich ja auch als Teil der biblischen 6.000 und glaubt selber, ein Heiliger zu sein. Das ist doch niemand, der eine Partei führen kann! Und so jemand muss in die Versenkung, ansonsten wird der Konflikt die Partei zerstören."
Vorwürfe und Intrigen
Die beiden berichten von Telefonterror, von Disziplinarmaßnahmen im Tagesrhythmus, von Ausgrenzung, von Schiebung auf Parteitagen, von Intrigen und Verleumdung. Der Landesvorstand dagegen bezeichnet den Austritt von Rydzewski, Eichler und dem halben Kreisverband als "Chance", zur "konstruktiven Parteiarbeit" zurückzukehren. Die aber habe es, so Rydzewski, nie gegeben.
"Ich war jetzt ein dreiviertel Jahr Mitglied in dieser Partei. Es ist nicht gelungen in dieser Zeit, mehr als zwei Stunden über inhaltliche Dinge, über Politik zu reden!"
"Auf die Fragen, die die Leute hier haben, die die Leute bewegen, - das sind nicht Fragen, wo es um den Euro oder Europa geht – sondern die Fragen, die die Leute hier bewegen, sind sicher andere: Fachärzteversorgung und dergleichen bis hin zur Frage Kinderbetreuung... Bildung – kommt inhaltlich nichts."
Und hier lässt Rydzewski genussvoll den ehemaligen Landrat raushängen, der weiß, wo der Hase - sprichwörtlich - langläuft und der die Kandidatenliste der AfD für die Landtagswahl am 14. September für einen Witz hält. Auf der Liste stünden Günstlinge des Landesvorstandes, die es im Leben zu nichts gebracht hätten.
"Damit haben die sich nie befasst, da haben die keine Antworten drauf. Aber die Menschen wollen doch Antworten haben! Wie geht's mit der Bildung in Thüringen weiter? Die großen Städte fragen sich: Wer finanziert in Zukunft unsere Theater? Man fragt sich in den Gemeinden: Wie können wir unsere Straßen erhalten und unsere kleinen Brücken bauen, wie können wir unsere Schulgebäude erhalten? Da muss ich doch Antworten drauf finden! Da ist die AfD ganz weit weg davon. Die wissen zum Teil gar nicht, dass es das gibt, über was man sich heute in Kreistagen und Stadträten unterhält."
Sieghardt Rydzewski und Lutz Eichler sind jedenfalls raus aus der AfD. Wie sehen sie die Zukunft der Alternative?
"Mit dem Personal, wie wir es hier in Thüringen vorfinden, klappt das nicht."
"Schwer zu sagen! Wenn die Presse kritisch ist, dann wird es für die AfD sehr schwer."