In Thüringen kommt es zu einer ganz neuen Regierungskoalition, die wegen der Farben der sie tragenden Parteien „Brombeer-Koalition" getauft wurde: schwarz (CDU), lila (BSW) und rot (SPD). Der neue Ministerpräsident, der Christdemokrat Mario Voigt, der den zehn Jahre amtierenden Linken-Politiker Bodo Ramelow abgelöst hat, ernannte am Tag nach seiner Wahl am 12. Dezember 2024 die Kabinettsmitglieder der neuen Regierung. Passend zum Spitznamen der Koalition trugen sowohl Ministerpräsident Voigt als auch sein künftiger Stellvertreter Georg Maier (SPD) violette Krawatten am Tag der Vereidigung.
Vorausgegangen waren schwierige Koalitionsverhandlungen, in die sich von außen immer wieder Sahra Wagenknecht einmischte, teilweise im offenen Dissens mit der BSW-Führung in Thüringen über Formulierungen im Koalitionsvertrag. Außerdem musste die Unterstützung der Fraktion Die Linke für die Wahl von Voigt zum Ministerpräsidenten sichergestellt werden. Letztendlich wurde aber der Weg für diese Premiere in der Geschichte der deutschen Landesregierungen gefunden, die „Brombeer“-Koalition.
Was steht im Koalitionsvertrag?
In der Präambel des Koalitionsvertrags erklären die drei Parteien, sie eine "der Wille zum Frieden in Europa". Die Sorgen der Menschen, dass Deutschland in den Ukraine-Krieg hineingezogen werden könnte, würden ernst genommen. Die Parteien unterstützten "im Rahmen der europäischen und bundesstaatlichen Ordnung" alle diplomatischen Initiativen, den von Russland gegen die Ukraine entfesselten Angriffskrieg zu beenden. Zugleich werden unterschiedliche Prioritäten deutlich: CDU und SPD sehen sich "in der Tradition von Westbindung und Ostpolitik", das BSW hebt seinen "kompromisslosen Friedenskurs" hervor.
In der Migrationspolitik soll eine zentrale Landesausländerbehörde die Aufnahme, Anerkennung von Berufsabschlüssen, Integration und auch Rückführung von Geflüchteten bündeln. Die Verfahren sollen damit vereinfacht und beschleunigt werden. Menschen mit geringer Bleibeperspektive, beispielsweise aus sicheren Herkunftsländern, sollen nicht auf die Kommunen verteilt werden. Die Thüringer Regierung will Abschiebehaftplätze für Ausreisepflichtige schaffen.
Mehr Polizisten, weniger Unterrichtsausfall
In den kommenden fünf Jahren sollen 1800 neu ausgebildete Polizistinnen und Polizisten eingestellt werden. Auch technisch soll die Thüringer Polizei auf den neuesten Stand gebracht werden, etwa durch ein Pilotprojekt für Dashcams - also Kameras, die während der Fahrt das Verkehrsgeschehen aufzeichnen. Es soll ein Rechtsrahmen für den Zugriff des Verfassungsschutzes auf die Verkehrsdaten bekannter Extremisten, Gefährder und Terrorverdächtiger geschaffen werden.
Die drei Parteien wollen Thüringen zum führenden Bildungsland in Deutschland machen. Sie wollen etwa gegen Unterrichtsausfall vorgehen. Vor der Einschulung soll es für Kinder im fünften Lebensjahr verpflichtende Deutschtests geben. Kinder mit sprachlichen Defiziten sollen während eines verpflichtenden Vorschuljahrs im Kindergarten gefördert werden. In den Schulen soll es zudem Deutschförderklassen geben.
Hausärzte, Kinderärzte, Gynäkologen, Zahnärzte und Apotheken sollen für jeden in Thüringen in maximal 20 Minuten erreichbar sein. Die Landarztquote soll erhöht werden. Der soziale Wohnungsbau soll gestärkt, die Eigentumsquote bei Immobilien erhöht werden. Die Koalition will für Familien zinsverbilligte Darlehen und Zuschüsse als „Thüringen-Geld“ für den Neubau, den Erwerb und die Sanierung eines Hauses bereitstellen.
Wer hat die Mehrheit im Thüringer Landtag?
Genau genommen: niemand. Die drei Parteien, die die neue Regierung tragen, haben im Parlament nur 44 der 88 Sitze (CDU 23, BSW 15, SPD 6). Um das Unentschieden aufzulösen, ist bei Entscheidungen im Landtag mindestens eine Stimme aus der Opposition nötig. Oppositionsfraktionen sind die AfD mit 32 Abgeordneten und die Linke mit 12 Mandaten.
Die drei Koalitionäre haben eine Zusammenarbeit mit der AfD und deren Rechtsaußen Björn Höcke strikt ausgeschlossen. Eine Art Regelwerk für den Umgang im Parlament haben sie der Linken angeboten, die mit Bodo Ramelow bisher den Ministerpräsidenten stellte. Auf dieser Grundlage soll die Linke der Brombeer-Koalition von Fall zu Fall helfen, eine Mehrheit für gemeinsam getragene Vorhaben sicherzustellen.
Welche Reaktionen gab es auf die Wahl von Mario Voigt?
Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz gratulierte so: "Unter sehr schwierigen Bedingungen und ohne Zugeständnisse in den Grundsatzfragen unserer Politik ist es der CDU gelungen, in Thüringen nach über fünf Jahren des Stillstandes wieder eine Regierung zu bilden." CSU-Chef Markus Söder schrieb: "Willkommen im Kreis der Ministerpräsidenten. Freue mich sehr auf die enge Zusammenarbeit der beiden starken Freistaaten Bayern und Thüringen."
Der Thüringer AfD-Fraktionschef Björn Höcke warf Voigt vor, ein Regierungschef von Gnaden dreier linker Partner zu sein: "Voigt hat mehr linke Partner als die CDU konservative Werte." Voigts Machtwille sei so groß, dass er die Restbestände von Konservatismus und Traditionsbewusstsein in der CDU opfere; er habe mit seiner Wahl zum Ministerpräsidenten die CDU in Thüringen zu Grabe getragen.
Thüringens BSW-Spitze machte Voigt ein ungewöhnliches Geschenk: Während viele Gratulanten Blumensträuße brachten, überreichten die BSW-Landesvorsitzenden Steffen Schütz und Katja Wolf ihm passend zu seiner Koalition einen Brombeerstrauch.
Welche Konflikte könnten die Brombeer-Koalition gefährden?
Ministerpräsident Voigt beschwört zwar den "Geist der Zusammenarbeit und einer neuen politischen Kultur", aber trotzdem steht sein Gestaltungsspielraum auf wackeliger Basis. Es gibt neben der AfD, die bereits bei der Wahl des Landtagspräsidenten für Chaos sorgte, mindestens zwei Unsicherheitsfaktoren. Erstens ist offen, wie weit die Bereitschaft der stark geschwächten Linken geht, der neuen Koalition bei deren Vorhaben zu Mehrheiten im Parlament zu helfen.
Zweitens kann das Thema Ukraine-Krieg ein möglicher Spaltpilz werden, sollte eine von der Union geführte Bundesregierung im Frühjahr 2025 die militärische Unterstützung des angegriffenen Landes verstärken wollen, zum Beispiel durch die Lieferung von "Taurus"-Raketen, was Kanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU) befürwortet. Das BSW würde dann die Zusammenarbeit mit der CDU - die von seinen Mitgliedern häufig als "kriegslüstern" kritisiert wird - in Thüringen infrage stellen. Schließlich ist die "Friedenspolitik" das wichtigste Thema von Sahra Wagenknecht, die vor allem bundespolitische Ambitionen verfolgt.
Außerdem kann in Thüringen natürlich ebenso wie im Bund oder anderen Bundesländern ein Streit über Ausgabenprioritäten ausbrechen, Stichwort Schuldenbremse. "Das Landesgeld ist endlich", warnt Ex-Ministerpräsident Bodo Ramelow, "die neue Finanzministerin Katja Wolf steht vor großen Schuhen."
sc