CDU in Thüringen
Votum mit AfD-Stimmen: Wo verläuft die "Brandmauer"?

Mit der AfD zusammenarbeiten: Das ist für die meisten Parteien ein rotes Tuch. Die CDU beschwört hier seit Langem eine „Brandmauer“. Wie ist vor diesem Hintergrund die gemeinsame Abstimmung zur Grunderwerbssteuer in Thüringen zu bewerten?

    Björn Höcke (r, AfD) und Mario Voigt (l, CDU), Fraktionsvorsitzende ihrer Parteien in Thüringen sitzen im Plenarsaal des Thüringer Landtags. Die Abgeordneten wollen an diesem Tag in erster Lesung den Haushalt für 2024 beraten. Außerdem will die Opposition eine Steuersenkung gegen die rot-rot-grüne Minderheitskoalition durchsetzen.
    Gemeinsam abgestimmt: AfD-Fraktionsvorsitzender Björn Höcke (r) und CDU-Fraktionsvorsitzender Mario Voigt (l) im thüringischen Landtag. (picture alliance / dpa / Martin Schutt)
    Mit den Stimmen der rechtsextremen AfD ist im rot-rot-grün regierten Thüringen eine Steuersenkung beschlossen worden. Die Abstimmung wirft Fragen über den Umgang mit der Partei auf. Fällt hier eine „Brandmauer“? Oder war es am Ende gar keine Zusammenarbeit?

    Inhalt

    Worum ging es bei der Abstimmung in Thüringen?

    Die CDU hat in Thüringen am 14.9.2023 mit den Stimmen von FDP, AfD und fraktionslosen Abgeordneten - und gegen den Willen der rot-rot-grünen Minderheitsregierung - eine Absenkung der Grunderwerbssteuer auf fünf Prozent durchgesetzt.
    Die Diskussion über den Gesetzentwurf der CDU war schon im Vorfeld sehr turbulent, da abzusehen war, dass die Union nur mit der FDP zusammen rechnerisch keine Mehrheit erreichen würde: Beide Parteien kommen im thüringischen Landtag auf 25 Stimmen. Aber auch die rot-rot-grüne Regierungskoalition hat seit 2020 keine eigene Mehrheit. Am Ende wurde mit 46 zu 42 Stimmen entschieden.
    Beschlossen wurde dabei auch, dass Käufer einer ersten selbstgenutzten Immobilie bis zu einem Betrag von 25.000 Euro von der Steuer freigestellt werden. Insgesamt geht es dabei um etwa 45 Millionen Euro pro Jahr im thüringischen Haushalt. Über den Haushalt für 2024 wird gerade im Landtag beraten.
    Die Grunderwerbssteuer wird auf den Kauf von Grundstücken gezahlt. Diese lag in Thüringen bisher bei 6,5 Prozent - im Bundesländervergleich mit am höchsten (so wie auch in Brandenburg, Nordrhein-Westfalen, Saarland und Schleswig Holstein). Rot-rot-grün in Thüringen hatte die Steuer vor einigen Jahren auf den recht hohen Wert angehoben.
    Die Steuersenkung soll ab 2024 gelten, wenn sie nicht noch gekippt wird. Denn die Landesregierung von Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) will eine Verfassungsbeschwerde prüfen.

    War es die erste Abstimmung in Thüringen mit Stimmen der AfD?

    CDU, FDP und AfD haben schon einmal miteinander abgestimmt, Ende 2022: Da setzten die Parteien gemeinsam ein Verbot der „Gendersprache“ in Landtag, Landesregierung, Behörden und Bildungseinrichtungen durch.
    Für heftige Diskussionen und schließlich auch eine Regierungskrise hatte 2020 die Wahl von FDP-Mann Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten gesorgt, der mit Stimmen der Union, der Liberalen und der AfD gewählt worden war. Nach einer Welle der Empörung trat Kemmerich nach nur drei Tagen zurück. Seitdem betont die CDU, dass „die Brandmauer“ steht - und eine Zusammenarbeit mit der AfD wird zumindest von der Bundesebene von CDU und FDP bis heute strikt ausgeschlossen.

    Was sagen CDU und FDP zur Abstimmung?

    In der CDU gibt es viele Stimmen, die die Grunderwerbssteuer-Abstimmung in Thüringen verteidigen, allen voran der Fraktionsvorsitzende der CDU im Thüringer Landtag, Mario Voigt: „Wir können nicht auf Inhalte verzichten, nur weil sie glauben, dass sie uns damit erpressen können“, sagte er am Tag der Abstimmung im Landtag an die Regierungsparteien gewandt.
    Unterstützung bekommt er unter anderem von der stellvertretenden CDU-Vorsitzenden Karin Prien. Es habe bei dem Antrag der CDU in Thüringen keine Absprachen mit der AfD gegeben. Die CDU müsse in der Lage sein, konstruktive Oppositionsarbeit zu leisten – ohne sich dafür gleich Vorwürfe anhören zu müssen.
    Ähnlich äußerte sich der ehemalige Gesundheitsminister Jens Spahn: Die CDU könne nicht richtige Positionen aufgeben, nur weil auch die falschen sie richtig fänden, schrieb der CDU-Politiker auf der Plattform X. Und auch der  Vorsitzende der CDU-Grundwertekommission, Andreas Rödder, kann kein Problem erkennen: "Das ist Parlamentarismus."
    Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz hatte das Vorgehen schon vor der Abstimmung verteidigt. Man mache sich nicht von anderen Fraktionen abhängig, sagte er bei RTL/ntv und betonte gleichzeitig, dass es eine Zusammenarbeit mit der AfD auf Bundes- und Landesebene weiterhin nicht geben werde.
    FDP-Chef Christian Lindner hingegen kritisierte das Vorgehen in Thüringen. Die Verantwortung liege bei der CDU, die damit dem politischen Anliegen einer Absenkung der Grunderwerbssteuer keinen Gefallen getan habe, sagte Lindner der „Augsburger Allgemeinen“. FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann ermahnte die Liberalen in Thüringen: Solange die FDP dort „den Kemmerich macht“, gebe es keinerlei Unterstützung der Bundespartei, sagte sie dem „Spiegel“.

    Wie sieht die AfD die Abstimmung?

    Der thüringische AfD-Fraktionschef Björn Höcke freute sich nach der Abstimmung. Er sei froh, dass die CDU nun "den Mut aufgebracht habe", sagte er im Landtag. Die AfD wird in Thüringen vom Verfassungsschutz als erwiesen rechtsextrem eingestuft. AfD-Bundessprecherin Alice Weidel schrieb auf X, „die Brandmauer ist Geschichte“, Thüringen sei erst der Anfang.

    Wie bewertet Rot-Rot-Grün die Abstimmung?

    Die rot-rot-grüne Minderheitsregierung hatte schon im Vorfeld kritisiert, dass die CDU die Zustimmung der AfD beim Thema Grunderwerbssteuer bewusst in Kauf nehme. Nach der Abstimmung sagte Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke), dies sei der „schwärzeste Tag aller Tage“ in seinem parlamentarischen Leben gewesen. Die CDU müsse sich fragen, ob sie am Ende die Türe öffne, damit die AfD von einer bürgerlichen Mehrheit sprechen könne.
    Unterstützung für diese Ansicht bekommt Ramelow auch von den Bundes-Linken. Die Co-Vorsitzende der Linken, Janine Wissler, schrieb sie auf der Plattform X, die Brandmauer der CDU nach rechts sei jetzt nur noch ein Vorhang, der nach Belieben zur Seite geschoben werde.
    Und auch der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil sieht in dem Vorgang eine neue Qualität: die AfD habe jetzt Gestaltungsmöglichkeiten bekommen. „Man hat die AfD mit ins Boot geholt und einen gemeinsamen Beschluss gefasst“, sagte er in der ARD. Seine Parteikollegin, Bundesinnenministerin Nancy Faeser, sagte der dpa, der gemeinsame Beschluss mit der AfD sei ein gefährlicher Beitrag zur Normalisierung von Rechtsextremen.
    Deutlich fiel auch die Reaktion bei den Grünen aus: Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt warf der Thüringer CDU vor, offen mit der AfD zusammengearbeitet und Absprachen getroffen zu haben. Sie sprach im Rundfunk Berlin-Brandenburg von einem "Tabubruch".

    Was heißt das für den weiteren Umgang mit der AfD?

    Die Debatte werde den aktuellen Aufwind der AfD weiter befördern, schätzt Deutschlandradio-Hauptstadtkorrepondent Volker Finthammer die Situation ein. Die Union werde hingegen wohl kaum von der Aktion profitieren.
    Deutschlandradio-Thüringen-Korrespondent Henry Bernhard vermutet, dass die Debatte im kommenden Jahr noch einmal lauter wird, wenn in Thüringen ein neuer Landtag gewählt wird. Da werde die CDU genau austarieren müssen, mit wem sie zusammenarbeiten wolle.

    Volker Finthammer, Henry Bernhard, Dlf24, AFP, dpa, ikl