"Zum Pulloverkauf in die City" prangt in großen Lettern auf der Straßenbahn, die an der Heinrichstraße in Geras Innenstadt hält. Unter dem Schriftzug ein Bild, auf dem die Hände einer nackten Frau wenige ihrer Körperpartien bedecken. Das ist Werbung für eine neue, vierte, Straßenbahnlinie in Gera. Das Motiv trifft die Situation ungewollt: Es geht ums letzte Hemd.
"Gera hat mal zu den reichsten Städten von Deutschland gehört. Ich denke, dazu gehört sie jetzt nicht mehr."
Ulrich Porst, Stadtrat in der Fraktion "Bürgerschaft Gera". Von der einstigen Pracht zeugen manche Villen, mancher restaurierte Giebel. 1989 hatte Gera noch rund 135.000 Einwohner, dann brach die Textilindustrie zusammen, der Uran-Bergbau machte dicht; heute leben noch etwa 95.000 Menschen in Gera - obwohl Dörfer eingemeindet wurden. Als die Pracht der Bundesgartenschau vor einigen Jahren den Abstieg für kurze Zeit rosiger gefärbt hatte, eröffneten die Verkehrsbetriebe eine neue Linie.
"Wir haben einen öffentlichen Nahverkehr, der ist nicht überdimensioniert, aber er ist sehr großzügig ausgelegt. Und diese Entscheidung, dann zu sagen, der Stadt geht's nicht gut, wir müssen überall sparen, das hätte man schon eher tun können. Also hier war der Stadtrat gefragt beziehungsweise der Oberbürgermeister damals."
Nun sind die Verkehrsbetriebe insolvent. Die Stadtwerke, die mit ihrem Gewinn bislang den Verlust der Verkehrsbetriebe ausgeglichen hatten, sind es auch. Und die Stadt Gera darf wegen zu hoher eigener Schulden nicht mehr einspringen. Schuld sei die Energiewende, die den Gewinn der Stadtwerke wegschmelze, sagen die einen, Schuld sei das Versagen der Stadtpolitik, meinen andere. Aber es gibt einen weiteren, allein thüringischen Grund.
CDU-Politiker: Kommunen müssen mehr zusammenarbeiten
Raus aus Gera, Ankunft in Berlstedt, einem Dorf nördlich von Weimar. Typisch für Thüringen. Axel Schneider, CDU, war mehr als 22 Jahre Direktor der Verwaltungsschule Thüringen und leitet nun in Berlstedt den Zusammenschluss mehrerer Dörfer.
"Thüringen insgesamt, man könnte ironisch sagen, einschließlich der Landeshauptstadt Erfurt mit unter 200.000 Einwohnern, ist insgesamt ländlicher Raum."
Schneider beklagt diese Zahlen: Thüringen zählt 17 Landkreise und sechs kreisfreie Städte, dazu hunderte teils sehr kleine Kommunen - zu viele Einheiten für weniger als 2,2 Millionen Einwohner.
"Das Hauptproblem ist die Kreisfreiheit der Städte hier in Thüringen, die dadurch nicht leben und nicht sterben können."
Beispiel: Jede Kommune kauft selbst Technik für die Feuerwehr, plant den Busfahrplan, organisiert den Straßenbau. Das treibt die Kosten - was Gera, Eisenach und andere längst überfordere, sagt Axel Schneider, der verlangt: Dörfer und Städte dürfen ihre Eigenständigkeit zwar nicht gänzlich aufgeben, müssen aber zusammenarbeiten und in einer Region gemeinsam mehrheitlich entscheiden. Schneider war Mitglied einer Expertenkommission, die im vergangenen Jahr ihre Vorschläge unterbreitet hat. Umgesetzt worden sei wenig.
Ramelow: "Landratsrepublik entwickelt"
Wahlkampf in Weimar, Schneiders Parteifreundin und Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht wirbt um Wähler. Eine Gebietsreform gesetzlich zu verordnen, kommt für die Christdemokratin nicht infrage.
"Wir haben es freiwillig getan, von daher geräuschlos. Es muss nicht immer die großen Demonstrationen und die großen Plakate geben. Sondern: mit den Menschen und für die Menschen. Und das wird auch der weitere Weg der Thüringer Union sein."
"Die Strategie der CDU in Thüringen war über zwei Jahrzehnte: Wir sind gut verankert über die Landräte," wirft Bodo Ramelow, Spitzenkandidat der Linken den Konservativen vor, "und über diese Strategie der Landrätepolitik hat man sozusagen eine Landratsrepublik entwickelt."
Ob Lieberknecht oder Ramelow, beide werden, sofern gewählt, auf die schlechte Finanzlage etlicher Kommunen reagieren müssen, Kommunen vergrößern, wohl mit einer Gebietsreform. Gelegentlich gegen den Willen örtlicher Bürgermeister und Landräte.
Geras Straßenbahn fährt einstweilen weiter. Ende dieses Monats soll sich entscheiden, was aus den hoch verschuldeten Stadtwerken und Verkehrsbetrieben wird.
Möglich ist, dass manche Beschäftigte ihre Arbeit verlieren und Fahrpläne dünner werden. Ziemlich sicher ist: Die geplante, neue Straßenbahnlinie wird es bis auf Weiteres nicht geben.