Der CDU-Politiker Thadäus König ist neuer Landtagspräsident in Thüringen. Doch die Vorgänge rund um die Wahl werden vielfach als einmalig in der Geschichte des deutschen Parlamentarismus bezeichnet. Das Landesverfassungsgericht musste die AfD zur Ordnung rufen. Das habe Schaden verursacht, so Experten. Doch was nun folgen muss, dazu gehen die Einschätzungen auseinander.
Warum gab es bei der Wahl des Landtagspräsidenten in Thüringen Chaos?
Chaos, Streit und hitzige Debatten: Der erste Versuch, einen Landtagspräsidenten in Thüringen zu wählen, endete im Debakel und musste abgebrochen werden.
Entzündet hatte sich der Konflikt besonders an einem von CDU, BSW, Linke und SPD unterstützten Antrag auf Änderung der Geschäftsordnung beim Wahlverfahren für den Landtagspräsidenten. Der Antrag sah vor, dass bereits vom ersten Wahlgang an Kandidaten aus allen Fraktionen vorgeschlagen werden können. Nach der bei dieser Sitzung geltenden Geschäftsordnung hatte die AfD als stärkste Fraktion (32 von 88 Sitze) das Vorschlagsrecht für einen Kandidaten.
Die anderen Fraktionen machten allerdings schon im Vorfeld klar: Sie wollen niemanden von der Partei, die nach Einschätzung des Thüringer Verfassungsschutzes gesichert rechtsextrem ist, an der Spitze des Landtags. Der Landtagspräsident hat das zweithöchste Amt im Land inne. Zu seinen Aufgaben gehört unter anderem die Sitzungsleitung, aber er fällt auch wichtige Personalentscheidungen in der Landtagsverwaltung. Ohne ihn ist das Parlament nicht voll arbeitsfähig.
In der Sitzung weigerte sich Jürgen Treutler, Alterspräsident der AfD und vorläufiger Sitzungsleiter, den Antrag zum Vorschlagsrecht zuzulassen. Die AfD argumentierte, nur ein Parlament mit einem gewählten Präsidenten könne die Geschäftsordnung ändern.
Auch weitere Abstimmungen verweigerte Treutler. Zudem entzog er Abgeordneten das Wort und hielt eine von vielen Abgeordneten als parteiisch kritisierte Rede. Der erste Anlauf zur Konstitution des Landtags war geprägt von wiederholten Unterbrechungen und Zwischenrufen. Experten bezeichneten die Vorgänge in Erfurt als beispiellos in der deutschen Parlamentsgeschichte.
Schließlich kam es zum Eklat, die Sitzung wurde abgebrochen, die CDU-Fraktion rief das Landesverfassungsgericht an. Sie wollte erreichen, dass die konstituierende Sitzung ordnungsgemäß abläuft und noch vor der Wahl des Landtagspräsidenten über die Geschäftsordnung abgestimmt werden kann.
Der Verfassungsgerichtshof reagierte schnell: Er setzte dem massiv in der Kritik geratenen AfD-Alterspräsidenten Jürgen Treutler am Folgetag in einer einstweiligen Anordnung klare Grenzen. Außerdem widersprach es der Rechtsauffassung der AfD: Die beabsichtigte Regelung, dass sämtliche Fraktionen bereits für den ersten Wahlgang Vorschläge unterbreiten dürfen, „verletzt Verfassungsrecht nicht“, so das Gericht.
Erfolgreiche Wahl beim zweiten Anlauf
Bei der Fortsetzung der konstituierenden Sitzung – zwei Tage nach dem abgebrochenen ersten Versuch – hielt sich Treutler an die Regeln. Und die AfD fügte sich dem Verfassungsgerichtsurteil zum Verfahren bei der Landtagspräsidentenwahl.
Das Parlament beschloss auf Antrag von CDU und BSW mehrheitlich die zuvor nicht zur Abstimmung angenommene Änderung. Somit konnten vom ersten Wahlgang an Kandidaten aus allen Fraktionen vorgeschlagen werden.
Das Parlament beschloss auf Antrag von CDU und BSW mehrheitlich die zuvor nicht zur Abstimmung angenommene Änderung. Somit konnten vom ersten Wahlgang an Kandidaten aus allen Fraktionen vorgeschlagen werden.
Zum neuen Thüringer Landtagspräsidenten wurde der CDU-Abgeordnete Thadäus König gewählt. Der 42-Jährige erreichte mit 54 Stimmen die erforderliche Mehrheit und setzte sich klar gegen AfD-Kandidatin Wiebke Muhsal durch, die 32 Stimmen erhielt.
Die Diplom-Juristin verfehlte auch bei der Wahl der Vizepräsidenten des Thüringer Landtags die erforderliche Mehrheit. Prinzipiell kann sich Muhsal in einem zweiten Anlauf noch einmal für das Vizepräsidentenamt bewerben. Doch eine Wahl ist äußerst unwahrscheinlich. Abgeordnete der anderen Landtagsfraktionen hielten sie bereits vor der Abstimmung für nicht wählbar. Die Parteien haben aber signalisiert, dass sie einen aus ihrer Sicht geeigneteren AfD-Kandidaten wählen würden.
Wie ordnen Experten die Vorgänge im Thüringer Landtag ein?
Durch die Ereignisse rund um die Wahl des Landtagspräsidenten sei Schaden entstanden, sagt der Staats- und Verwaltungsrechtler Christoph Degenhart. Doch es beruhige, dass dieser schnell durch das Verfassungsgericht korrigiert wurde. Es müsse die Lehre daraus gezogen werden, dass sich eine „derartige Obstruktion neben der Verfassung“ – also eine Blockade – letztlich nicht durchsetzen kann und sich letztlich nicht lohnt.
Der Publizist und Jurist Heribert Prantl kritisiert, dass versäumt worden sei, die Regelung zum Vorschlagsrecht für die Landtagspräsidentenwahl rechtzeitig zu ändern. In der vergangenen Legislaturperiode hatte es den Versuch gegeben, in der Geschäftsordnung festzulegen, dass auch anderen Fraktionen ein Vorschlagsrecht bekommen. Doch das war am Widerstand von CDU und Linken gescheitert.
Auch aus Prantls Sicht ist durch die Vorgänge rund um die Landtagspräsidentenwahl ein Schaden entstanden. Dabei gehe es aber nicht nur um die Regularien bei der Konstituierung des Landtags, sondern um grundsätzliche Fragen der Demokratie und Werte wie die Achtung der Menschenwürde. Prantl: „Wenn eine Partei oder ihre Politiker, wie zum Beispiel der Neonazi Höcke, diese Werte massiv bekämpfen, dann ist es Zeit für das, was sich demokratische Mobilmachung nennt.“ Er meine damit „ein politisches Aktionsverbot für diejenigen, die die Grundrechte missbrauchen, um die Grundrechte zu beseitigen“, so Prantl. Das stehe in Artikel 18 des Grundgesetzes.
Christoph Degenhart hält davon „sehr wenig“. Das sei ähnlich wie bei der Diskussion zum Verbot der AfD, so der Jurist. „Das ersetzt nicht die politische Auseinandersetzung. Das kann vielmehr eher polarisierend wirken.“
Die Wahl zum Landtagspräsidenten in Thüringen galt als Test, inwieweit die AfD ihre neue Stärke in den Landesparlamenten ausspielen kann. Dass die AfD dies auch weiter versuchen wird, scheint absehbar. Ein Hebel für die Partei ist, dass sie im Thüringer und im Brandenburger Landtag über eine Sperrminorität verfügt und somit wichtige Entscheidungen blockieren kann.
Warum ist AfD-Kandidatin Wiebke Muhsal umstritten?
CDU, BSW, Linke und SPD im Thüringer Landtag hatten bereits vor der konstituierenden Sitzung erklärt, grundsätzlich keinen Kandidaten der AfD in das Amt des Landtagspräsidenten zu wählen. Die AfD-Kandidatin Wiebke Muhsal ist aber nicht nur wegen ihrer Parteizugehörigkeit umstritten: Muhsal wurde im Jahr 2017 wegen Betrugs verurteilt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass sie den Arbeitsvertrag einer Mitarbeiterin rückdatiert hatte, um sich dadurch unrechtmäßig finanzielle Vorteile zu verschaffen: Büroausstattung, Handy und die Finanzierung ihres Internetauftritts.
Aus der AfD wurde indes betont, dass Muhsal eine erfahrene Politikerin sei und ihre Rolle als Mutter und Juristin ebenfalls ihre Eignung unterstreiche. Der parlamentarische Geschäftsführer Torben Braga beklagte: Unabhängig davon, wen die AfD vorgeschlagen hätte, hätten die anderen Fraktionen immer einen Grund gefunden, den Kandidaten abzulehnen.
og, abr