Thüringen zählt mit seinen gut zwei Millionen Einwohnern zu den kleinsten Bundesländern der Republik, dennoch richten sich am 1. September 2024 die Blicke in Richtung Erfurt zum thüringischen Landtag. Denn die Wahl des Parlaments könnte eine politische Zäsur einläuten: In den aktuellen Umfragen liegt die im Land als gesichert rechtsradikal eingestufte AfD vorn.
In Thüringen haben außerdem Die Linke und das Bündnis Sahra Wagenknecht mehr Einfluss als auf Bundesebene. Die Linke regiert in einer rot-rot-grünen Minderheitsregierung, doch Ministerpräsident Bodo Ramelow hat nach fast zehn Jahren nur geringe Chancen auf eine Verlängerung seiner Amtszeit.
Trotz bundesweiter Proteste setzten CDU und FDP zunehmend darauf, im Landtag Mehrheiten gegen die rot-rot-grüne Regierungskoalition mit Unterstützung der AfD zu suchen. SPD, Linke und Grüne warnen dabei regelmäßig vor einem Dammbruch. Vor der Landtagswahl ist die Parteienlandschaft stark zersplittert - Koalitionen zu schmieden könnte kompliziert werden.
Wer sind die Spitzenkandidaten bei der Landtagswahl in Thüringen?
Bodo Ramelow (Die Linke)
Der amtierende Ministerpräsident versucht, sein Amt zu verteidigen, obwohl seine Partei in den Umfragen stark an Boden verloren hat. Bodo Ramelow ist - mit kurzer Unterbrechung - seit 2014 Ministerpräsident von Thüringen und der bisher einzige Ministerpräsident in Deutschland, der von der Linken gestellt wird. Er positioniert sich als entschiedener Gegner der AfD und warnt vor einer weiteren Stärkung rechtsextremer Kräfte in Thüringen.
Mario Voigt (CDU)
Mario Voigt ist seit 2020 Vorsitzender der Thüringer CDU. In seiner Wahlkampagne kündigte er an, die Wirtschaft stärken und Bürokratie abbauen zu wollen. Außerdem setzt Voigt im Wahlkampf auf das Thema Migration. Er möchte Rückführungszentren einrichten und Sachleistungen statt Geldleistungen für Geflüchtete einführen.
Voigts CDU arbeitete bei vielen Gesetzesvorhaben mit der rot-rot-grünen Minderheitsregierung zusammen. Er setzte aber auch Gesetze mit Stimmen der FDP und AfD durch. Voigt schließt sowohl eine Koalition mit der Linken als auch mit der AfD aus. Seine Teilnahme an einer gemeinsamen Fernsehsendung mit dem rechtsextremen AfD-Kandidaten Björn Höcke sorgte aber für Kontroversen.
Björn Höcke (AfD)
Björn Höcke ist einer der umstrittensten Akteure der AfD. Der rechtsextreme Politiker führt die Partei in Thüringen bereits seit mehreren Jahren und hat sie zur stärksten Kraft im Land aufgebaut. Er ist mehrfach wegen Nazi-Parolen verurteilt worden. Im Wahlkampf setzt er auf Themen wie Migration, innere Sicherheit und eine radikale Ablehnung des politischen Establishments.
Katja Wolf (BSW)
Katja Wolf hat in der Linken Karriere gemacht, galt als eines der bekannten Gesichter der Partei in Thüringen. Drei Jahre lang gehörte sie dem Landtag an. Von 2012 bis Juni 2024 war sie Oberbürgermeisterin in Eisenach. Nun ist sie Landesvorsitzende des neu gegründeten Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW) in Thüringen. Ihren Wechsel zum BSW begründet sie mit der Sorge, dass nach der Wahl keine stabilen Mehrheiten zustande kommen könnten und die AfD als Regierungspartei verhindert werden müsse. Mit einem starken BSW wäre eine Koalition mit CDU und SPD denkbar, ein Bündnis zwischen der Linken, CDU und SPD dagegen ausgeschlossen.
Georg Maier (SPD)
Der Innenminister Thüringens tritt für die SPD an. Maier betont vor allem die soziale Sicherheit als zentrales Anliegen seiner Partei.
Madeleine Henfling, Bernhard Stengele (Grüne)
Die Grünen gehen mit einem Kandidaten-Duo in den Wahlkampf. Henfling und Stengele setzen sich vor allem für Umwelt- und Klimaschutz ein.
Thomas Kemmerich (FDP): Thomas Kemmerich ist insbesondere durch seine umstrittene Wahl zum Ministerpräsidenten im Februar 2020 auch bundesweit bekannt geworden. Er wurde unter anderem mit den Stimmen der AfD gewählt, trat jedoch nach massiver Kritik und Protesten schnell zurück. Unterstützung von der Bundespartei für seinen Wahlkampf erhält er nicht.
Wie sehen die aktuellen Umfragen zur Landtagswahl in Thüringen aus?
Zwei Wochen vor den Landtagswahlen liegt die Thüringer AfD in einer INSA-Umfrage (Stand: 24.08.2024) mit 30 Prozent deutlich vorn.
Ein spannendes Kopf-an-Kopf-Rennen zeichnet sich um den zweiten Platz ab, den sich die CDU mit 21 Prozent und das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) mit 20 Prozent liefern. Da die AfD als stärkste Partei vermutlich keine Mehrheiten für einen Regierungschef stellen kann, könnte der zweite Platz für das Amt des Ministerpräsidenten entscheidend werden.
Die Linke - 2019 noch die dominierende Partei - würde nur noch 14 Prozent erzielen, die SPD 6 Prozent. Die Grünen (3 Prozent) und die FDP (3 Prozent) würden den Einzug ins Parlament verpassen.
Zu ähnlichen Ergebnissen kommen auch andere Umfragen.
Die Umfrageergebnisse zeigen: Das traditionelle Parteisystem zerfällt zunehmend, wobei die CDU als einzige große traditionelle Partei stabil bleibt. Die Grünen und die FDP könnten den Einzug in das nächste Parlament verpassen, während die SPD knapp über der 5-Prozent-Hürde bleibt. Obgleich Bodo Ramelow nach wie vor beliebt ist, verliert seine Partei, Die Linke, an Einfluss.
Welche Themen bewegen im thüringischen Wahlkampf?
Die alles überlagernde Frage lautet: Wie schneidet die AfD ab? Und welche Chancen hat das Bündnis Sahra Wagenknecht?
Die Menschen sind unzufrieden mit der Regierungsführung, sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene. Die Linke verliert bundesweit an Unterstützung und die Minderheitsregierung bringt zu wenig Fortschritt: Es werden weniger Gesetze verabschiedet als gewohnt, und viele Dinge ziehen sich über Monate und Jahre hin, ohne geregelt zu werden - etwa bei den Themen Überalterung und Abwanderung.
Laut dem Thüringen-Monitor 2023, eine repräsentative Studie zu den politischen Einstellungen der Thüringer, führt dies dazu, dass immer mehr Menschen nach politischen Alternativen suchen. Nur 17 Prozent vertrauen etwa der Bundesregierung, nur etwa 30 Prozent der Landesregierung. Der Thüringen-Monitor zeigt zudem eine Zunahme rechtsextremer Einstellungen auf 19 Prozent.
An den Wahlkampfständen in Thüringen verfangen daher die Themen Asyl und Migration. Die AfD stößt mit ihrem Thema „Zuwanderung steuern und begrenzen“ auf offene Ohren.
Das BSW kann vor allem mit der Position, keine Waffen an die Ukraine liefern zu wollen, auf sich aufmerksam machen.
Im Wahlkampf präsentierte AfD-Spitzenkandidat Björn Höcke zudem einen heftig diskutierten 5-Punkte-Plan für den Umbau Thüringens. Dort kündigte er unter anderem an, den Klimaschutz zu beenden, die Medienstaatsverträge zu kündigen und Fördermittel gegen Rechtsextremismus und für Demokratie und Vielfalt zu streichen.
Höcke hatte außerdem in einem Video angekündigt, wieder eine "ordentliche Rechtspflege" einzuführen, falls die AfD an die Regierung kommen sollte. Die Äußerung ist in Teilen der Justiz als Drohung verstanden worden.
Obwohl eine Regierungsbeteiligung der AfD als unwahrscheinlich gilt, könnte die Partei bei einem starken Wahlergebnis die Ernennung von Richtern im Landtag blockieren und dadurch die Justiz erheblich beeinträchtigen. Experten warnen, dass dies zur Dysfunktionalität des Landesverfassungsgerichts führen könnte. Vorschläge zur Stärkung der Justiz wurden bisher allerdings nicht umgesetzt.
Die angekündigten Maßnahmen Höckes werden vielfach als Angriff auf das demokratische System gewertet.
Welche Koalitionen sind denkbar in Thüringen?
Eine Koalition aus CDU, BSW und SPD hätte eine knappe Mehrheit. Auch Bündnisse aus CDU, BSW und Linke sowie aus AfD und CDU oder AfD und BSW wären möglich, wurden jedoch von den beteiligten Parteien ausgeschlossen.
CDU-Chef Mario Voigt bevorzugt eigentlich eine Koalition aus CDU, SPD und FDP. Angesichts der Umfrageergebnisse scheint jedoch eine Mehrheit für diese bürgerliche Koalition ausgeschlossen. CDU und SPD kämen zusammen nur auf 27 Prozent, und es ist unklar, ob die FDP überhaupt den Sprung ins Parlament schafft.
Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) hat trotz seiner voraussichtlichen Abwahl immer noch eine hohe Beliebtheit. Bei einer Umfrage nach dem gewünschten Ministerpräsidenten drei Wochen vor der Wahl lag er deutlich vorne - sowohl im direkten Vergleich zu Björn Höcke (AfD) als auch im direkten Vergleich zu Mario Voigt (CDU). Müssten sich die Befragten zwischen Höcke und Voigt entscheiden, würden 65 Prozent für den CDU-Kandidaten votieren. Nur 16 Prozent würden Höcke präferieren.
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