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Thüringen
Minister noch im Amt - oder nicht?

Die verfahrene Lage in Thüringen verunsichert die Landesminister: Sind sie noch im Amt oder nicht? Laut Verfassung müssen sie die Geschäfte bis zum Amtsantritt ihrer Nachfolger fortführen. Doch es wurde kein neues Kabinett bestimmt. Die Verfassungslage ist unklar, eine klare Rechtssprechung fehlt.

Von Henry Bernhard |
Der runde Plenarsaal im Thüringer Landtag
Die Minister der abgelösten Rot-Rot-Grünen Regierung Bodo Ramelow (l.) haben vergangenen Mittwoch ihre Büros geräumt und ihre Verantwortung an die Staatssekretäre abgegeben. (dpa/Martin Schutt)
Die politische Lage in Thüringen ist verfahren und treibt noch weitere bizarre Blüten. Befragt, wer die Landesregierung gerade darstellt, antwortet Thomas Philipp Reiter, der Sprecher des geschäftsführenden Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich:
"Es hat einen Ministerpräsidenten, der die Aufgaben aller Minister derzeit juristisch mit zu übernehmen hat. Faktisch ist es so, dass die Staatssekretärinnen und Staatssekretäre der Vorgänger-Regierung brieflich und auch persönlich gebeten wurden, die Amtsgeschäfte fortzuführen in den jeweiligen Häusern, und das tun sie auch."
Die Minister haben ihre Büros geräumt
Die Minister der abgelösten Rot-Rot-Grünen Regierung Bodo Ramelow haben am vergangenen Mittwoch ihre Büros geräumt und ihre Verantwortung an die Staatssekretäre abgegeben. Auch der grüne Justizminister Dieter Lauinger.
"Da standen zwei oder drei Umzugskartons für mich bereit, da habe ich alles reingepackt. Und dann habe ich Schlüssel abgegeben, Handy abgegeben, iPad abgegeben. Und der Fahrer fährt sie zum letzten Mal nach Hause."
Verunsicherung bei den Amtsträgern
Georg Maier [*], SPD-Mitglied, war bis zur letzten Woche Innenminister und auch Vorsitzender der deutschen Innenministerkonferenz. Ob er aber noch Minister ist oder nicht, darüber ist er sich nicht ganz sicher.
"Das ist eine gute Frage. Ich gehe davon aus, dass ich es nicht bin. Jetzt ist es allerdings so, dass wir in Thüringen die Situation haben, dass wir zwar einen Ministerpräsident haben, der zwar zurückgetreten und nur noch geschäftsführend im Amt ist, aber keine Minister mehr. Das ist natürlich eine neue Situation. Und es gibt jetzt eine juristische Diskussion, da gibt es Einzelmeinungen, die sagen: Die Minister sind doch noch im Amt. Ich kann es nicht abschließend beurteilen."
Ramelow sprach Ersuchen um Amtsfortführung aus
Die "Einzelmeinung" stammt von zwei jungen Staatsrechtlern der Universität Potsdam, Michael Meier und Robert Wille. Sie argumentieren, dass laut Artikel 75 der Thüringer Landesverfassung die Minister am Ende ihrer Regierung auf Ersuchen des Ministerpräsidenten verpflichtet sind, ihre Geschäfte bis zum Amtsantritt ihrer Nachfolger fortzuführen. Da der in der letzten Woche gewählte Ministerpräsident Thomas Kemmerich aber kein neues Kabinett berufen habe, seien die Minister noch im Amt, da der scheidende Ministerpräsident Bodo Ramelow dieses Ersuchen um Amtsfortführung unmittelbar nach der Landtagswahl im Oktober an seine Minister gerichtet habe. Der neue Ministerpräsident Thomas Kemmerich aber habe dies niemals beendet, argumentiert Michael Meier:
"Nach unserer Auffassung gilt sie weiter, denn das Ersuchen ist ja mehr oder weniger eine einmalige Erklärung, die abgegeben wird. Und genau wie alle anderen Akte, die Ministerpräsident Bodo Ramelow zu seiner Amtszeit vorgenommen hat, ist es unserer Ansicht nach auch bei diesem Ersuchen so, dass es fortbesteht; es sei denn, das Ersuchen wird später widerrufen."
Widerspruch von Kemmerichs Sprecher
Hier widerspricht Thomas Philipp Reiter, der Sprecher Thomas Kemmerichs.
"Nein, nein, sie sind nicht mehr Minister! Das ist einfach so geübte Praxis. Und dagegen gibt es auch außer einer etwas verfassungstheoretischen Diskussion überhaupt keinen Widerspruch. Die Staatssekretärinnen und Staatssekretäre führen die Häuser; die Minister sind nicht mehr da, sie fühlen sich nicht mehr im Amt, sie sind es auch nicht mehr. Und da ist die Frage, ob sie jemals eine Urkunde ausgehändigt bekommen haben, wo drauf steht, sie sind nicht mehr im Amt, komplett unerheblich."
Dieser Interpretation der Thüringer Verfassung wollen sowohl die Minister aus der Regierung Ramelow als auch der geschäftsführende Ministerpräsident Thomas Kemmerich gern glauben, denn linke, sozialdemokratische und grüne Minister unter dem FDP-Mann Kemmerich, der unter anderem durch die Stimmen der AfD ins Amt gekommen ist, sind schwer vorstellbar.
Staatsrechtler sind uneins
Dennoch findet der ehemalige Justizminister Dieter Lauinger die Argumentation der Potsdamer Juristen, dass er und seine Kollegen noch im Amt seien, nicht völlig abwegig. Auch anderen Staatsrechtlern geht es so. Da die Verfassungslage unklar ist und es noch keine Rechtsprechung dazu gibt, bleibt die Frage zunächst offen. Sie könnte aber relevant werden, falls Thüringen noch Monate ohne neue Regierung bliebe. Vielleicht würde Ministerpräsident Thomas Kemmerich dann doch ganz gern Minister haben. Der grüne Dieter Lauinger wendet ein:
"Das ist ja die neben der juristischen Seite des Streits die schwer vorstellbare politische Seite, wie das funktionieren soll. Aber wenn es denn so sein sollte, dass es Abstimmungen gibt, dann haben acht Minister natürlich auch die Mehrheit in diesem Kabinett."
Dass die Minister der Regierung Ramelow unter einem FDP-Ministerpräsident Thomas Kemmerich weiter ihren Dienst tun müssten, wäre nur eine weitere absurde Facette der politischen Situation in Thüringen.
[*] In einer frühere Version des Textes war der Name versehentlich falsch geschrieben worden. Dies haben wir korrigiert.