Rundfunkfreiheit
"Thüringen-Projekt" rät zu Verfassungsänderung

Was würde passieren, wenn Demokratiefeinde an die Macht kämen? Vor den Landtagswahlen gibt das "Thüringen-Projekt" Empfehlungen, um die Demokratie zu schützen. Mit Blick auf den Rundfunk raten die Experten, die Staatsverträge besser abzusichern.

Hannah Beck im Gespräch mit Benedikt Schulz | Text: Isabelle Klein |
Aussenaufnahme des MDR-Landesfunkhauses in Erfurt
Wenn Björn Höcke Ministerpräsident Thüringens werden würde, könnte er den Staatsvertrag mit dem MDR im Alleingang aufkündigen. (IMAGO / Frank Sorge / Sabine Brose )
Die Meinungs- und Medienfreiheit sind zentrale Grundrechte unserer Demokratie – festgeschrieben gleich zu Beginn des Grundgesetztes in Artikel 5. Doch was wäre, wenn in Deutschland Demokratiefeinde an die Macht kämen? An welchen Stellen könnten sie versuchen, diese Grundrechte zu schwächen - oder gar abzuschaffen?

"Thüringen-Projekt" gibt Empfehlungen zur Demokratieabsicherung

Vor dem Hintergrund der Landtagswahl in Thüringen am 1. September 2024 stellt sich diese Frage gerade ganz konkret. Denn laut dem aktuellen „Thüringen-Monitor“ haben 19 Prozent der Menschen in Thüringen rechtsextreme Einstellungen. Die Thüringer AfD ist laut einer aktuellen MDR-Umfrage mit 29 Prozent Zustimmung die stärkste Partei im Land. Der Landesverband wird vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft, der Thüringer AfD-Spitzenkandidat Björn Höcke darf offiziell als Faschist bezeichnet werden.
Am Beispiel Thüringen haben Wissenschaftler vom „Verfassungsblog“ daher auch untersucht, welche Möglichkeiten eine demokratiefeindliche Partei auf Landesebene hätte, das Grundgesetz zu schwächen oder sogar abzuschaffen – und welche Möglichkeiten es gibt, die rechtsstaatliche Resilienz dagegen zu stärken.
Anlass seien auch Erfahrungen aus anderen europäischen Länder wie Ungarn oder Polen, in denen „in den letzten Jahren Rechtsstaat und Demokratie mit formal-legalen Mitteln untergraben wurden“, heißt es vom „Thüringen-Projekt“ , das am 17. April seine Ergebnisse vorgestellt hat.

Experten empfehlen Verfassungsänderung in Thüringen

Hier empfehlen die Autorinnen und Autoren unter anderem, die öffentlich-rechtlichen Medien abzusichern. Sie machen eine Schwachstelle aus: Unter der aktuellen Thüringer Landesverfassung sei es Ministerpräsidenten möglich, Rundfunkstaatsverträge zu kündigen - auch ohne Einbindung des Landtags. Die AfD in Thüringen hat Pläne einer solche Aufkündigung schon offen diskutiert.
Das Thüringen-Projekt rät deshalb, die Kündigung von Staatsverträgen nur mit Zustimmung des Landtags zu erlauben und hierfür Art. 77 Abs. 2 der Verfassung des Freistaats Thüringen (S. 44) entsprechend zu ergänzen.
Die Experten begründen dies so: „Kündigt der Ministerpräsident die Staatsverträge für ARD, ZDF und MDR, hätte das einschneidende Folgen für die Medienlandschaft und die Thüringer Bevölkerung. Zwar würden die Rundfunkanstalten auch ohne Beteiligung Thüringens mit den übrigen Ländern fortbestehen, allerdings wäre die bundesweite Finanzierung des Rundfunks stark beeinträchtigt und Gremien müssten neu besetzt werden. Die Rundfunkanstalten wären auch nicht mehr berechtigt, ihren Sendebetrieb in Thüringen fortzusetzen“. Auch die Finanzierung der Landesmedienanstalten könnte dann davon betroffen sein.

Beck: Gesamte Rundfunkfinanzierung steht auf dem Spiel

Sollten die Staatsverträge gekündigt werden, würden die Kündigungen erst nach zwei Jahren in Kraft treten, führt Hannah Beck vom "Thüringen-Projekt" im Dlf weiter aus: "Das heißt, wenn wir jetzt annehmen, Björn Höcke wird Ministerpräsident - und er hat schon ein großes Interesse daran bekundet, die Medienstaatsverträge mit ARD, ZDF und MDR zu kündigen - dann könnte er die Medienstaatsverträge beziehungsweise den MDR-Medienstaatsvertrag erst zu 2026 kündigen." Das würde bedeuten, dass der MDR ab 2026 in Thüringen nicht mehr senden dürfte.
Insgesamt würde der Austritt eines einzelnen Bundeslandes aus den Staatsverträgen das gesamte System der Rundfunkfinanzierung destabilisieren, so Beck. Die genauen politischen und gesellschaftlichen Folgen seien aber schwer abschätzbar.

Verfassungsänderung noch vor der Landtagswahl?

Die Frage sei nun, ob sich die Abgeordneten der demokratischen Parteien noch vor der Landtagswahl im September mit einer Zweidrittelmehrheit einigen könnten - etwa auf die vorgeschlagene Verfassungsänderung, so Beck. Denn: Wenn die AfD eine Sperrminortität bekäme, werde eine entsprechende Änderung sehr unwahrscheinlich.