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Thüringen
SPD-Basis uneinig über Koalition

Die Parteiführung hat sich schon dafür entschieden, nun ist die Basis dran: Bis zum 3. November können die thüringischen SPD-Mitglieder über die rot-rot-grüne Koalition abstimmen. Die Parteispitze hofft auf eine hohe Zustimmung, unter den Genossen gibt es jedoch einige Bedenkenträger.

Von Henry Bernhard |
    Ein Wahlurne mit der Aufschrift "SPD".
    Bis zum 3. November haben die Mitglieder Zeit, über die Koalition in Thüringen abzustimmen. (picture alliance/dpa/Martin Schutt)
    Für die SPD ist es der Tag danach. Der Tag nach der Entscheidung für Rot-Rot-Grün. Und das Bedürfnis, darüber zu reden, ist groß. Man kennt sich, man begrüßt sich, die Thüringer Sozialdemokratie ist übersichtlich.
    Der kleine Saal in der Weimarhalle ist schnell gefüllt, 350 Plätze, fast alle besetzt. Das heißt immerhin, dass etwa jeder 12. Thüringer Sozialdemokrat gekommen ist, um zu hören, wie der Landesvorstand die Entscheidung für Rot-Rot-Grün begründet. Die Eröffnung machte Andreas Bausewein, Erfurts Oberbürgermeister, Verhandlungsführer im Sondierungsteam und designierter Parteivorsitzender.
    "Wir hatten Landtagswahlen am Sonntag vor fünf Wochen. Und auch nach 37 Tagen muss man sagen: Das, was wir da erlebt haben, war ein Desaster! Wir haben ein furchtbares Ergebnis eingefahren, was niemand von uns für möglich gehalten hat. Und ich glaube, wegen des Ergebnisses wäre es nicht wenigen von uns recht gewesen zu sagen: Lasst uns mal in die Opposition gehen!"
    "Der Weg ist eine Sackgasse"
    Aber ohne die SPD gibt es keine handlungsfähige Landesregierung. Manche Genossen wollen dennoch eine Ruhepause in der Opposition, zum Regenerieren und Orientieren. Minderheitsregierungen, wie sie die CDU bilden solle, gäbe es schließlich auch in anderen Ländern. Meinte Johannes Behrens-Türk:
    "Seit fast 100 Jahren in Thüringen ist es das schlechteste Ergebnis; das ist eine historische Niederlage. Wir sind abgewählt worden; und wir haben zunächst einmal eine Verantwortung für die SPD, hier mit dieser Situation umzugehen. Nur so haben wir die Chance, wieder zu alter Kraft zurückzufinden. Liebe Genossinnen und Genossen: Ich denke, der Weg jetzt ist in eine Sackgasse."
    Andere stellten die Grundsatzfrage: Darf die SPD überhaupt mit der Linken, mit der SED-Nachfolgepartei koalieren? Für manche ein Unding - wie es exemplarisch Stefan Sandmann vorbrachte, ein junger Sozialdemokrat aus Ilmenau:
    "Das ist eine Schande für die SPD, wir werden Austritte in Größenordnungen haben. Ich könnt' heulen, das ist zum Kotzen, was hier abläuft. Das ist eine Riesen-Sauerei, dass wir uns mit den Kommunisten, mit den Stasi-Spitzeln vereinigen und dass wir mit denen gemeinsame Sache machen! Unsere Vorfahren haben sie 1949 hier vier Kilometer ins KZ gebracht, die nicht in die SED wollten, in sogenannte "Umerziehungslager". Die sind dort jämmerlich verreckt! Und ihr wollt hier jetzt mit den Kommunisten gemeinsame Sache machen - das geht nicht!"
    Moralische Bedenken
    Für Sandmann, der mit seiner extremen Ablehnung von Rot-Rot-Grün nur wenig Beifall erhielt, wäre aus moralischen Gründen nur eine Koalition mit der CDU möglich. Die Parteispitze aber argumentierte, dass es nicht um Moral, sondern um Inhalte ginge: Die Linke sei nicht mehr die SED, 25 Jahre seien vergangen, das Personal inzwischen ein anderes. Jakob von Weizsäcker, Europaparlamentarier, lobte unter Beifall die Verhandlungsergebnisse der Sondierer und betonte, dass es ihm in einer Koalition auf Personen, Programme und Perspektiven ankäme.
    "Und die Gefahr wird nicht sein, dass die Linkspartei den Kommunismus in Deutschland wieder einführen will, sondern die Gefahr ist eher eine andere: Dass die Linkspartei nichts lieber wäre als eine zweite Sozialdemokratische Partei!"
    Bei allen moralischen Bedenken zeichnete sich jedoch schnell ab, dass die Mehrheit der anwesenden Genossen den Kurs der Parteispitze auf Rot-Rot-Grün gutheißt, dass für sie die Linke die kleinere Kröte gegenüber der CDU ist, die die SPD schlucken muss. Marion Rosin, für die SPD neu im Landtag, hätte schon vor fünf Jahren das Experiment Rot-Rot-Grün gestartet.
    "Ich freue mich eigentlich, dass ich jetzt erfahre, dass es funktionieren kann, wenn man wirklich pragmatisch mit den Genossen diskutiert. Und ich akzeptiere auch die Meinung vieler älterer Genossen, die da jetzt ihre Probleme haben. Und dafür - haben wir auch eben hier draußen mit den Kollegen diskutiert hier außerhalb - , dass wir gesagt haben: Dafür ist das Mitgliedervotum da, dass die einfach die Chance haben, ihre Meinung zu äußern. Die Beteiligung, das ist das Wichtigste hier!"
    Die ersten Mitglieder-Entscheid-Briefe wurden heute verschickt. Bis zum 3. November können die Sozialdemokraten einer Koalition mit den Linken zustimmen oder sie ablehnen. Die gebeutelte Parteiführung hofft auf über 70 Prozent Zustimmung. Marion Rosin steht vor dem Saal und ist optimistisch:
    "Und ich hoffe, dass es so ausgeht, wie der heutige Abend gelaufen ist meiner Meinung nach."