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Thüringen
Wie die SPD Genossen versorgt

Die Thüringer SPD wollte nach dem schlechten Abschneiden bei der Landtagswahl 2014 einen Neuanfang machen. Doch statt eines personellen Wechsels halten alte Köpfe wie der Ex-Vorsitzende Christoph Matschie an ihrer Macht fest.

Von Henry Bernhard |
    Heike Taubert, Andreas Bausewein und Christoph Matschie sitzen an einem Tisch bei einer Parteisitzung.
    Die Thüringer SPD nach der Landtagswahl: Heike Taubert, Christoph Matschie (r.) und Andreas Bausewein (dpa / Martin Schutt)
    Das Drama beginnt am 14. September: Bei den Thüringer Landtagswahlen sind nur 12,4 Prozent der Stimmen für die SPD. Die Spitzenkandidatin Heike Taubert muss eingestehen:
    "Unser Ergebnis ist einfach schlecht; anders kann man das nicht bezeichnen."
    Ihr Vorsitzender Christoph Matschie, der für das Wahlergebnis maßgeblich mitverantwortlich ist, verschwindet am Wahlabend schnell. Auch in seinem Wahlkreis war er desaströs eingebrochen. Erst später auf dem Parteitag verkündet er:
    "Weder inhaltlich noch in der Präsentation unserer Spitzenkandidatin haben wir eine klare Antwort gegeben auf die Frage: Warum SPD wählen bei dieser Wahl?"
    Die Wähler wussten das auch nicht. Nun müssten aber Köpfe rollen, hieß es damals in der SPD. Der Vorsitzende Matschie sieht das irgendwann ein und verkündet:
    "Und mein Beitrag für einen Neuanfang – auch personell – an der Parteispitze ist, dass ich für dieses Amt nicht wieder kandidiere."
    Drei Monate später: Die SPD hat einen neuen Vorsitzenden: Andreas Bausewein. Ein großer Mann im noch größeren Anzug. Er will den Neuanfang:
    "Es gab selten mal eine Regierungsbildung, die derart kompliziert war wie das, was jetzt vor uns liegt."
    Immer an seiner Seite in den Sondierungen, in den Koalitionsverhandlungen: sein Vorgänger, Christoph Matschie. Ein alter Fuchs und geschickter Verhandler. Der neue Parteivorsitzende verspricht ihm, dass er schon für ihn sorgen werde, dass er nicht mit seinem Abgeordnetenmandat sitzengelassen wird. Matschie, in der alten Regierung Kultusminister, baut sich das Wirtschaftsministerium nach seinen Vorlieben um. Und sagt das, was alle ehrgeizigen Politiker sagen und nie meinen.
    "Über Posten wird ganz am Schluss geredet und nicht am Anfang."
    Matschie will nicht von der Macht lassen
    Erstaunt sieht er, dass die gescheiterte SPD-Spitzenkandidatin Taubert Finanzministerin, ja gar Vize-Ministerpräsidentin werden soll. Zu spät bemerkt er, dass sein Vorsitzender längst einen anderen Wirtschaftsminister vorgesehen hat: Wolfgang Tiefensee aus Sachsen. Zu groß ist das Aufbegehren an der Basis gegen Matschie. Viele Genossen sind fassungslos, dass Matschie nicht von der Macht lassen will. Kaum einer sagt das ins Mikrofon. Nur Torsten Haß, SPD-Kreisvorsitzender in Erfurt, traut sich.
    "Ich glaube, das ist nicht das richtige Zeichen. Ich glaube, der wirkliche Wechsel, den die Leute auch sehen wollen, den auch die Partei sehen will – wir wollen in Thüringen gerade einen Politikwechsel machen; und ich glaube nicht, dass das die Köpfe von gestern können!"
    Zum Trost will Bausewein Matschie zum Staatssekretär machen, doch der lehnt beleidigt ab, Staatssekretär, noch dazu unter Bodo Ramelow, das ist unter seiner Würde. Nun sind alle Posten vergeben. Matschie sagt alle Termine ab, ist verstockt. Noch anderthalb Wochen bis zur Ministerpräsidenten-Wahl. Jeder weiß: Am 5. Dezember wird jede Stimme gebraucht. Ein zu kurz gekommener Politprofi im Landtag ist dafür ein unkalkulierbares Risiko. Da erscheint der rettende Engel. Der Fraktionsvorsitzende Matthias Hey.
    "Es gab ja Gespräche, in denen ich sehr bewusst den Fraktionsvorsitz mit zur Diskussion gestellt habe."
    Hey bietet seinen Posten an. Als Fraktionsvorsitzender hat man einiges zu sagen, noch mehr zu tun und bekommt immerhin doppelte Diäten. Aber Matschie lehnt ab. Er will nicht den Eindruck erwecken, versorgt zu werden. Er will immer noch Minister werden. Der Parteivorsitzende Bausewein wird langsam sauer. Er will das Problem vom Tisch haben, ein Scheitern Ramelows an einer fehlenden Stimme wäre ein Desaster für die SPD. Noch einmal bietet der Fraktionsvorsitzende Matthias Hey Christoph Matschie sein Amt an. Wieder schlägt Matschie aus. Das Wort von der Erpressung macht die Runde. Torsten Haß meint:
    "Das Wort 'kaufen' ist glaube ich nicht das richtige im politischen Raum. Es geht darum, Mehrheiten zu organisieren und ... Ja ..."
    Zwei Tage vor der Ministerpräsidenten-Wahl lässt Matschie plötzlich erkennen, dass er den Fraktionsvorsitz doch übernehmen würde. Doch bevor es zum klärenden Gespräch kommt, liest Matthias Hey im Internet, dass er zurückgetreten sei und Matschie übernehme. Hey ist entsetzt:
    "Das Schlimmste für mich ist, dass nach außen ein Bild entstehen könnte, dass gerade einen Tag vor der MP-Wahl irgendeine Personalentscheidung gefallen ist, um ein bestimmtes Stimmengewicht zu erzielen."
    Am nächsten Tag zur Wahl des Ministerpräsidenten erscheint Hey mit angesäuerter Mine. SPD-Funktionäre verbreiten, dass Hey ohnehin nicht Fraktionsvorsitzender sein wollte und man die Altlast Matschie ein bis zwei Jahre zwischenparken müsse, bis man ihn nirgendwo endlagern könne.
    Inzwischen ist Bodo Ramelow gewählt, im zweiten Wahlgang. Keiner weiß, wessen Stimme im ersten Wahlgang gefehlt hat. Aber die SPD-Fraktion ist sauer. Matthias Hey ist beliebt, gilt als Hoffnungsträger. Sie wollen ihn nicht eintauschen gegen Christoph Matschie, den Mann von gestern, der oft belehrungsresistent wirkt.
    "Und wie das dann auch kolportiert wurde in den Medien! Wir seien erpresst worden! Hier sei eine Stimme eingekauft worden! –, das ist natürlich nicht schön und für viele einfach ein unerträgliches Bild, was nach außen gezeichnet wird."
    Doch Matschie und der Parteivorsitzende Bausewein rücken im Landtag an. Sie wollen die Fraktion zwingen, Matschie zum Vorsitzenden zu wählen. Es wird laut hinter den verschlossenen Türen. Am Ende kommt der wutschnaubende Matschie heraus. Er wird sich nicht der Wahl zum Fraktionsvorsitzenden stellen, da er keine Chance hätte. Der Parteivorsitzende Bausewein ist genervt, denn das Manöver hat ihn und die SPD beschädigt. Der alte und sicher neue Fraktionsvorsitzende Hey ist auch sauer. Nur die SPD-Abgeordneten sind erst einmal froh. Sie behalten ihren Chef und denken lieber noch nicht daran, wie ihr waidwunder Kollege Christoph Matschie in Zukunft im Landtag abstimmen wird. Beschädigt sind sie alle. Rot-Rot-Grün hat eine Mehrheit von einer Stimme – Christoph Matschies Stimme zum Beispiel.