Archiv

Thüringens Innenminister Maier zur rechten Unterwanderung
"Die Gleichgültigkeit ist das eigentliche Gift"

Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) warnt vor rechter Unterwanderung in "gewissen ländlichen Regionen" Mitteldeutschlands. Im Dlf appellierte er an die Zivilgesellschaft, entschieden gegen eine Übernahme dörflicher Strukturen durch rechte Kräfte aufzutreten.

Georg Maier im Gespräch mit Rainer Brandes |
06.10.2018, Thüringen, Apolda: Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) spricht bei einer Demonstration gegen ein Rechtsrock-Konzert, das in dem kleinen Ort stattfinden soll. Foto: Bodo Schackow/dpa-Zentralbild/dpa | Verwendung weltweit
"Der Boden ist bereitet", warnt Georg Maier (SPD) vor rechten Strukturen im ländlichen Mitteldeutschland. "Darauf können Dinge wachsen, die bis in den rechtsterroristischen Bereich gehen können." (picture alliance / dpa / Bodo Schackow)
Thüringens Innenminister Georg Maier hat im Dlf seine in einem Zeitungsinterview ausgesprochene Warnung vor einem schleichenden Aufbau rechtsextremer Strukturen auf dem Land bekräftigt. Große Rechtsrock-Konzerte gehörten zwar der Vergangenheit an, das sei ein Erfolg, sagte der Thüringer SPD-Mann rund drei Wochen vor der Landtagswahl. Neuere Ansätze kämen aber perfider daher, sozusagen auf leisen Pfoten.
So gebe es in gewissen ländlichen Regionen besonders umtriebige Rechte, die Immobilien kauften, Gaststätten betrieben und Basare sowie Liederabende veranstalteten. Sie gäben sich und ihren Aktivitäten "ein Mäntelchen des Bürgerlichen" und schafften es so, immer mehr in die Gesellschaft einzusickern.
Polizisten bei der Beobachtung eines Rechtsrock-Konzerts in Kloster Veßra, Thüringen
Polizisten bei der Beobachtung eines Rechtsrock-Konzerts in Thüringen. Es sollte zuerst anderswo stattfinden und wurde dann kurzerhand als Versammlung auf einem Privatgrundstück angemeldet. (picture alliance / dpa / Steffen Ittig)
Dagegen sei in einzelnen Fällen schon erfolgreich mit Paragraphen und öffentlicher Diskussion vorgegangen worden, etwa beim Versuch eines rechten Wirts und Kommunalpolitikers, seinen Immobilienbesitz am Kloster Veßra zu vergrößern. Ein anderer Investor habe das zum Verkauf stehende Grundstück schließlich erworben.
Verfassungsschutz kommt an seine Grenzen
Der Chef des thüringische Verfassungsschutzes Stephan Joachim Kramer fordert schon lange mehr Geld von der Regierung. Darüber gebe es aber einen "tiefgreifenden Dissens" mit der Linkspartei. Bei vielen anderen Themen komme Rot-Rot-Grün in Thüringen allerdings gut zusammen, so Maier.
Bei allen rechtsstaatlichen Mitteln könne er als Innenminister lang gewachsene rechte Strukturen nicht alleine zerschlagen. "Wir brauchen eine gesellschaftliche Bewegung, die sich dagegen wehrt", sagt der Minister, der in Teilen der Bevölkerung Gleichgültigkeit beobachtet. "Die Gleichgültigkeit ist das eigentliche Gift", sagte er im Dlf.
Es brauche einen breiten Konsens darüber, dass es keine positive Entwicklung sei, wenn Rechte leerstehende Gaststätten auf dem Land wiederbeleben.

Das gesamte Interview im Wortlaut:
Rainer Brandes: In einem Interview mit der Zeitung "Die Welt" schlägt der thüringische Innenminister Alarm. Überall in Mitteldeutschland breiteten sich Rechtsextreme aus. Sie bildeten Strukturen, die für terroristische Ziele genutzt werden könnten, sagt Minister Georg Maier. Er ist SPD-Mitglied. Jetzt muss man wissen, Thüringen steht vor einer Landtagswahl, Ende des Monats wird gewählt, die Regierung aus Linken, SPD und Grünen muss um ihre Mehrheit bangen. Gestern Nachmittag hatte ich Gelegenheit, Georg Maier selbst zu befragen.
Herr Maier, Sie sagen, gerade im ländlichen Raum könnten Neonazis unverhohlen auftreten. Sie können Strukturen bilden, Häuser kaufen, Liederabende veranstalten. Warum dulden Sie das?
Georg Maier: Ich dulde das nicht. Ich habe jetzt nur noch mal darauf hingewiesen, was ich übrigens schon seit geraumer Zeit tue. Wir haben in Thüringen in gewissen Regionen, in gewissen ländlichen Regionen, nicht flächendeckend, ein Problem mit wachsenden rechtsextremen Strukturen.
Brandes: Aber Sie sagen, das Problem besteht in ganz Mitteldeutschland.
Maier: Ja, also es gibt jetzt, sag ich mal, gewisse Schwerpunkte. Gewisse Regionen sind deswegen Schwerpunkt, weil es dort besonders umtriebige Rechtsextreme gibt, die eben das tun, was ich ja eben auch gesagt habe, eine neue Strategie anwenden, indem sie Immobilien kaufen, indem sie Gaststätten betreiben, indem sie Liederabende veranstalten, Basare. Die geben sich so ein Mäntelchen des Bürgerlichen, und ihnen gelingt es, immer weiter einzusickern in gesellschaftliche Kreise.
"Lange Zeit gedacht, das wird sich irgendwann erledigen"
Brandes: Jetzt ist es aber so, dass die SPD ja in Thüringen seit 2009 ununterbrochen mitregiert, und auch in den 1990er-Jahren haben sie schon mal mitregiert. Haben Sie da also auch weggesehen, Ihre Partei?
Maier: Ich glaube, es gibt tatsächlich das Phänomen, dass man lange Zeit gedacht hat, das wird sich irgendwann erledigen, und das hat dazu geführt, dass eben jetzt, sag ich mal, diese Strukturen gewachsen sind. Ich bin seit zwei Jahren im Amt, ich hab von Beginn an gesagt, ich mache den Kampf gegen rechtsextremistische Strukturen zur Chefsache, weil wir in Thüringen insbesondere mit dem Rechtsrock konfrontiert sind. Sie haben bestimmt die Bilder noch vor Augen, das Thema, als im Jahr 2017 im Sommer über mehrere Tausend, 6.000, 7.000 Nazis zusammenkamen und es dann zu diesen hässlichen Bildern kam, wie sie alle zusammen "Sieg Heil" gegrölt haben.
Brandes: Aber bisher scheint Ihr Bemühen da ja nicht sehr weit gekommen zu sein, wenn Sie jetzt sagen, da bilden sich potenziell terroristische Strukturen aus.
Maier: Wir haben wichtige Erfolge erzielt, da bin ich auch recht stolz drauf. Wir haben es geschafft, sag ich mal, das Phänomen Rechtsrock, was ja im Grunde die Gelddruckmaschine ist für rechtsextreme Strukturen, zurückzudrängen. Wir haben es geschafft, die großen Rechtsrock-Konzerte in den letzten zwei Jahren zu verhindern – mit viel Energie und Einsatz, weil wir bewegen uns im Bereich des Versammlungsrechts, und es ist immer schwierig, als politische Versammlung getarnte Veranstaltungen zu verbieten. Wir haben am Anfang einige Niederlagen kassiert, und jetzt haben wir sehr viel Erfolge gehabt, sodass wir – und meine Hoffnung ist nicht ganz unbegründet – glauben können, dass wir in Thüringen keine großen Rechtsrock-Konzerte mehr haben werden. Das ist ein Aspekt, der sicherlich auf der Erfolgsseite zu verbuchen ist.
"Wir haben auch schon wichtige Erfolge erzielt"
Brandes: Aber das ist ja nur dieser eine Aspekt, Rechtsrock-Konzerte, die sind ja, sag ich mal, jetzt für jeden erkennbar als rechtsextreme Veranstaltung. Aber es geht ja da darum, dass Rechtsextreme in die bürgerliche Gesellschaft hineinsickern, das geht ja bis in die AfD hinein, die vielleicht 25 Prozent jetzt bei der Landtagswahl bekommen wird. Das heißt, ist das nicht ein komplettes Versagen aller anderen Parteien, den Rechtsextremen diesen Raum gelassen zu haben?
Maier: Nein. Also noch mal: Ich glaube, zumindest unter Rot-Rot-Grün wurde jetzt sehr deutlich gegen Rechtsextremismus vorgegangen, und das nehme ich jetzt einfach auch mal für mich persönlich in Anspruch, dass wir hier nicht mehr ganz am Anfang stehen, sondern auch schon wichtige Erfolge erzielt haben. Worum es mir jetzt ging, ist, einfach auch noch mal den Fokus darauf zu richten – wie Sie schon berechtigterweise sagen, Rechtsrock ist nur eine Ausprägung dieser Struktur. Die anderen, die sind perfider, die kommen ein bisschen auf leisen Pfoten daher, wie gesagt, dass Immobilien gekauft werden und Veranstaltungen gemacht werden, die ganz gezielt so konzipiert werden, dass sie weit ins bürgerliche Spektrum hineinwirken sollen.
Brandes: Und was können Sie als Innenminister dagegen tun?
Maier: Ich kann erstens tun, als Innenminister mal den Rechtsstaat zur Geltung zu bringen, die wehrhafte Demokratie deutlich werden zu lassen, indem ich das ganze Instrumentarium, was mir zusteht, auch ausnutze. Das sind oft auch juristische Themen. Wir haben es tatsächlich geschafft, als ein Rechtsextremer in Südthüringen im Kloster Veßra – er betreibt dort schon einen Gasthof – das Nachbargrundstück mit einer großen Villa erwerben wollte, um dort eben neue Versammlungsmöglichkeiten zu schaffen, neue Strukturen zu entwickeln. Wir haben es geschafft, mit rechtsstaatlichen Mitteln diesen Kauf zu verhindern, da gehört auch manchmal ein bisschen Kreativität dazu. Und es ist uns geglückt – das heißt, das wurde nicht gesteuert, sondern das hat sich dann ergeben, auch aufgrund der Aufmerksamkeit, die dann darauf lag –, dass ein anderer Investor das gekauft hat.
Thüringer Verfassungsschutz "an der Belastungsgrenze"
Also man sieht, man muss mit rechtsstaatlichen Mitteln – wehrhafte Demokratie heißt, ich muss alles versuchen und tun, was, sag ich mal, in meiner Macht steht, dagegen vorzugehen. Der zweite Punkt ist die Polizei: Wir haben eine ganz andere Herangehensweise, seit ich im Amt bin, was polizeiliches Vorgehen anbelangt. Früher war die Gefahrenabwehr im Vordergrund, also Veranstaltungen so abzuschirmen, dass nichts passiert, heute gehen wir rein. Wir ahnden sofort, wenn es zu Gesetzesbrüchen kommt, wenn verfassungsfeindliche Gesten gemacht werden.
Brandes: Aber dazu muss man ja auch wissen, wer da aktiv ist in der rechten Szene, dazu braucht man einen gut aufgestellten Verfassungsschutz. Und da kann man sich die Frage stellen, sind die Linken da der richtige Koalitionspartner für Sie. Die wollten den Verfassungsschutz mal abschaffen, jetzt haben Sie ihn neu aufgestellt, mit einem neuen Präsidenten, Stephan Kramer an der Spitze, der fordert aber seit Langem mehr Geld und mehr Personal. Warum hat er das nicht längst bekommen?
Maier: Ja, das ist eben so in einer Koalition. Die Linke ist der größte Koalitionspartner, da gibt es tatsächlich einen Dissens, einen tiefgreifenden Dissens. Wir, die SPD, wir stehen ganz klar zum Verfassungsschutz, die Linke tut das nicht. Wobei ich nicht sagen kann, die Linke. Es gibt Strömungen innerhalb der Linken, die quasi den Verfassungsschutz abschaffen möchten – ich erlebe den Ministerpräsidenten aber nicht so. Aber ich gebe Ihnen vollkommen recht, wir konnten uns nicht durchsetzen in der Koalition mit mehr Personal für den Verfassungsschutz. Und ich habe das auch immer wieder deutlich gemacht die letzten Wochen, dass der Verfassungsschutz an der Belastungsgrenze angelangt ist.
Wir haben jetzt nach Chemnitz, nach Köthen und auch nach Thema, wir haben eine ganz neue Situation. Wir müssen jetzt den Rechtextremismus viel stärker noch mal unter die Lupe nehmen und auch, sag ich mal, die Entgrenzung hinein in die populistischen Parteien – namentlich der "Flügel" in der AfD sorgt jetzt natürlich für zusätzlichen Arbeitsanfall in dem Bereich. Also ich werde, je nachdem natürlich, welche Koalition sich jetzt in Thüringen dann findet, sollte ich eine Rolle spielen, werde ich das Thema wieder auf den Tagesordnung setzen.
"Wir haben viel für die Sicherheit getan"
Brandes: Also das hieße für Sie dann, Rot-Rot-Grün mit der Linken an der Spitze ist dann für Sie keine gute Option?
Maier: Na ja, sagen wir mal so, es gibt viele andere Themen, wo wir sehr, wie soll ich sagen, auch zusammenkommen, wo wir uns einig sind, aber in diesem Bereich haben wir weiterhin Dissens. Die Frage wird sich dann stellen bei Koalitionsverhandlungen. An dieser einen Frage wird man es nicht scheitern lassen, davon gehe ich aus. Aber wie gesagt, es kommt jetzt erst mal darauf an, wie stark die unterschiedlichen Parteien sind. Ich werbe für eine starke SPD, ich werbe für einen starken…
Brandes: Ihre Umfragen liegen gerade bei ungefähr neun Prozent. Was machen Sie als Partei falsch, dass Sie da so bedeutungslos geworden sind, während ein Viertel des Wahlvolkes in Thüringen sich vorstellen kann, Rechtspopulisten zu wählen?
Maier: Wissen Sie, wir haben ja jetzt auch schon zwei Landtagswahlen gesehen, in Brandenburg und in Sachsen, und wir haben erlebt, dass es eine gewisse Polarisierung gibt und dass es taktisches Wahlverhalten gibt. Manche Menschen wollen die AfD verhindern und wählen dann nicht ihre Partei, sondern die Partei, wo sie der Meinung sind, dass es am hilfreichsten ist, sie zu wählen. In Brandenburg hat davon die SPD profitiert, in Sachsen war es dann die CDU ein Stück weit, und hier ist es interessanterweise die Linke, weil wir einen sehr beliebten Ministerpräsidenten haben. Und zwischen diesen Mühlsteinen, sag ich jetzt mal, da arbeiten sich die Parteien, die dazwischen sind, eben ab, und das trifft uns jetzt in Thüringen als SPD auch so.
Nichtsdestotrotz, wir sind hier für Sicherheit zuständig. Wir haben viel für die Sicherheit getan, und insofern mache ich sehr deutlich, wofür die SPD auch steht in dieser Koalition, eben als Partner der Vernunft, als Partner, der für Sicherheit steht. Insofern hoffe ich, dass wir da noch ein bisschen am Wahlergebnis eine Verbesserung herbeiführen können.
"Wir brauchen eine gesellschaftliche Bewegung, die sich dagegen wehrt"
Brandes: Wie lange wird es noch dauern, bis diese potenziell rechtsterroristischen Strukturen, von denen Sie sprechen in Thüringen, bis die zerschlagen sind?
Maier: Ich hab ja in dem Interview, worauf sie auch Bezug nehmen, ja immer gesagt, in letzter Konsequenz kann das, was da an Strukturen gewachsen ist, auch in Rechtsterrorismus münden, weil eben Geld da ist, und mit diesem Geld können auch Waffen gekauft werden. Legal versuchen wir da, alles dafür zu tun, das zu verhindern, weil das Waffenrecht ist eben auch – wir haben einen Rechtsstaat, ich kämpfe da für eine Regelabfrage. Jeder, der einen Waffenschein beantragt, muss quasi abgefragt werden, ob er der rechtsextremen Szene angehört, das versuche ich über den Bundesrat.
Aber darüber hinaus müssen wir natürlich auch schauen, dass wir jetzt einfach den Strukturen, die dann gegebenenfalls auf illegalem Wege, weil die Affinität da ist zu Waffen, sich Waffen besorgen… Ich sage nur, der Boden, der ist bereitet. Darauf können jetzt Dinge wachsen, die bis in den terroristischen Bereich hineingehen können.
Brandes: Und wie lange dauert das, bis wir das zerschlagen haben?
Maier: Das wird ein langer Kampf werden. Was über Jahrzehnte gewachsen ist, das kann man nicht von heute auf morgen quasi auslöschen. Was mir ganz wichtig ist, als Innenminister kann ich viel machen, aber ich kann das nicht alleine schaffen. Ich brauche, wir brauchen eine gesellschaftliche Bewegung, die sich dagegen wehrt.
Und ich stelle fest, in gewissen Bereichen ist so eine Gleichgültigkeit, so nach dem Motto, na ja, wir haben doch jetzt hier auf dem Land, da ist doch nichts mehr los, lass die doch mal die Gaststätte betreiben, ist doch halb so schlimm, die waren auch nicht laut und so weiter. Also diese Gleichgültigkeit ist eigentlich das Gift, was es ermöglicht, sag ich mal, dass das immer weiter wächst, diese Strukturen. Wir müssen jetzt auch gesellschaftlich ganz klar darauf hinweisen, nein, auch wenn der Gasthof geschlossen war und durch Nazis wieder aufgemacht wird, das ist keine gute Entwicklung, das ist zu verurteilen. Und das muss wieder viel stärker auch ins Lichte der Öffentlichkeit kommen. Das ist ja auch mein Bestreben, auch gerade jetzt im Wahlkampf.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.