Der Handschlag von Thüringen, die Wahl eines Ministerpräsidenten von der FDP durch die Höcke-AfD, hat die Republik erschüttert. Die Regel, dass Parteien in Deutschland nie wieder mit Rechten paktieren, ist verletzt worden. Und die Versuche, das wieder zu heilen, laufen alles andere als glatt. Vor allem in der CDU fordert die Bundesvorsitzende Neuwahlen in Thüringen - ihr Landesverband winkt ab. Lieber will die CDU-Fraktion versuchen, einer Regierung im jetzt gewählten Landtag den Weg zu bahnen.
Wir vertiefen das Thema im Gespräch mit dem Politikwissenschaftler und Parteienforscher Oskar Niedermayer.
Die Werteunion kann man nicht rauswerfen
Christine Heuer: Wir haben
Ruprecht Polenz im Deutschlandfunk-Interview
gehört – wenn die CDU die Werteunion rausschmeißt, wird denn dann alles wieder gut für die Christdemokraten, Herr Niedermayer?
Oskar Niedermayer Nein, überhaupt nicht. Zunächst einmal kann sie nicht die Werteunion rausschmeißen, weil das ist keine innerparteiliche Organisation der CDU, sondern ein eingetragener Verein. Das heißt, sie müsste die einzelnen Mitglieder der Werteunion rauswerfen, und zwar dann aber auch nur diejenigen, die explizit gegen den Bundesvorstandsbeschluss einer Absage der Zusammenarbeit mit der AfD verstoßen haben.
Heuer: Das wäre unrealistisch?
Niedermayer Das müsste man dann sehen, ob das reicht für einen individuellen Parteiausschluss, weil es ja dann gegen die Grundwerte der CDU gegangen wäre und gegen einen expliziten Beschluss nicht nur des Parteivorstands – das darf man ja auch nicht vergessen –, sondern Ende 2018 hat ja ein Parteitag diesen Beschluss gefasst: weder eine Koalition noch sonstige Formen der Zusammenarbeit weder mit der AfD noch mit der Linkspartei.
Gilt der Parteitagsbeschluss, dann nach rechts und links
Heuer: Kann man denn die Werteunion – jetzt rein theoretisch nur mal gefragt – auf irgendeine andere Art und Weise kaltstellen in der CDU?
Niedermayer Ja, wie soll man sie denn kaltstellen? Das ist eine unter verschiedenen Stimmen in der CDU, und es ist ja nicht nur jetzt in den letzten drei Tagen ein Kampf zwischen unterschiedlichen Flügeln und unterschiedlichen Auffassungen und Positionen innerhalb der Partei, das geht ja schon sehr lange. Es gibt auf beiden Seiten jetzt natürlich sehr scharfe Töne, das ist ganz klar.
Wenn man die Mitglieder der Werteunion bekämpfen will, dann sollte man sie mit Argumenten bekämpfen und sollte aber eben auch daran denken, dass man auf beide Seiten schauen muss, denn es gibt natürlich in der CDU auch Stimmen, die explizit eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei gefordert haben, beziehungsweise nicht ausschließen wollen. Und wenn der Parteitagsbeschluss gilt, dann muss er nach beiden Seiten gelten, und das ist jetzt momentan die große Diskussionsfrage in der Union: Gilt diese Abgrenzung nach beiden Seiten oder wird sie aufgeweicht nach der einen oder nach der anderen Seite?
Thüringer CDU ist zu beiden Seiten ausgeschert
Heuer: Ja, aber genau mit dieser Theorie, mit dieser Haltung hat die Bundespartei ja die Thüringer CDU ein bisschen ins Abseits geschoben. Sie sollten weder mit der Linken, noch sollten sie mit der Rechten, aber was hätten die denn tun sollen?
Niedermayer Ja, das ist genau das Problem, das sich jetzt ganz explizit für die Thüringer CDU-Fraktion gestellt hat, wenn sie in irgendeiner Form zu einer Regierungsfähigkeit von Thüringen beitragen wollte, dann musste sie entweder zur einen oder zur anderen Seite gehen, und das Schlimmste war ja, dass sie zu beiden Seiten gegangen ist. Zunächst waren ja tatsächlich Gespräche da, die versucht haben, möglicherweise sogar eine Koalition mit der Linkspartei, dann ging es um eine Projektregierung, dann ging es um eine punktuelle Zusammenarbeit, und dann plötzlich hat die Fraktion vollkommen zur anderen Seite gestimmt und Herrn Kemmerich zum Amt verholfen.
Also es gab einen Schlingerkurs, der natürlich auch der Tatsache mitgeschuldet ist, dass erstens Kramp-Karrenbauer wohl nicht über die nötige Autorität verfügt, um die Linie des Bundesvorstands dort auch durchsetzen zu können – das hat man ja dann auch nach der Wahl gesehen. Und zweitens natürlich geht es schon um die Frage, wie die Partei insgesamt mit dieser Frage umgeht, und da ist sie tatsächlich in der Bredouille, das kann man so sagen.
Dilemma bei der nächsten Ministerpräsidentenwahl
Heuer: Aber lassen Sie uns ganz, ganz kurz bei Thüringen, bei der künftigen Ministerpräsidentenwahl dann noch mal bleiben, Herr Niedermayer. Es sieht ja jetzt ein bisschen so aus, als sei es möglich, nachdem die CDU in Thüringen, wie Sie sagen, in beide Seiten gegangen ist, dass sie jetzt wieder da landen wird, eine links geführte Regierung auf irgendeine Art und Weise zu akzeptieren oder zu ermöglichen.
Niedermayer Es ist ja noch schlimmer als vorher, denn die Ausgangssituation war, Ramelow stellt sich zur Wahl. Die rot-rot-grüne Koalition, die sich ja vorher schon gebildet hatte, ist eine Minderheitskoalition, er braucht also Stimmen von den anderen Parteien, um die absolute Mehrheit zu bekommen, aber im dritten Wahlgang braucht er diese absolute Mehrheit nicht mehr, sondern es genügt die relative Mehrheit. Wenn das so gelaufen wäre, dass er im dritten Wahlgang mit der relativen Mehrheit bei Enthaltung der CDU-Fraktion ins Amt gekommen wäre, dann wäre ja zunächst einmal alles okay gewesen in Bezug auf den Abgrenzungsbeschluss.
Jetzt aber fordern die Linkspartei und auch die Grünen und die SPD vorher eine Absprache, dass Ramelow bei der Wahl die absolute Mehrheit bekommt, sonst wollen sie das nicht machen und auf Neuwahlen plädieren. Und das bedeutet natürlich dann, die FDP wird es nicht machen, die fünf Leute, dass es eine Absprache geben muss mit der CDU, dass ein Teil der CDU-Fraktion explizit sich eben nicht enthält, sondern für Ramelow stimmt. Das wäre dann ein expliziter Bruch des Parteitagsbeschlusses der Bundespartei.
Die Parteivorsitzende kann nicht befehlen, nur überzeugen
Heuer: So, und diesmal, Frage an Sie, müsste AKK es schlucken, oder?
Niedermayer Ja, es ist so, dass AKK, wenn sie nicht durch Überzeugungsarbeit mit einem Landesverband zurechtkommt, das schlucken muss, was ein Landesverband macht, denn es gibt keine zentralistische Führung, weder in der CDU noch in einer anderen Partei. Also die Parteivorsitzende kann nicht einfach befehlen, dass ein Landesverband dieses oder jenes macht, das geht einfach nicht, sie kann nur versuchen, ihn zu überzeugen.
Heuer: Ach so, und nach dem politischen Tsunami, den wir diese Woche erlebt haben, stellt sich dann die Frage: Wenn ihr das nicht gelingt – im Moment sieht es nicht so richtig gut aus für AKK –, kann sie das als Parteivorsitzende und als noch wahrscheinliche Kanzlerkandidatin überleben?
Niedermayer Ich würde vermuten, dass sie es als Parteivorsitzende zunächst überleben kann. Sie hat ja durchaus auch Ende letzten Jahres schon einen Vertrauensbeweis des Parteitags gefordert und auch bekommen, das darf man nicht vergessen, aber ihre Chancen, Kanzlerkandidatin zu werden, haben sich durch diese Geschichte noch mal dramatisch verringert. Und wenn man ihre Werte bei der Bevölkerung ansieht, bei der Bewertung, dann ist sie halt mit die am schlechtesten bewertete Spitzenpolitikerin, und das alleine schon ist natürlich ein Riesenmanko für eine mögliche Kanzlerkandidatur.
SPD hat neue Munition für Koalitionsausschuss
Heuer: Ja, in der Tat, da hat es gestern eine Forsa-Umfrage gegeben mit wirklich verheerenden Ergebnissen für die CDU und auch für Annegret Kramp-Karrenbauer. Angela Merkel, Herr Niedermayer, die hat sich ja sehr rasch von Südafrika aus sehr entschieden an die Spitze der AfD-Abwehr in ihrer Partei gestellt – ist das auch ein Zeichen dafür, dass auch Merkel Kramp-Karrenbauer nicht mehr für ihre geeignete Nachfolgerin hält?
Niedermayer Ich kann nicht in Frau Merkel hineinschauen, aber man kann diese Sache natürlich so interpretieren, dass sie gedacht hat, sie muss jetzt sozusagen ein Machtwort sprechen. Dieses Machtwort hätte eigentlich ja von der Parteivorsitzenden kommen müssen und ist ja auch gekommen, nur war es eben folgenlos.
Heuer: Die SPD kritisiert ja den Koalitionspartner jetzt scharf, in ein paar Minuten geht der Koalitionsausschuss los. Wir haben heute Morgen gehört, dass Christian Hirte, der sehr umstrittene Ostbeauftragte der Bundesregierung, ein CDU-Politiker, dass der nun zurückgetreten ist. Wird das ausreichen, die SPD zu besänftigen?
Niedermayer Na, das glaube ich nicht. Ich meine, der Rücktritt war ja tatsächlich etwas, was Merkel tun konnte, und das hat sie auch getan. Aber ich glaube nicht, dass das ausreichen wird, weil es natürlich klar ist, dass der SPD nichts Besseres passieren kann, als jetzt Munition zu haben gegen die Koalitionspartner, insbesondere eben auch, um von den eigenen Problemen abzulenken, denn die SPD ist eine 14-Prozent-Partei, das heißt, sie ist eben auch nicht so gut aufgestellt und muss jetzt jeden Rettungsanker ergreifen, um besser zu werden.
Lindner hat am Mittwoch schlecht reagiert
Heuer: Und was heißt jetzt für die Große Koalition?
Niedermayer Ich glaube nicht, dass darüber die Große Koalition zerbricht, das hat man ja auch vonseiten der SPD zumindest bisher jetzt vermieden. Man will natürlich ganz klar daraus Kapital schlagen, auch für die Bundesebene und für die Umfragen auf der Bundesebene. Ob das gelingt, weiß man noch nicht, die neuesten Umfragen zeigen da noch nichts Positives. Aber darüber dann die Koalition platzen zu lassen, das müsste man den Wählern erst mal wirklich erklären, und da sehe ich eigentlich keine wirkliche Chance.
Heuer: Dann werfen wir, Herr Niedermayer, noch einen raschen Blick auf die FDP: Wie lange kann Christian Lindner sich noch halten?
Niedermayer Ja, Christian Lindner hat am Mittwoch schlecht reagiert, das ist eindeutig, er hat einen Riesenfehler gemacht, nicht gleich und sofort zu sagen, das geht gar nicht und Kemmerich muss das Amt sofort wieder abgeben. Er ist wohl auch in der Bredouille, weil er es wohl nicht geschafft hat, Kemmerich vorher davon zu überzeugen, dass wenn dies passiert, wenn er mit Stimmen der AfD gewählt wird, das Amt gar nicht annehmen darf, also ist er schon in großen Schwierigkeiten.
Er hat aber dann, wenn man so will, die Kurve noch bekommen, indem er gleich nach Erfurt gegangen ist und Kemmerich davon überzeugt hat, zurückzutreten, und das hat ihn, denke ich, im Bund gerettet. Der Parteivorstand hat ihm das Vertrauen ausgesprochen, aber es ist durchaus klar, dass da etwas hängen bleiben wird.
Konkurrent zu Lindner nicht in Sicht
Heuer: Bei AKK wissen wir, wer sich da möglicherweise warmläuft, um sie abzulösen – also Friedrich Merz, Armin Laschet aus NRW, Markus Söder. Wie ist das eigentlich in der FDP, gibt es da auch Leute, die sich vielleicht für eine Nachfolge empfehlen, die sich schon abzeichnen?
Niedermayer Es gab immer schon ein bisschen Kritik an Lindner, das ist ganz klar, und es gibt auch durchaus mit Herrn [Michael] Theurer oder anderen Leute, die da ins Gespräch kommen könnten, aber momentan sehe ich eigentlich noch nicht, dass es auf irgendjemand zuläuft und dass Lindner tatsächlich sehr gefährdet wäre als Parteivorsitzender.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.