Philipp May: Gut 24 Stunden lang sah es so aus, als würde Thüringens CDU-Chef Mike Mohring das Unerhörte wagen: eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei und Ministerpräsident Bodo Ramelow, gegen den Willen der Berliner Parteiführung.
O-Ton Mike Mohring: "Wir haben ja auch bisher gesehen, dass Berlin jetzt nicht sonderlich nützlich war für die ganzen Wahlwochen im Vorfeld, und deswegen ist die Entscheidung, die wir für die Zukunft des Landes Thüringen treffen müssen, auch keine Frage, die in Berlin beantwortet wird, sondern die beantworten wir alleine in Thüringen."
May: Das war am Montagmorgen im ARD-Morgenmagazin. Doch am Abend ruderte er schon wieder zurück: Er wolle nur mal reden mit Ramelow, mehr nicht. Und gestern gab es dann auch einen offiziellen Beschluss der Thüringer Fraktion. Es werde weder eine Duldung, noch eine Tolerierung von Rot-Rot-Grün in Thüringen geben.
Schwarz und tief Rot, das ist in jeder Hinsicht unvereinbar. Oder doch? – Darüber rede ich jetzt mit Werner Henning, Landrat für die CDU im thüringischen Eichsfeld. Herr Henning, schönen guten Morgen!
Werner Henning: Guten Morgen, Herr May!
Wiedergewählt mit 82,2 Prozent
May: Herr Henning, Sie sind 1989 bei der friedlichen Revolution dabei gewesen auf der Straße, und dann seitdem sofort ununterbrochen als Landrat. Unser Landeskorrespondent Henry Bernhard sagte zu mir: Ihre Wahlergebnisse im Eichsfeld haben nie unter 70 Prozent gelegen. Ist das richtig?
Henning: Ja, das stimmt. Und im vergangenen Jahr wurde ich wiedergewählt mit 82,2 Prozent.
May: Tritt man Ihnen zu nahe, wenn man Sie als wertkonservativen CDUler bezeichnet?
Henning: Überhaupt nicht. Wertkonservativ im Sinne von einem Herkommen aus dem Zentrum des letzten Jahrhunderts und nach dem Krieg auch in der DDR-Zeit. Wertkonservativ im Sinne von Christ in der Zeit und als Christ sich in der Zeit engagieren, und das auf dem Ticket der CDU.
May: Jetzt sprechen Sie sich für eine Kooperation mit der Linkspartei aus. Warum?
Henning: Lieber wäre mir natürlich, der Wahlausgang wäre ein anderer gewesen. Aber der Wähler hat entschieden und insofern haben die Parteien die Aufgabe, ihre Arbeit zu tun. Ich spreche mich aus für ein Regierungsprogramm für Thüringen und nach Lage der Dinge könnten Linke und CDU sich einigen und könnten die Geschäftsfelder entsprechend aufteilen und verlässliche Verträge herstellen, um auf dieser Grundlage Thüringen Stabilität zu geben. Dafür spreche ich mich aus und mein Erleben gerade von Bodo Ramelow über die letzten Jahre ließe eine solche Hoffnung zu.
All diese Apostrophierungen sind am Ende Kopfgeburten
May: Aber die CDU, die Partei der deutschen Einheit, und auf der anderen Seite Die Linke, die Nachfolgepartei der SED-Regierung in der DDR, ist das nicht unvereinbar für Sie?
Henning: Wäre für mich nicht unvereinbar, denn es liegen 30 Jahre dazwischen und all diese Apostrophierungen sind am Ende Kopfgeburten, sind Beschreibungen. Wir leben in der Kommunalpolitik nicht in diesen überbordenden Beschreibungen, sondern wir leben im Pragmatismus des Alltages, und ich kann mir durchaus vorstellen, mit den handelnden Leuten auf der Regierungsebene in Erfurt auch heute bei den Linken weiterhin, sagen wir es so, gute Absprachen, gute Geschäfte im Interesse des Alltages zu machen.
May: Bevor wir zum Pragmatismus des Alltags kommen, noch mal auf Bodo Ramelow, der ja die prägende handelnde Figur bei den Linken ist. Der bringt es beispielsweise nicht fertig, die DDR einen Unrechtsstaat zu nennen. Wie geht man damit als CDUler, der auch _89 damals dabei war, um?
Henning: Auch das sind für mich ziemlich akademische Themen. Ich würde ihm zustimmen, dass allein solche Diskussionen uns im heutigen Alltag nicht helfen, und so wie ich Bodo Ramelow verstanden habe, bestreitet er ja nicht das Unrecht in der DDR. Er ist nur nicht in der Lage, das auf einen Begriff zu reduzieren, und dahinter schwingt auch ein hoher Respekt vor den Biographien vieler Menschen hier im Osten Deutschlands mit. Ihn festzumachen in so einer Weise an einem Begriff halte ich für übertrieben.
May: Sie gehen nicht mit bei diesem Narrativ, das ja insbesondere auch von der CDU gestreut wurde, nach den Wahlen in Thüringen, dass die Mehrheit der Thüringer nicht die Mitte gewählt hat, sondern die radikalen Ränder?
Henning: Nein, da gehe ich überhaupt nicht mit. Es ist überhaupt nicht hinnehmbar, dass Linke und AfD in einem gleichen Atemzug als radikale Ränder bezeichnet werden. Von meinem Herkommen, wie ich Die Linke aus der DDR-Zeit kenne, da würde ich sagen, in der Tat, das war radikal, das war Indoktrination, dafür sind wir auf die Straße gegangen und haben gerade in der gefährlichen Zeit des Herbstes _89 unsere Köpfe hingehalten. Das darf ich auch für mich in Anspruch nehmen. Aber die heutige Zeit ist mit diesen Gegebenheiten überhaupt nicht vergleichbar.
Gemeinsamkeit in einer Verlässlichkeit
May: Okay! – Dann kommen wir in die heutige Zeit, kommen wir zum Pragmatismus des Alltags, den Sie gerade schon angesprochen haben. Wo sehen Sie denn Gemeinsamkeiten?
Henning: In einer Verlässlichkeit. Als Kommunaler erst einmal in einem Herstellen weiterhin eines guten kommunalen Finanzausgleiches. Ich würde von den Linken viel mehr erwarten. Da ist auch meine Kritik. Respekt vor der kommunalen Selbstverwaltung. Da standen wir uns in den zurückliegenden Jahren auch in der Tat unversöhnlich gegenüber. Ich glaube, ich bin einer derjenigen in Thüringen gewesen, der die Kreisgebietsreform am meisten attackiert hat. Schlussendlich landeten wir vor Gericht und haben über viele Wege am Ende obsiegt. Die Linken sind zurückgerudert. Deren Hang immer zum Zentralismus ist für mich genauso unerträglich. Ich gehe aber davon aus, dass Bodo Ramelow gerade da viel gelernt hat, und ich könnte mir vorstellen, dass man sehr pragmatisch auch Geschäftsfelder abschichtet und dann Wort hält in einem wertkonservativen Sinne: Ein Ja ist ein Ja und ein Nein ist ein Nein.
May: Jetzt steht bei der CDU ja auch immer die Sorge vor der AfD, oder die Angst vor der AfD im Raum. Gauland hat ja schon frohlockt. Haben Sie diese Sorge nicht, dass da noch mehr Ihrer Wähler das Kreuzchen demnächst lieber bei der AfD machen, wenn die CDU dieses, sagen wir mal, vermeintliche Tabu bricht?
Henning: Ich würde es für meinen Teil so nicht glauben. Ich rede nur als Landrat für das Eichsfeld erst einmal. Das ist meine Perspektive. Hier hatte die CDU zuweilen 70 Prozent nach der Wende und viele, die heute AfD wählen, sie kommen aus der konservativen CDU. Aber es ist völliger Unsinn zu meinen, das seien alles Radikale. Das sind Leute, die im Grunde mehr Klarheit und mehr Wahrheit im Tagesgeschäft erwarten. Ich denke, die reden vielfach nicht anders, als ich das jetzt tue. Sie sind aber aufgehetzt von Leuten, die fremd hier in unsere Landschaft hineinkommen, und leider lassen sich so manche aus welchen Gründen auch immer dann in die Irre führen. Ich glaube, dass gerade meine Töne, die ich jetzt hier so auch in den Medien anschlage, von vielen dieser Gruppe auch gerne gehört werden, weil sie ein Signal sind in Richtung wieder zu mehr Klarheit und Korrektheit.
May: Nun gibt es aber den Parteitagsbeschluss der Unvereinbarkeit der Zusammenarbeit zwischen den Linken und der CDU. Kann man sich darüber einfach so hinwegsetzen?
Henning: Ich befasse mich jetzt nicht primär mit der Partei und mit dem Parteitagsbeschluss. Ich komme aus einer Zeit, aus der es die Partei neuer Prägung überhaupt noch nicht gab. Ich bin in meiner Denke am Ende von der Partei mit übernommen worden und will mich gerne auch einfügen, auch weiterhin, und habe sicherlich meinen Dienst auch in all den Jahren geleistet. Aber ich würde niemals meine Gesinnung gegen einen Parteitagsbeschluss eintauschen. Dann stünden die Konsequenzen anders.
May: Die Partei hat doch nicht immer recht?
Henning: In der Tat.
Meine Sorge ist, es wird weiter so dahindümpeln
May: Glauben Sie, das wird noch was mit der CDU und den Linken?
Henning: Ich bin ausgesprochen skeptisch. Meine Sorge ist, es wird weiter so dahindümpeln. Man wird irgendwelche Spielchen machen, zur Tür rausgehen, wenn abgestimmt wird, etc. Und genau das ist das, was mich umtreibt als Pragmatiker. Ich bin heute froh, dass wir einen Landeshaushalt haben, dass die Verantwortung auf der kommunalen Ebene erst einmal weitergehen kann. Aber meine Sorge ist, der Freistaat lähmt uns im Alltagsgeschäft, und über diese Hürde sind wir noch lange nicht drüber hinweg.
May: Vermissen Sie staatspolitische Verantwortung bei Ihrer Partei?
Henning: Wenn der Staat tatsächlich seinen Regierungsanspruch rundum umsetzen will, dann würde ich genau diese Verantwortung vermissen. Mittlerweile haben wir uns aber auch in Thüringen sehr stark auf eine kommunale Verantwortung über all die Jahre eingestellt, und ich glaube, dass Thüringen viel stärker heute schon aus der kommunalen Verantwortung der Selbstverwaltung heraus in einem pragmatischen Sinne gesteuert wird. Deswegen ist der Schaden der staatspolitischen Verweigerung bei uns im Alltagsgeschäft noch nicht gar so groß, aber die Gefahr droht.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.