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Thüringische Rhön
Auf vier Beinen durch die Natur

Helle weite Täler, dichte Buchen- und Nadelwälder, seltene Tiere: Im Biosphärenreservat Rhön kommen Naturliebhaber auf ihre Kosten. Wanderer können hier ausgedehnte Touren durch die Mittelgebirgslandschaft machen. Am besten lässt sich die Landschaft aber auf vier Beinen erleben.

Von Anke Ulke |
    Sennepferde grasen auf einer Weide bei Hoevelhof
    Vor allem Reiter kommen in der Thüringischen Rhön auf ihre Kosten (picture alliance / Robert B. Fishman)
    Rossdorf macht seinem Namen alle Ehre – hier, wie in vielen anderen kleinen Dörfern der Thüringischen Rhön, ist Wanderreiten eine ideale Fortbewegung, um die Landschaft zu entdecken. Voraussetzung: Trittsichere Pferde und die Bereitschaft, sich neben Land und Leuten natürlich auf das Reiten einzulassen. Reitkenntnisse braucht man zunächst nicht, es geht dann eben nur im Schritt und nach kurzer Zeit auch im leichten Trab über Stock und Stein. Nachdem sich Pferd und Reiterin beschnuppert haben, lerne ich noch, "Dusty", so heißt der kleine Wallach, zu lenken, anzutreiben und anzuhalten und dann geht's los, ab in die hügelige Landschaft.
    Nach knapp zwei Stunden ist das Tagesziel erreicht: Der Schönsee, oberhalb von Bernshausen. Ein traumhafter kleiner See, mitten im Wald, ein sogenannter Erdfallsee. Da ständig Frischwasser zufließt, ist das Wasser recht kühl – trotzdem ist der Schönsee vor allem im Sommer bei Badegästen beliebt. Die 77jährige Gisela Arnold genießt den See aber übers ganze Jahr.
    "Jeden Tag in das Wasser und wenn es nur eine Viertelstunde ist, das tut so gut. Das tut ganz gut, das Wasser für Herz, Kreislauf, für Rheuma, für alles ist das gut, ganz toll. Und wenn die Sonne noch dazu scheint: Schöner kann's nicht sein; und wenn die Lindenbäume blühen, da ist der Lindenduft noch mit dabei, herrlich, einmalig, und drumrum, der schöne Wald, der gibt den ganzen Duft."
    Erdfallseen sind eine geologische Besonderheit in der Gegend, es gibt einige davon. Um den Schönsee rankt sich aber eine geheimnisvolle Legende. Ehemann Rolf Arnold kennt diese und andere, wahre Geschichten.
    "Der Sage nach war hier ein Schloss, das Schloss hatte drei Mädchen. Die drei Mädchen waren in Bernshausen auf der Kirmes, haben nicht gehorcht, sollten früh daheim sein und wo sie herkamen, war das Schloss verschwunden. So ist der Schönsee entstanden. Bis in die 50er Jahre kam der Schäfer her, mit Gastwirt, mit Bier und Schnaps, unter der großen Linde, Schäfer kam mit der ganzen Herde, und am dritten Pfingsttag wurden die Schafe gebadet, bevor sie geschert wurden. Da war was los hier!"
    Am Abend drehe ich mit Sigrid Wichler, der Frau des Bürgermeisters, eine Runde durch Rossdorf. Es ist ruhig, kein LKW zwängt sich mehr übers schmale "Obertor", die gewundene Hauptstraße des Ortes und Durchgangsstraße. Wenige Schritte abseits öffnet sich ein weiter Platz mit Bäumen und Wiese, umgeben von sanierten Gebäuden aus Sandstein und einem weiß getünchten Schlösschen in Privatbesitz. In den Gebäuden sind Verwaltung, Museum, Jugendklub untergebracht und aus einem alten Kuhstall machte man ein schickes Wohnhaus. Der Ortskern hat sich nach der Wende sehr zum Vorteil verändert. Siggi Wichler:
    "Das hieß zu DDR-Zeiten Volksgut. Ganz zum Schluss zu DDR-Zeiten waren hier Schweine drin, da haben sie die Schweine von außerhalb von Friedrichsdorf, hierher geholt, mitten ins Dorf, das war schon extrem. Da haben viele protestiert, aber die haben gesagt: Ihr wollt auch Schnitzel essen, also müsst ihr auch damit zufrieden sein, dass die Schweine hier herkommen. Und das hat natürlich überall gestunken, überall die großen Misthaufen. Da war das Kulturhaus, da wurde Essen gekocht für zig Leute und daneben war der große Misthaufen."
    Allein wandere ich noch hinauf zur kleinen barocken Dorfkirche, genieße den Blick über rote Dächer und Häuser, die aneinandergeschmiegt zwischen hohen Bäumen stehen. Am Abend ist Dorfidylle!
    Geschichten aus dem Dorfladen
    Bevor es am nächsten Morgen wieder losgeht, steht Einkaufen im Dorfladen auf dem Plan. Morgens sind es natürlich vor allem die älteren Rossdorfer die hier einkaufen und auf den Minimarkt angewiesen sind. Der Dorfladen, ist wichtiger Anlaufpunkt. Kunde Ralph Luther und Inhaberin Carola Pfaff halten einen kurzen Plausch.
    "Ich habe für den Sportverein eingekauft, das ist ein kurzer Weg, man muss nicht in der Gegend herumfahren und ich denke, weil sie uns beim Sportverein viel hilft, wenn wir Feiern haben muss man auch was zurückgeben, denn es ist Geben und Nehmen in der Gesellschaft."
    "Wir unterhalten uns gerne mit der Kundschaft, muss man ein bisschen nett und höflich sein, das ist wichtig. Im Dorf sieht man ja niemanden mehr, ist ein bisschen Kommunikation. Ich sehe sowieso niemanden, ich bin ja den ganzen Tag hier."
    Das Angebot ist bunt gemischt: etwas Obst und Gemüse, Brot und frische Brötchen, sehr leckere hausgemachte Kuchen, Fleisch, Wurst und Käse, aber auch Waschpulver, Sonnencreme, Haarshampoo, Postkarten, Batterien und vieles andere. Alles streng nach Kundenwunsch. Carola Pfaff:
    "Ich kann mir kein Zeug hinstellen, was der Kunde gar nicht mag. Das nehme ich gar nicht erst, ich muss ja mit dem Geld rechen, aber so geht es ganz gut. Ja, ich möchte ja mal in Rente gehen, vielleicht findet sich ja jemand, der weiter macht. Ich muss noch bisschen machen. Ich werd 64, gesundheitlich geht s auch nicht mehr so, aber wenn ich im Rennen bin, ist alles ok."
    Der nächste Tag führt das Reitertrüppchen auf den 645 Meter hohen Pleß, mitten in der Rhön. Es geht über Feldwege und Wiesen, und – wie manchmal im Spätsommer oder Herbst – sogar über ein Stoppelfeld!
    Die Sicht vom Pleß mit seinem Aussichtsturm ist grandios. Man sieht die Stoffelskuppe, den Baier, den Nebel, guckt rüber, nach Hessen. Jens Pitschmann, der Pferdenarr, der die Gruppe führt, kennt jeden Buckel in der Landschaft. Langweilig wird es ihm nie.
    "Erst mal reitest du durch den Wald. Hast nur Bäume ringsum, ein schöner Mischwald, und du kommst aus dem Wald raus. So wie aus einem Tunnel. Und da geht mit einmal alles auf und du siehst ein riesenschönes Tal, alles schön grün und auf der anderen Seite geht's wieder hoch, das ist einmalig. Das find ich so klasse und das ist das, was es nicht so eintönig macht, was es nicht alltäglich macht."
    Offene Menschen und ursprüngliche Natur
    Die Thüringische Rhön ist für Jens Pitschmann das schönste Wanderreitgebiet Deutschlands. Diese Freiheit, fast überall zu reiten, gibt es in keinem anderen Bundesland. Bis dahin war es jedoch, nach der Wende, ein längerer Weg. Zuerst führte nach dem neuen Thüringer Waldgesetz nur noch ein einziger Reitweg durch die hügelige Landschaft rund um Rossdorf. Für die Reitvereine und Anbieter eine Katastrophe:
    "Und da haben wir gesagt, das geht nicht. Und dann haben sich sämtliche Reiterhöfe die es gibt in der Gegend zusammengeschlossen, sind zur nächsten Versammlung gegangen, haben die Vorschläge eingereicht, und im Endeffekt haben wir ne Karte gekriegt, wo jeder Reiterhof die Wege einzeichnen konnte, die er haben müsste, und die wurden zu 90 Prozent genehmigt, also hat sich im Endeffekt nicht viel geändert."
    Bevor es am nächsten Morgen zum letzten Reitausflug geht, halte ich bei Gerhard Grebner an der Hauptstraße. Er füttert jeden Morgen seine Hühner und Puten und verschenkt auch schon mal deren Eier, die besonders lecker schmecken. Kein Wunder, bei dem Futter!
    "Da ist die gequetschte Gerste drin. Und Brennnessel, Löwenzahn und Luzerne. Und da kauf ich die billigen Nudeln, die wird gekocht, und das sind die Kartoffeln. Auch mit drunter."
    Dazu kommen Buttermilch und Quark, beides ist gut für die Mauser. Gern mögen die "Silberfarbenen Italiener", wie diese besondere Rasse heißt, zum Beispiel auch Grünkohl, aber den gibt's nur im Winter.
    Die hübschen, schwarz-weiß gefiederten Hühner hatten es Gerhard Grebner schon als Junge angetan. Die Liebe zum Federvieh hält bis heute:
    "Der hat ne schöne Lachsbrust, und der schöne Flitter hinten. Bei den Jungen sehen Sie das noch besser – das ist doch ne Pracht! Die hinten, die hat das schon schön, den Flitter, und auch den Kamm. Der ist ganz wichtig. Sehen Sie die kleinen Kehllappen, die die haben, sehen Sie weit und breit nicht mehr. Und auch die schöne Halszeichnung, die diese hat – den Schaftstrich, der ist schön dunkel."
    Ein letztes Mal geht es auf vier Hufen mitten in die Thüringische Rhön. Die Pferde bewältigen schmale, teils matschige, von Wurzeln überwachsene Wege, stampfen tapfer bergauf und bergab, entspannen sich auf graden Wegstrecken mitten im Wald. An einer Wegekreuzung sitzt ein Pärchen und picknickt. Christoph und Margret Dorr entdecken die Landschaft auf Wanderschuhen. Und sind begeistert:
    "Hier ist es ursprünglicher. Die Leute, die Gegend, Städtchen, Dörfchen, so wie es bei uns wäre, wenn es nicht so renoviert und alles perfekt gemacht wäre."
    "Ich finde diese offenen Landschaften am schönsten, und dass es hier sehr, sehr viele Pflanzen, auf den Magerwiesen, die man sonst gar nicht mehr sieht, gibt. Überall die Wiesenflockenblumen, verschiedene Wicken und Erbsensorten, Silberdistel, was bei uns gar nicht mehr wächst. – Wir kennen die Namen auch nicht alle. Wir haben also Pflanzen gesehen, die wissen noch gar nicht, was das ist, und können sie nach unseren Büchern nicht bestimmen.
    Nicht nur das Bestimmungsbuch, auch Wasser und Pausensnacks gehören neben Regenzeug ins Wandergepäck über weite Wiesen, entlang der Äcker und Wälder der Thüringischen Rhön. Und wer früh unterwegs ist, bekommt ihn tatsächlich zu Gesicht, den Fuchs, der dem Hasen aber nicht Gute Nacht sagt, sondern – ihn jagt.