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Manager Gerhard Cromme
Umgestalter der deutschen Stahlindustrie

Über Jahrzehnte hat er die deutsche Wirtschaft geprägt wie kaum ein anderer Manager: Gerhard Cromme. Er gestaltete den Umbau der deutschen Stahlindustrie bei Krupp und war Aufsichtsrat bei Siemens. Heute engagiert er sich für Start-ups.

Moritz Küpper im Gespräch mit dem Manager Gerhard Cromme |
Porträtfoto des Managers Gerhard Cromme in Anzug und Kravatte
Die Devise seines Lebens sei "Leben und leben lassen" oder "Win-Win", so Gerhard Cromme – also dem anderen Gelegenheit geben, gesichtswahrend aus einer Verhandlungsituation herauszukommen (Imago / Ipon)
Mutig, angriffslustig, weitsichtig, ein „kreativer Zerstörer“ und „eiskalter Kontrolleur“, so wurde Gerhard Cromme in den Medien beschrieben. Über Jahrzehnte hat er die deutsche Wirtschaft geprägt wie kaum ein anderer Manager. Seine Karriere begann bei einem französischen Industriekonzern im Saarland, führte ihn dann über Aachen ins Ruhrgebiet. Dort gestaltete Cromme nicht weniger als den Umbau der deutschen Stahlindustrie: Bei Krupp-Stahl, im Krupp-Konzern selbst sowie bei den Fusionen von Krupp-Hoesch und später Thyssen-Krupp – eine Zeit heftigster Auseinandersetzungen und Anfeindungen, vor allem als er das Duisburger Stahlwerk Rheinhausen schließen ließ.
Die Nachfolge von Berthold Beitz an der Spitze der mächtigen Krupp-Stiftung blieb Cromme verwehrt. Stattdessen folgte eine zweite Karriere als Aufsichtsrat. Besonders gefordert war er bei Siemens, denn der Konzern stand wegen eines Schmiergeldskandals am Abgrund. Als Vorsitzender der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex arbeitete er bis 2008 mit an einem Regelwerk, das deutsche Unternehmensführung und -kontrolle transparenter, verantwortungsvoller und verständlicher machen soll. Inzwischen ist Gerhard Cromme auch als Investor und Berater bei jungen Start-ups aktiv. Dem Nachbarland Frankreich fühlt er sich besonders verbunden, 2015 wurde er Großoffizier der Französischen Ehrenlegion.

Ich wollte immer machen, ich wollte schnell sein, ich wollte Dinge bewegen, und insofern bin ich schon dadurch immer beim Turnunterricht aufgefallen, dass ich mein Unterhemd, mein Hemd und meinen Pullover immer gemeinsam ausgezogen habe und dann gemeinsam wieder angezogen habe, während die anderen das alles separat machten.

Von Norddeutschland an die Sorbonne

Moritz Küpper: Herr Cromme, Ihr Leben begann vor einigen Jahrzehnten – in Norddeutschland, in Vechta.
Gerhard Cromme: Ja, die Stadt meiner Mutter ist Essen. Mein Vater war aus Vechta, mein Vater war eingezogen, meine Mutter war damals, 42, schwanger, und als denn die Niederkunft anstand, wurde Essen mit Bombenteppichen belegt, und meine Mutter hat sich dann, wie sich hinterher rausstellte klugerweise, auf den Weg gemacht nach Norddeutschland, weil Essen ständig bombardiert wurde, unter anderem auch das Haus meiner Großeltern zerstört wurde.
Küpper: 1943 war das, in Deutschland war noch Krieg.
Cromme: Ja. Ich hab an die Kriegsjahre keine Erinnerung, also ich kann mich an die unmittelbare Nachkriegszeit nur insofern erinnern, als wir das eben überlebt haben und offensichtlich genug zu essen hatten, auch ein Dach überm Kopf. Was meine Eltern immer erzählen, ist, in das Haus, in das sie in Brake alleine eingezogen waren, als sie dann auszogen 1948, waren 14 Personen in dem Haus, die da lebten, weil einmal war ich geboren und mein Bruder, und darüber hinaus waren Flüchtlinge einquartiert worden. Insofern war aus einem Haus, in das meine Eltern alleine eingezogen waren, waren hinterher 14 Personen.
Küpper: Sie haben es gesagt, Sie sind dann 1949 nach Cloppenburg, also noch in Ihrer Kindheit, in Ihrer Jugend.
Cromme: Der Grund, dass mein Vater sich von Brake hat nach Cloppenburg versetzen lassen, war ganz einfach: Meine Eltern hatten damals jetzt schon drei Kinder, das vierte wurde dann in Cloppenburg geboren, und da mein Vater und meine Mutter davon ausgingen, dass die Kinder alle halbwegs intelligent waren und aufs Gymnasium sollten, bot sich natürlich an, in eine Stadt zu gehen, in der ein Gymnasium war. Aus dem gleichen Grunde hat mein Vater sich dann 54 nach Münster versetzen lassen, weil er wohl feststellte, dass seine Kinder ausreichend intelligent waren, um zu studieren, und er sich sagte, von seinem Studienratsgehalt das Studium zu zahlen, für auswärtige Unterbringung ist vielleicht ein bisschen anspruchsvoll, deshalb ziehe ich nach Münster, um meinen Kindern dann die Möglichkeit zu geben, in Münster zu studieren. Es hat sich denn hinterher rausgestellt, dass seine vier Kinder alle ruckzuck in die Welt gegangen sind und den geringsten Teil ihrer Studienzeit in Münster verbracht haben.
Küpper: Sie haben sich für das Jurastudium, das Studium der Rechtswissenschaften entschieden, obwohl Sie eigentlich schon immer Interesse an der Wirtschaft hatten. BWL, VWL wäre doch eigentlich viel naheliegender gewesen, zumal – das habe ich nachgelesen – es in Ihrer Familie da auch keine richtige Vorprägung sozusagen gab.
Cromme: Es war so, dass ich, aus welchen Gründen auch immer – das ging schon in der Schule, in der Volksschule los. Ich wollte immer machen, ich wollte schnell sein, ich wollte Dinge bewegen, und insofern bin ich schon dadurch immer beim Turnunterricht aufgefallen, dass ich mein Unterhemd, mein Hemd und meinen Pullover immer gemeinsam ausgezogen habe und dann gemeinsam wieder angezogen habe, während die anderen das alles separat machten. Ich wollte immer machen, ich wollte schnell, ich wollte verändern, und jetzt war die Frage, was studierst du. Ich hatte praktisch keine richtigen Vorbilder, was die Wirtschaft ist, was Managen ist, und dann hieß es einfach im Familienkreis, auch im Bekanntenkreis, wo ich mich dann umgehört habe, Jura hat noch keinem geschadet. Ja, gut, dann hab ich erst mal Jura studiert, aber nicht, weil ich Richter oder Rechtsanwalt werden wollte, ich wollte auch nie in die Verwaltung gehen, sondern einfach, um ein Studium zu machen und dann zu gucken, was das Leben für einen bereithält.
Küpper: Sie haben sich schon früh auch für Sprachen interessiert, haben das Studium dann in Münster begonnen, aber wollten dann auch rasch Französisch lernen beispielsweise während des Studiums.
Cromme: Ich hab mich Zeit meines Lebens – ich muss ehrlich sagen, ich weiß nicht weshalb – immer zur französischen Sprache, zur französischen Kultur, Zivilisation, Literatur, Geschichte hingezogen gefühlt und hab dann nach dem Abitur angefangen, Jura zu studieren, in Münster, zwei Semester, und bin dann schon nach Lausanne gegangen, bin dann hinterher nach Lausanne ständig in den Semesterferien nach Paris gegangen und hab mein Französisch weiter verbessert. Hab dann in Paris auch Volkswirtschaft studiert und hab gleichzeitig in Paris promoviert. Ich werde nie vergessen, wie ich da – ich glaube, es war der 2. Mai 68 – wie ich da, nachdem ich morgens schon zeitig an meiner Promotion gearbeitet hatte, mittags, früher Nachmittag immer auf dem Boulevard Saint-Michel ging. Und da sah ich vor der Sorbonne auf einmal einen Auflauf, die französische Polizei, die CRS waren da, und da ich neugierig war, hab ich mir das aus der Nähe denn angeguckt und hab da einen Rotschopf gesehen, der da agierte. Und das war hier Danny le Rouge oder hier Daniel Cohn-Bendit, und das war der Anfang des Studentenaufstandes in Paris 1968, Mai 68.
Daniel Cohn-Bendit als Studentenführer bei den Studentenunruhen 1968 in Paris
Daniel Cohn-Bendit als Studentenführer bei den Studentenunruhen 1968 in Paris (imago stock&people / United Archives International)
Küpper: Daniel Cohn-Bendit, später deutsch-französischer Politiker für die Grünen.
Cromme: Genau, völlig richtig, also ein intelligenter Kerl, der ja nun auch hinterher in Deutschland und in Frankreich noch Karriere gemacht hat.
Küpper: Aber Sie hat es nicht gepackt, dort mitzumachen?
Cromme: Nein, und zwar aus dem einfachen Grunde, ich würde mich nie als ein Staatsbürger eines anderen Landes in die internen Angelegenheiten des Gastlandes einmischen, und hab mir das deshalb interessiert angeguckt. Hab also viel auch gelernt, insofern wie Massendemonstrationen entstehen, wie sie auch wieder runterfallen, also das werde ich nie vergessen. Es gab ja einen Generalaufstand praktisch hinterher, Generalstreik, alles, das ganze Leben in Paris war still. Die Tankstellen kriegten keine Sprit mehr, die Züge fuhren nicht, war absolute Totenstille. Und dann hat, also unmittelbar vor Pfingsten 68, de Gaulle dafür gesorgt, dass die Tankstellen durch Militärfahrzeuge wieder Sprit kriegen, und daraufhin sind alle Pariser rein ins Auto und weg in die Provinz. Und das war der Anfang vom Ende des Generalstreiks, denn im unmittelbaren Anschluss daran hatte de Gaulle gesagt, ich löse das Parlament auf und der Marsch der Gaullisten die Champs-Élysées runter. Ja, gut, und dann kamen die Neuwahlen, und die Neuwahlen im Gegensatz zu dem, was die Protestierenden erhofften, haben für die Gaullisten eine überwältigende Mehrheit gegeben, weil eben die schweigende Mehrheit diesen ganzen Aufstand gar nicht wollte und froh war, als es zu Ende war.

Nach dem Jurastudium Blitzkarriere in der Wirtschaft

Küpper: Sie haben Ihre Studien dann in Frankreich abgeschlossen, haben auch das Zweite Staatsexamen gemacht, auch die Promotion abgeschlossen, das Zweite Staatsexamen dann wieder in Deutschland, aber mit diesem Abschluss im Grunde genommen nicht mehr direkt zumindest juristisch gearbeitet, sondern Ihren Traum, Ihren Berufswunsch, in die Wirtschaft zu gehen, weiterverfolgt, obwohl es, wie Sie ja gerade schon sagten, keinerlei Vorbilder oder richtige Anknüpfungspunkte in der Familie gab.
Cromme: Es gab einen Onkel in Ludwigshafen, der Geschäftsführer eines kleineren mittelständischen Unternehmens war, aber es gab eigentlich in keiner Weise das, was ich denn hinterher gemacht und geworden bin. Da gab’s überhaupt keine Vergleichsmöglichkeit im weitesten Familienumfeld, also auch hier bei Freunden und Bekannten und Verwandten. Und ja, ich hab mir überlegt, was machste jetzt: Also einmal, ich wollte kein Jurist werden, und ich werde nie vergessen, ich hab am 14. Januar 1971 mein Zweites Staatsexamen gemacht, bin abends unter die heiße Dusche gegangen und hab nie wieder ein juristisches Buch in die Hand genommen, und bin dann am 1. Februar 1971 bei einer Tochtergesellschaft des französischen Saint-Gobain-Konzerns in Deutschland angefangen.
Küpper: Sie sind dann ins Saarland gegangen, aber mit einiger Verzögerung, und als Sie dann wirklich angefangen haben, gab es durchaus das, was wir heute auch kennen, eine gewisse Form der Inflation. Und Sie haben, obwohl Sie noch keinen Tag richtig dort gearbeitet haben, direkt schon nachverhandelt.
Cromme: Ja, das richtig, da bin ich heute noch manchmal etwas überrascht in der Tat. Damals war es so, es gab Inflation und große Lohnerhöhungen, und da hab ich, nachdem ich eigentlich das Gehalt ausgehandelt hatte, zwei Monate später, bevor ich angefangen hab zu arbeiten, noch mal an die Herren da geschrieben und gesagt, jetzt gäbe es ja doch die großen Lohnerhöhungen, ob es nicht angemessen wäre, wenn man auch mein Gehalt anpassen würde. Und zu meiner Überraschung haben sie das gemacht.
Küpper: Sie haben in Ihrem Leben viel verhandelt, auch viele Widerstände überwunden, mussten – wir kommen noch drauf – viele Kämpfe führen, aber zeigt Ihnen das, jetzt auch im Rückblick, dass das irgendwie bei Ihnen angelegt ist?
Cromme: Das kann ich gar nicht so sagen. Eins ist sicher, ich versuche immer, ob sich’s jetzt um eigene Interessen handelt oder um die Interessen derjenigen, die mich da berufen haben, den Job oder die Arbeit zu machen, ich versuche immer, das Beste herauszuholen für die, die mich beauftragt haben, weil ich der Meinung bin, das bin ich denen schuldig, denn das ist ja eine Vertrauensposition, wenn man einem sagt, wir geben dir unsere Interessen, bewahre sie und mehre sie, so gut es geht, und da setze ich mich dafür ein. Aber ich hab nicht das Gefühl, ich bin nicht also jetzt derjenige, der da die letzten Pfennige ausverhandelt. Ich sag immer, leben und leben lassen, also es müssen beide mit den Geschäften zufrieden sein, mit den Verträgen zufrieden sein, sonst wird es sowie nichts. Leben und leben lassen ist immer meine Devise gewesen.
Küpper: Sie waren Ende 20, als Sie dort angefangen haben, und haben dann eine, heute würde man sagen Blitzkarriere hingelegt. Wie war das?
Cromme: Das ist in der Tat richtig, also hab ich ja nie gedacht, nie geträumt. Ich kann mich erinnern, ich bin 1971 angefangen, das war eine besondere Auszeichnung, muss ich sagen, also Saint-Gobain hat mich dann in den ersten zwei Jahren sehr gefördert. Die haben mich zur Harvard Business School geschickt, um da ein Management Program mitzumachen, und dann ging’s also wirklich los. 1975 bin ich dann da bei der Halberger Hütte Chef des Rohrleitungsbereichs geworden, im Alter von 32 Jahren. Das waren immerhin über tausend Leute und damals einen Umsatz von drei-, vierhundert Millionen, ich weiß nicht mehr, was also viel war, und hab dann ja 75 auch geheiratet. Und als ich meiner Frau dann im Saarland die Halberger Hütte zeigte, hab ich ihr gesagt, wenn ich hier einmal Chef werde, hab ich mein Lebensziel erreicht. Na gut, drei Jahre später war ich da Chef, und da musste ich die Ziele etwas in der Zukunft adjustieren und hab natürlich den Blick etwas weiter gespannt als vorher. Aber das war schon überraschend für mich, wie schnell ich da hochgegangen bin. Und dann bin ich 1983 oder 84 Chef der Vereinigten Glaswerke in Aachen geworden.
Das Werk Saint-Gobain Gussrohr in Saarbrücken-Brebach, Halberger Hütte
Erste Stadion von Gerhard Cromme: die Halberger Hütte in Saarbrücken-Brebach (imago / Becker&Bredel / BeckerBredel)
Küpper: Im Grunde genommen waren Sie dann auf dem Pfad der Managerkarriere, der Sie dann später noch zu vielen anderen Stationen geführt hat.
Cromme: Ja, ist völlig richtig. Und überall da in den Konzernen – erst hier bei Saint-Gobain, dann hinterher bei Krupp und dann auch bei anderen Firmen – ging es immer darum, Probleme zu lösen, mit denen andere nicht fertig geworden waren.

Man muss also den anderen immer Gelegenheit geben, gesichtswahrend aus der Situation herauszukommen. Man kann’s aus ethischen Gründen so machen, und man kann’s auch aus Klugheit so machen, denn das Leben zeigt, man trifft alle Leute immer wieder.

Umbruch und Aufruhr: Die Transformation der deutschen Stahlindustrie

Küpper: Herr Cromme, ich hab gelesen, dass Johannes Rau, der jahrzehntelange Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen im Nachgang auf Ihre Zeit in Krupp oder währenddessen einen Witz erzählt hat: "Nach seinem Tod wird Cromme sofort in der Hölle verbannt. Drei Tage später ruft der Teufel Gott an und fleht: Nimm den Cromme bei dir im Himmel auf, denn bei mir legt er alle Öfen still."
Cromme: Ja, das war damals vor 30 Jahren - oder ist noch länger her, 35 Jahre - war das ein Witz im Ruhrgebiet, als ich dann zu Krupp kam.
Küpper: 1986 war das in etwa.
Cromme: Ja, das war 86.
Küpper: Wir müssen uns erinnern: Damals, das Ruhrgebiet, das war Kohle, das war Stahl, das war das Herz der deutschen Industrie, aber es deutete sich schon an, dass es auch Probleme gab, strukturelle Probleme.
Cromme: Ja, es gab große strukturelle Probleme. Der Stahlboom nach dem letzten Krieg hörte praktisch, zumindest in Europa, Anfang der 70er-Jahre auf. Seitdem gab es eigentlich, weil in den Ländern Überkapazitäten geschaffen worden waren, wegen der Überkapazitäten immer wieder Preiskämpfe, und die gesamte europäische Stahlindustrie war nicht in der Lage, die erzeugten Mengen kostendeckend abzusetzen. Das ging schon in den 70er-Jahren los, Ende der 70er-Jahre wurde es manifest, dann die 80er-Jahre, es wurde überall restrukturiert.
Küpper: Ab wann war Ihnen klar, dass das nicht der Weg sein könnte?
Cromme: Ich muss sagen, ich bin ja 86 damals zum Chef der Krupp Stahl AG gewählt worden und bin gewarnt worden auch von Kollegen, die ich aus dem Thyssen-Konzern kannte. Die sagten, Krupp Stahl ist praktisch pleite. Mich hat der Name natürlich wie ein Magnet angezogen, und auch weil ich dachte, was heißt pleite, es gibt immer Möglichkeiten, was draus zu machen, und jetzt biste dran, jetzt biste gefordert, und das ist jetzt Hochreck, was von dir gefordert wird, ohne Netz und doppelten Boden, da musste jetzt also in schwierigstem Umfeld zeigen, was du wirklich kannst. Und dann bin ich da angefangen und hab dann allerdings nach zwei, drei Monaten festgestellt, dass in der Tat die Situation beängstigend schlecht war. Krupp Stahl hing am seidenen Faden der WestLB, um es mal so zu sagen. Ja gut, dann hätte ich die Möglichkeit gehabt, weil ich offiziell erst zum 1. Oktober angefangen habe, aber schon im Juni bestellt worden bin, hätte ich die Möglichkeit natürlich gehabt, ich sag mal den Schlüssel unter den Abtritt zu legen und wegzulaufen. Das hab ich aber nicht getan, weil das nicht meinem Naturell entspricht, sondern hab gesagt, okay, je größer die Aufgabe, umso mehr kannst du zeigen, was du kannst, und hab dann also die Herausforderung angenommen, hab aber, seitdem ich da war, gewusst, dass es jetzt hier Riesenprobleme gibt und die deutsche Stahlindustrie mit den bisherigen Methoden nicht auf gesunde Füße gestellt werden kann.
Küpper: Und diese Herausforderung, wenn man heutzutage zurückguckt, das firmierte am Ende unter einem Namen: Rheinhausen, die Duisburger Stahlhütte. Das war durchaus, ja, man kann fast schon sagen ein Mythos.
Cromme: Ja, das ist richtig. Es war natürlich einer der größten Arbeitskämpfe, wenn nicht der größte Arbeitskampf, der je in Deutschland durchgeführt wurde.
Küpper: Zumindest der längste.
Cromme: Zumindest der längste, sechs Monate hat’s gedauert, völlig richtig. Ja gut, wie kam’s dazu? Ich kann mich erinnern, dass damals Krupp Stahl pro Tag eine Million verlor. Das war nicht lange auszuhalten, ruckzuck ist man ausgeblutet. Und dann hab ich versucht, mit den Kollegen nach Lösungen zu suchen, wobei ich einfach festgestellt habe, es war keine Bereitschaft da, weder bei Thyssen noch bei Hoesch, auf irgendwelche …
Küpper: Dem Konkurrenten.
Cromme: … auf irgendwelche gemeinsame Lösungen einzugehen, im Grunde Kapitulation, aber nicht eine partnerschaftliche Lösung. Dann hat sich herausgestellt, dass die Mannesmann-Werke, die eigentlich wegen der Röhren und auch anderer Aktivitäten nicht unmittelbar zur Stahlindustrie zählten, zum harten Kern der Stahlindustrie, dass die in ihrer Hütte in Huckingen ähnliche Probleme hatten bei der Rohrfertigung. Und da hab ich mit dem damaligen Vorstandvorsitzenden Dieter ausgemacht, dass wir die beiden Werke, die beide am Rhein lagen, wenn auch auf der jeweils anderen Seite, dass wir die fusionieren.
Küpper: Aber das hieß auch, Rheinhausen muss geschlossen werden.
Cromme: Das war, Rheinhausen musste geschlossen werden. Rheinhausen war eigentlich ein durchaus modernes Stahlwerk, aber dadurch, dass es eben jetzt mit Mannesmann ging … Mannesmann hatte in Huckingen für die Röhren spezielle Anlagen stehen, die sehr teuer waren, und es machte keinen Sinn, jetzt Huckingen zu schließen und in Rheinhausen dieselben Anlagen wieder aufzubauen. Lange Rede, kurzer Sinn: Das Ganze hier, aus zwei mach eins, machte nur Sinn, wenn wir Rheinhausen geschlossen haben, und das haben wir dann auch gemacht, geschlossen. Aber dann hat sich rausgestellt, dass das natürlich auf massiven Widerstand gestoßen ist.
Küpper: Sie haben es gerade gesagt, das waren die Pläne, das war der Beschluss, aber dann setzte eben dieser Arbeitskampf ein, und die Betonung kann man da wirklich, glaube ich, auf Kampf legen.
Cromme: Gut, das Ruhrgebiet war wundgescheuert durch diese 15-jährige ständige, nie konsequent zu Ende geführte Anpassung – immer ein bisschen da, immer ein bisschen hier, Oberhausen, Henrichshütte, jetzt hier Rheinhausen, Mannesmann, überall immer wieder aufs Neue. Und als jetzt Rheinhausen kam … Und es war in Rheinhausen auch in den Jahren davor schon immer wieder restrukturiert worden, die Zahl der Arbeitsplätze hatte sich schon in den 10, 15 Jahren vorher praktisch von 16.000 auf 8.000 verringert. Und als ich jetzt kam und sagte, jetzt müssen wir es ganz dichtmachen, da brach natürlich ein Sturm der Entrüstung aus. Wobei ich sagen muss, ich hab volles Verständnis für die Mitarbeiter gehabt, die natürlich in großer Sorge waren – um ihren Job, um die Familien und so weiter.
Wir haben zwar von vornherein dadurch gewusst, dass wir ja auf Mannesmann fusionierten, dann in Mannesmann die Kapazität sich verdoppeln würde, konnten wir ohne Weiteres der Hälfte der Mitarbeiter sowieso Jobs anbieten. Auf der anderen Seite des Rheins und darüber hinaus in den Konzernen Mannesmann generell und Krupp generell wäre es möglich gewesen, sozialverträglich, also ohne Kündigungen die Restrukturierung durchzuführen, aber das wollte damals keiner hören. Deshalb hat es eben dazu geführt, dass hier der Arbeitskampf losging. Ich werde nie vergessen, ich war in meinem Wohnhaus abends zu Hause, da ging das Telefon, ich geh dran. Da war der damalige Wirtschaftsminister Jochimsen von Nordrhein-Westfalen am Telefon: Ja, er wäre mit dem Ministerpräsidenten Rau in Indien, hätte gerade gehört, ich wollte Rheinhausen schließen, was denn da los wäre. Der Ministerpräsident käme morgen oder übermorgen zurück, und ich möchte doch mal schnell vorbeikommen, um ihm zu erzählen, was da los ist.
Ja gut, dann ging’s also los mit unendlich vielen Arabesken und schwierigen Situationen. Auch da muss ich sagen, im Gegensatz zu vielen meiner Kollegen, um nicht zu sagen zu allen meinen Kollegen, ich habe mir gesagt, das ist eine derart gravierende Entscheidung, ich bitte nicht meinen Arbeitsdirektor oder den für Personal verantwortlichen Herrn oder Dame, in die Belegschaftsversammlung zu gehen und das mitzuteilen und zu begründen, sondern das machste selbst, und hab deshalb also zum wiederholten Male in einer völlig aufgeheizten Stimmung einmal vor 20.000 Rheinhausenern, also das gesamte Werk mit Familien war da, hab ich erläutert, weshalb ich der Meinung war, dass das richtig war, dass es gemacht werden muss, dass es ein schwieriger Einschnitt ist, aber dass wir sozialverträgliche Lösungen haben, keiner fällt, wie das damals hieß, ins Bergfreie, sondern für jeden wird gesorgt werden. Entweder wird er pensioniert oder er kriegt einen neuen Job, aber das wollte keiner hören, oder viele Verantwortliche wollten es nicht hören. Und dann ging es eben über lange Zeit hin und her.
Küpper: Und diese Zeit war durchaus hitzig. Man muss sich das vorstellen, Sie haben es gerade gesagt, Sie haben anreden müssen gegen Tausende, 20.000. Sie haben dann unterirdische Fluchtwege kennengelernt, Sie haben in dieser Zeit, glaube ich, auch drauf verzichtet, ihren Mantel von Eiern zu reinigen, weil es sinnlos war.
Cromme: Ja, ich hatte also einen Mantel, den sogenannten Eiermantel, den, wann immer ich wieder raus musste, meine Frau schon griffbereit da hingelegt hat, hatte auch keinen Zweck, den zu reinigen, denn es hätte nicht viel gebracht, weil kurz drauf schon wieder irgendwie eine neue Diskussion, eine Betriebsversammlung begonnen hatte. Und es war so, das war auch alles nicht ungefährlich. Das IG-Metall-Vorstandsmitglied Judith, der Leiter des IG-Metall-Büros in Düsseldorf, hat mir gesagt, Herr Cromme, gehen Sie nicht raus, das ist zu gefährlich, aber ich hab gesagt, das mach ich, aber hatte dann eben diesen Mantel. Und dann flogen Eier, es flogen aber nicht nur Eier, teilweise flogen auch Eisenstücke, und ich bin oft dann durch Leute, die hier vom Werkschutz und auch Kollegen, die aufgepasst haben, über Wege rausgeführt worden – durch Versorgungsschächte, unterirdische Wege, das war nicht vergnügungssteuerpflichtig.
Wütende Proteste gegen die Schließung des Krupp-Stahlwerks in Duisburg-Rheinhausen
Wütende Proteste gegen die Schließung des Krupp-Stahlwerks in Duisburg-Rheinhausen ( imago / Sven Simon)
Küpper: Nein, es gab damals auch Pfarrer, die gesagt haben, wenn die Hütte im Tal verloren geht, kann man sich nicht wundern, wenn auch die Villa auf dem Hügel brennt, und es ging bei Ihnen auch ins Private rein, auch Ihre Familie musste…
Cromme: Ja, es gab ja Morddrohungen, Belagerungen des Privathauses. Wir sind damals im Gästehaus mit der ganzen Familie, mit meinen vier Kindern, im Gästehaus von Krupp untergekommen eine Zeit lang, und dann hab ich meine Familie nach Frankreich, nach Südfrankreich ausgelagert.
Küpper: Die Schließung von Rheinhausen hat geklappt, es gab den Jahreswechsel 87/88, wo Sie, glaube ich, Kraft gesammelt haben und dann zu einer Art Gegenangriff übergegangen sind, und es endete dann in der sogenannten Düsseldorfer Vereinbarung aus dem Mai 1988.
Cromme: Ich muss sagen, Ministerpräsident Rau, weil alle anderen abgetaucht waren, Ministerpräsident Rau hat mit hohem persönlichem Mut jetzt hier in der Nacht, der 30. April, die Nacht auf den 1. Mai, hat er die IG Metall, die Belegschaftsvertreter und das Management – in der Regel war ich das mit dem Finanzvorstand Fleckenstein – nach Bonn eingeladen. Gut, jetzt muss man sagen inzwischen, es waren alle erschöpft, und es war klar, Cromme gibt nicht nach.
Küpper: War Ihnen das auch klar?
Cromme: Für mich war das von Anfang an klar. Ich muss ganz ehrlich sagen, der Heimatfront war es nicht immer so klar, denn Krupp, gerade Krupp Stahl, und auch Krupp als Ganzes wurde ja sehr stark dominiert durch die Krupp-Stiftung, und Herr Beitz, der das ursprünglich alles mitgetragen hatte, war natürlich großem Druck ausgesetzt, doch den Cromme fallen zu lassen, und ich schließe nicht aus oder ich bin sicher, dass also bei ihm das auch eine Zeitlang hin und her ging, ob er’s machen soll oder nicht. Aber für mich war völlig klar, das war richtig, es musste gemacht werden, und ich war unter gar keinen Umständen bereit, da auf faule Kompromisse einzugehen. Und dann hat Ministerpräsident Rau uns zusammengeholt, und da bin ich ihm wirklich dankbar für, weil eigentlich die Zeit reif war, und er hat dann das Problem ergriffen und gesagt, wie können wir uns jetzt einigen. Und dann hat es ja die sogenannte Düsseldorfer Erklärung gegeben, die dann dazu führte, dass es alles so kam, wenn auch teilweise ein bisschen mit zeitlicher Verzögerung, wie ich das von Anfang an vorgeschlagen hatte.
Küpper: Sie waren dann weiterhin im Krupp-Konzern. Dieser Schritt war geschafft, aber im Grunde genommen ging die Konsolidierung dann weiter und sollte dann auch auf die nächsten Jahre weitergehen, weil die strukturellen Probleme damit immer noch nicht gelöst waren.
Cromme: Ja, das war klar, das hat nur jetzt einen Teil des Problems, hat ja nicht das Problem der deutschen Stahlindustrie gelöst. Das war im Sommer 87. Bei Krupp gab es, losgelöst vom Stahl, auch große Probleme, und es gab den Wechsel in der Konzernspitze bei Krupp. Da war die Frage, wer soll der Nachfolger von Herrn Scheider werden, und da bin ich dann vorgeschlagen worden. Es gab erst gewisse Widerstände auf der Arbeitnehmerseite, wofür ich volles Verständnis habe, auf der anderen Seite waren die aber schnell beseitigt. Dann kam’s zur Abstimmung, und alle Arbeitnehmervertreter, die Anteilseignervertreter sowieso, alle Arbeitnehmervertreter haben für mich gestimmt. Es gab eine Ausnahme, das war der Kollege von Rheinhausen, der mir dann hinterher sagte, wenn ich jetzt für Sie gestimmt hätte, hätte ich nicht zurückkommen brauchen, denn dafür hätte in Rheinhausen keiner Verständnis gehabt. Aber das hat mir auf der anderen Seite … Ich hab ja hinterher mit den Kollegen, als die Zeiten wieder ruhiger waren, zwei, drei Jahre später, immer wieder gesprochen und hab sie gefragt, warum habt ihr denn für mich gestimmt, wir haben doch wirklich bis aufs Messer gekämpft. Ja, haben sie gesagt, Sie sind ein ganz harter Brocken, aber fair, und suchen am Ende Lösungen, die auch für die andere Seite akzeptabel sind. Das ist im Grunde die Devise meines Lebens, das hab ich in anderen Fällen auch gemacht: Leben und leben lassen, Win-Win, wie das heutzutage auf Neudeutsch heißt, man muss also dem anderen immer Gelegenheit geben, gesichtswahrend aus der Situation rauszukommen. Man kann’s aus ethischen Gründen so machen, und man kann’s auch aus Klugheit so machen, denn das Leben zeigt, man trifft alle Leute immer wieder. Und wenn Sie einmal einem, der am Boden liegt, noch zusätzlich einen Fußtritt gegeben haben, das wird er Ihnen nie vergessen. Wenn Sie ihm die Hand gegeben haben, dass er aufstehen kann, das wird er Ihnen mit Sicherheit in irgendeiner Weise zugute halten.
Küpper: Lösungen mussten Sie dann auch in der neuen Funktion suchen, und die Lösung lag weiterhin im Fusionieren, im Konsolidieren, und es kam dann zu mehreren Übernahmen im Nachgang oder zu mehreren Fusionen am Ende.
Cromme: Krupp ging’s ja schlecht, und ich will jetzt keine Namen nennen, aber ein großer deutscher anderer Stahlkonzern, der von Leuten geführt wurde, die sich mit Beitz bei Krupp überworfen hatten, die waren nicht bereit, da in irgendeiner Weise Krupp die Hand zu geben. Man muss jetzt ja auch wissen, es hatte ja Anfang der 80er-Jahre von den sogenannten Stahlmoderatoren – Herrhausen und von Bennigsen und so weiter – hat es ja den Versuch gegeben, die Stahlindustrie neu zu strukturieren. Das ist ja alles dann zerredet worden. Na gut, dann hab ich einfach gesagt, es nützt nichts, man kann lange reden, aber irgendwann muss man’s machen. Und dann bin ich angefangen und hab also dann Hoesch übernommen. Da wird erzählt, erste große feindliche Übernahme in Deutschland – ich hab keine Ahnung, hab das also nie historisch gecheckt, aber es war natürlich ein Riesending.
Küpper: Sie haben erst heimlich Aktien aufgekauft.
Cromme: Wir haben heimlich Aktien aufgekauft, und dann haben wir da eine vernünftige Lösung hingekriegt, haben in großem Stil auch Personal übernommen. Auch der Arbeitsdirektor der neuen Gesellschaft kam von Hoesch. Der hat gesagt, der hätte jetzt schon in der Stahl… – hier mit Oberhausen und Henrichshütte und was es alles gab – hätte schon mehrere Fusionen mitgemacht, das wäre die menschlich anständigste gewesen, die er mitgemacht hätte, weil ich allen Hoeschianern die Hand gegeben habe und habe, wenn es um die Besetzung von Posten ging, bei gleicher Qualifikation den Hoesch-Mann genommen, um Ruhe in den Bau zu bringen. Das hat sich auch ja fürs Unternehmen als sehr vorteilhaft herausgestellt, und hab den Kruppianern gesagt, so, jetzt warte mal zwei Jahre, dann gibt’s neue Möglichkeiten, und so sind ja alle untergekommen.
Küpper: Also Sie wurden dann Ihrem Ruf gerecht, und nachdem das geschafft war, ging es weiter, dann griffen Sie nach dem Stahlmarktführer damals.
Cromme: Ja, gut, mit Thyssen. Auch das war absolut richtig von der Sache her, die gehörten zusammen. Ist ja auch immer wieder gesagt worden, schon von den Stahlmoderatoren 15 Jahre vorher, nur es ist nie was passiert. Und dann hab ich gesagt, okay, jetzt machen wir’s noch mal. Es war alles fix und fertig, die Beschlüsse waren da, und war alles fix und fertig, und dann ist das durch eine Indiskretion – ich weiß auch von wem, möchte ich jetzt also nicht sagen – Thyssen gesteckt worden, und dann ging natürlich hier der Widerstand los. Am Ende haben wir es dann aber – nicht so, wie gedacht und auch nicht so erfolgreich wie gewünscht und wie es möglich gewesen wäre –, am Ende haben wir es also hingekriegt und haben eben Thyssen und Krupp fusioniert, und war goldrichtig, weil es für uns gewaltige Kosten gespart hat. Im Stahl ist es so, die Kapitalkosten für die Investitionen für die Stahlwerke, für die Hochöfen, für die Koksöfen und so weiter, sind so gewaltig, dass sich das nur rentiert, wenn die Anlagen ausgelastet sind.
Küpper: Aber später noch – ich springe jetzt ein wenig – Sie waren dann mittlerweile auch im Aufsichtsrat, aber dann gab es eben auch große Investitionen bei Thyssenkrupp, die sich dann später wiederum nicht rechneten, weil das ja auch alles immer langfristige Investitionen sind.
Cromme: Ja, nein, Sie spielen hier auf die Investitionen in Brasilien an. Als wir die Entscheidung gefällt haben 2005/2006, da war das auf dem Papier, da hatten wir uns absolut Mühe gegeben, hier die besten externen Berater, die Fachleute, alle waren der Meinung und haben das analysiert und bestätigt, für drei Milliarden kann man in Brasilien ein neues Stahlwerk bauen. Aber dann hat sich einmal mehr herausgestellt, was ich in anderen Situationen auch schon gesehen habe, nicht nur bei uns, auch bei anderen Firmen: Wenn sich das Umfeld ändert, die Rahmenbedingungen ändern, dann kann die Entscheidung richtig gewesen sein zu dem Zeitpunkt, als sie gefällt wurde, aber hinterher, wenn sie denn realisiert wird, war sie falsch. Genau das war das, was wir in Brasilien gesehen haben. Die Währungen haben sich verändert, die Märkte haben sich verändert, die Produktströme haben sich geändert. Dann gab’s auch interne Fehler, völlig einverstanden, beachtliche interne Fehler, die dazu geführt haben, dass die Kosten des Werks dreimal so hoch waren wie das, was wir ursprünglich geplant haben. Und das hat dann natürlich zu einem Riesenproblem für Thyssenkrupp geführt, an dem Thyssenkrupp heute teilweise noch leidet.
Küpper: 2007 sind Sie stellvertretender Vorsitzender der Krupp-Stiftung geworden, dieser mächtigen Stiftung im Ruhrgebiet, hält gut 25 Prozent am Konzern, und für viele war damit klar, dass Sie auch damit in die Nachfolge kommen von Berthold Beitz, der auch ein paarmal jetzt anklang. Warum hat das nicht geklappt?
Cromme: Gut, es gibt viele Gründe, aber der offensichtlichste Hintergrund war, durch diese Fehlinvestitionen, nicht Fehlinvestitionen, aber falsch gelaufenen Investitionen in Brasilien war für das Unternehmen … Es musste ein Wechsel her, und letztlich ist es richtig, dass die Verantwortlichen, selbst wenn sie nicht unmittelbar diejenigen sind, die die Fehler gemacht haben, aber die die Aufsicht …
Küpper: Aber sie sind die Verantwortlichen.
Cromme: … die die Aufsicht hatten oder die Kontrolle hatten. Selbst wenn denn der Vorstand oder hier die vor Ort Verantwortlichen die Fehler machen, letztlich ist es richtig, dass auch die anderen, die nicht unmittelbar Beteiligten, möchte ich mal sagen, an den operativen Dingen, dass die die Verantwortung übernehmen. Und das ist dann also eben hier gewesen, und damit bin ich aus dem Krupp-Konzern komplett ausgeschieden.
Küpper: Würden Sie sagen, das, worüber wir gerade gesprochen haben, war der größte Fehler, den Sie in Ihrer beruflichen Karriere zu verantworten hatten?
Cromme: Das Wort Fehler – ich meine, es kommt drauf an. Ich würde sagen, es wäre ein Fehler gewesen, wenn wir damals, als wir die Entscheidung gefällt haben, wenn wir damals die Dinge nicht richtig analysiert hätten und sich herausgestellt hätte, wir sind von völlig falschen Prämissen ausgegangen. Nein, ich würde sagen, das Wort Fehler, es war ein, nennen wir es Missgeschick – Fehler ist, dass man sich subjektiv sagen muss, du hast was falsch gemacht, das kann ich nicht sagen. Aber es ist schiefgelaufen, und dafür müssen die Verantwortlichen die Verantwortung übernehmen, das hab ich gemacht.

Nach dem Motto, ich geh den Dingen nicht aus dem Weg, hab ich das übernommen, und dann mussten wir eben Siemens retten.

Neue Branchen, neue Aufgaben

Küpper: Gut 30 Jahre waren Sie Vorstand, Manager im operativen Geschäft, und dann folgte im Grunde genommen eine zweite Karriere als Aufsichtsrat, auch als gestaltungskräftiger Aufsichtsrat bei Siemens und in der ganzen Deutschland AG. Nicht alle können damit was anfangen. Sie werden ja auch mitunter genannt Kapitän der Deutschland AG. Was war das für ein Konstrukt?
Cromme: Na gut, das ist natürlich, von außen betrachtet kann man so was sagen, von innen, so war’s ja nie. Es ist natürlich klar, als ich mit 60 Jahren nicht mehr operativ tätig war, sondern in den Aufsichtsrat gewechselt, hatte ich natürlich Freiräume, und diese Freiräume sind schnell dadurch genutzt worden, dass alle möglichen deutschen und europäischen Firmen zu mir kamen und sagten, wollen Sie nicht bei uns in den Aufsichtsrat, wollen Sie uns nicht helfen, beraten und so weiter. Und so bin ich dann in kürzester Zeit in Frankreich da bei Engie oder den Vorgesellschaften in den Aufsichtsrat gekommen, Aufsichtsrat Saint-Gobain, Aufsichtsrat BNP, also der großen Bank, Thales, dem großen Rüstungskonzern und in Deutschland hier Volkswagen und Lufthansa und Allianz und E.on und so weiter …
Küpper: Und vor allem eben bei Siemens.
Cromme: Ja, und dann auch bei Siemens, 2003 bin ich bei Siemens in den Aufsichtsrat gekommen und bin denn Vorsitzender des Prüfungsausschusses geworden und dann 2007 Vorsitzender des Aufsichtsrats, als hier diese Schmiergeldaffäre hochkam.
Küpper: Wiederholt sich da Geschichte erneut? Ein großer deutscher Industriename mit existenziellen Problemen.
Cromme: Man muss dazu sagen, dieser Schmiergeldfall bei Siemens ist eine gewisse tragische Entwicklung auch, denn es war so, dass in ganz Europa das Zahlen von Schmiergeld an ausländische Beamte oder Stellen absolut toleriert war, es war sogar steuerlich absetzbar – die Nebenabgaben, wie das so schön hieß. Das war in Frankreich, in Großbritannien, in Deutschland, das war überall so.
Küpper: Also gesellschaftlich legitimiert.
Cromme: Gesellschaftlich legitim, was natürlich völlig falsch war, weil man dadurch diesen Ländern nicht die Möglichkeit gegeben hat, sich sauber zu entwickeln, sondern große Beträge des Volksvermögens in schwarze Kassen liefen von den Leuten, die sich haben korrumpieren lassen. Das wurde schon lange gesehen, deshalb sagten ja alle Staaten, also unsere Beamten darfst du aber nicht bestechen, sondern nur die von anderen Staaten. Und irgendwann, Ende der 90er-Jahre, war Schluss damit, und Anfang 2000 plus/minus gab es überall Gesetze – in den Vereinigten Staaten, auch in Europa –, dass Schmiergeld strafrechtlich verfolgt wird. Jetzt haben aber gerade die Gesellschaften, die im großen Stil Infrastrukturprojekte mit anderen Staaten betrieben haben, wie zum Beispiel Siemens oder General Electric oder wie sie auch alle hießen, auch die Wettbewerber von Siemens, die haben in der Vergangenheit vorher in großem Stil geschmiert, als es noch erlaubt war, und standen jetzt vor der Frage, das abzustellen. Einige haben schneller abgestellt, andere haben länger gebraucht. Bei Siemens hat man länger gebraucht, und das hat dann dazu geführt, dass 2006, im November 2006, die Staatsanwaltschaft und Polizei in ganz großem Stil eine Vielzahl von Büros von Siemens untersucht haben und es sehr schnell herauskam, dass die Bestechung bei Siemens, wenn auch geringer als in der Vergangenheit, ein ganz ausgeklügeltes System mit schwarzen Kassen war und Parallelentwicklungen. Das hat dann dazu geführt, dadurch, dass Siemens auch an der New Yorker Börse eingetragen war und geführt wurde, dass der Druck der Vereinigten Staaten und auch aus Deutschland – also diese Untersuchungen wurden ja in Deutschland durchgeführt, durch deutsche Behörden –, das führte dazu, dass es ein Riesenproblem war und Siemens echt in Gefahr war, die weiße Fahne zeigen zu müssen.
Küpper: Von 2003 bis 2018 waren Sie bei Siemens – Sie haben es gerade skizziert, die Prozesse, die dann folgten in den USA, da ging es wirklich um die Existenz. Wie sind Sie dieses Thema, dieses Problem angegangen?
Cromme: Ich war Vorsitzender des Prüfungsausschusses, und ich muss sagen, im Gegensatz zu dem, was oft gesagt wurde, der Prüfungsausschuss damals und der Aufsichtsrat generell wurden nur – das ist ja untersucht worden auch und ist ja alles nachzulesen heute … An einer Stelle stand, dass der Prüfungsausschuss unvollständig, teilweise irreführend und teilweise überhaupt nicht informiert war. Damit war der Prüfungsausschuss als jemand, den man hätte mit angreifen können, völlig aus dem Spiel. Aber die Probleme waren da, mussten gelöst werden, und dann war es so, dass mein Vorgänger bei Siemens, Heinrich von Pierer, zurückgetreten ist, und dann war die Frage, wer soll das jetzt machen, und die Wahl des Aufsichtsrats kam auf mich. Und nach dem Motto, ich geh den Dingen nicht aus dem Weg, hab ich das übernommen, und dann mussten wir eben Siemens retten. Es gibt ja andere Konzerne, die vor ähnlichen oder vergleichbaren Problemen dann pleitegegangen sind. Und bei Siemens war das ein Riesenproblem, weil Siemens sehr stark von öffentlichen Aufträgen abhing. Wenn Siemens auf die schwarze Liste der Weltbank oder der Staaten gekommen wäre, hätte Siemens keine Chance mehr gehabt, jemals irgendwo einen Auftrag zu kriegen, in dem staatliche Gelder drin waren.
Küpper: Sie haben sich dann entschieden, alles offenzulegen, auch mit den Behörden in den USA zu kooperieren, und dann kam es da zu Verhandlungen, zu Prozessen – wo man da durchaus aber auch von Ihrer Seite auch mal harte Kante zeigen musste.
Cromme: Ja gut, das war meine Initiative damals, als das kam, da war ich noch Vorsitzender des Prüfungsausschusses. Ich wusste natürlich, wie so was in den USA gehandelt wird, und hab gesagt, wir müssen jetzt hier … Da wir auch an der Börse in New York gelistet sind und wir unter gar keinen Umständen auf schwarze Listen kommen, hilft nur eins: in Demutshaltung zu den Behörden hin und sagen, wir kooperieren und wir tun alles, um das aufzudecken.
Küpper: Sie waren gut in dem Thema drin, weil sie zuvor auch schon – ein kleiner Exkurs an dieser Stelle – eine Regierungskommission geleitet haben, Deutscher Corporate Governance Kodex, der wurde dort erarbeitet im Auftrag der Bundesregierung, Gerhard Schröder damals, der Bundeskanzler. Da ging es um etwas, was im angelsächsischen Raum ja schon Usus war, dass man Aufsichtsrat, Vorstand, dass man das voneinander trennt, um eben Interessenkonflikten zu begegnen.
Cromme: Ja, gut, es gab in Deutschland und auch in den anderen Ländern … Die Governance oder die Art, wie die Unternehmen geführt wurden, ob jetzt mit Vorstand und Aufsichtsrat oder mit Vorstand und Verwaltungsrat oder mit einem einheitlichen Board, in dem Vorstand und Externe als Aufsichtsräte, kann man sagen, oder Verwaltungsräte mit aktiv sind, das gab’s ja schon alles früher. In Deutschland war das nur alles in unendlich vielen unterschiedlichen Gesetzen, Verordnungen drin, und dann haben wir uns gesagt, um das fürs Ausland transparent zu machen, müssen wir das Ganze jetzt mal zusammenfassen. Wir haben es entstaubt, etwas, was in Deutschland üblich war, haben uns den modernen, auch den üblichen internationalen Trends angepasst, zum Beispiel Veröffentlichung der Gehälter, Riesenwiderstände auch in der Kommission, in der deutschen Wirtschaft wollte man nicht, auch hier Bremsen, wann man vom Vorstand in den Aufsichtsrat wechseln kann, was ja früher unmittelbar in Deutschland erfolgte, die Cooling-off-Periode, zwei Jahre mindestens warten, das haben wir alles dann durchgesetzt. In dem Zusammenhang bin ich auch in den USA gewesen, in England, hab mit meinen Kollegen in den Kommissionen da gesprochen und dann natürlich einen relativ guten Überblick gehabt, was in Fällen dieser Art, die wir jetzt bei Siemens hatten, möglich war.
Küpper: Ist das dann, Stichwort Siemens … Dort haben Sie dann sozusagen das Ganze aufgedeckt, ausgearbeitet, auch mit den Behörden dort, aber es galt natürlich dann, nachdem man das Unternehmen sozusagen gerettet hat, nachdem man den Worst Case abgewendet hat, musste das Unternehmen ja sozusagen konsolidiert und neu aufgestellt werden. Sie haben damals den Vorstandsvorsitzenden, Klaus Kleinfeld, ja, man kann sagen aktiv ausgetauscht – am Ende läuft es natürlich anders –, aber Sie haben einen neuen Vorstandsvorsitzenden geholt, Peter Löscher, was durchaus auch Kritik damals gab. Wieso haben Sie das gemacht?
Cromme: Es wäre fahrlässig gewesen, auch für Siemens, wenn wir weitergemacht hätten mit denen, die da waren, denn wenn wir eine abschließende Regelung mit dem Department of Justice wollten und dann kurz vor der Unterschrift sich herausstellte, dass der CEO oder entscheidende Vorstände auch noch jetzt irgendwie mit den Dingen belastet waren, da wären wir nie weitergekommen. Deshalb also haben wir gesagt, wir müssen hier relativ klare Verhältnisse haben – das heißt nicht, dass wir alle ausgetauscht haben, sind ja eine Reihe von Vorständen auch, die schon da waren, geblieben. Dann brauchten wir jemanden von außen, der jetzt nach innen und außen das Vertrauen wiederherstellte, und da war Peter Löscher genau der Richtige. Es war das erste Mal seit Langem, dass einer von außen bei Siemens kam, das erste Mal überhaupt, das war goldrichtig. Peter Löscher hat dann in den darauffolgenden Jahren ganz entscheidend mit dazu beigetragen, dass das Image von Siemens wieder besser wurde, die Dinge bereinigt wurden, und insofern ist auch ihm zuzuschreiben, dass wir diesen Erfolg bei Siemens hatten.
Küpper: Aber für diesen Weg, für diesen Wandel des Unternehmens dann letztendlich vom Technikproduzenten zum Softwareanbieter, brauchte es dann noch einen weiteren Wechsel auf der Vorstandsvorsitzenden-Position, für die Sie dann als Aufsichtsrat natürlich ja auch verantwortlich sind qua Amt. Joe Kaeser haben Sie dann inthronisiert – weil Peter Löscher seinen Dienst getan hatte, oder?
Cromme: Ach, in Deutschland meint man natürlich immer, man muss zehn Jahre, 15 oder 20 Jahre einen bestimmten Job machen. Es war so, dass Peter Löscher in der Tat diese, ich möchte mal sagen das neue Siemens in ganz entscheidender Weise mitgeprägt hat. aber die wirklichen Herausforderungen von Siemens waren ja nicht, den Schmiergeldprozess zu beenden, sondern das war im Grunde ein Unfall, der passiert ist. Die eigentliche Herausforderung für Siemens war sicherzustellen, dass Siemens vor dem Hintergrund der Digitalisierung und der Veränderungen der Welt, dieser schnelllebigen Welt ganz andere strategische Lösungen suchen musste. Und da war es einfach so, dass das andere besser konnten als die, die da waren, und deshalb hat es eben einige Wechsel gegeben.
Küpper: Und das bedeutet dann auch immer millionenschwere Abfindungen, aber das ist dann eben der Preis, den man für eine Neuausrichtung zahlt, wenn sie notwendig ist?
Cromme: Ja, das hört sich komisch an, ja, die Leute haben Verträge, dafür verpflichten sie sich auch zu bleiben und auch nicht wegzugehen, muss man da auch sagen, aber wenn man die dann vorzeitig löst, muss man natürlich die vertraglichen Verpflichtungen erfüllen, und das haben wir gemacht. Vor dem Hintergrund der Herausforderungen, vor denen Siemens stand, sind das letztlich Nebensächlichkeiten.
Küpper: 15 Jahre waren Sie bei Siemens – waren Sie ein aktiver Aufsichtsrat, aktiver, als Sie vielleicht ursprünglich gedacht haben selber?
Cromme: Als Aufsichtsrat habe ich immer die Devise gehabt, ich mische mich nicht ins operative Geschäft ein. Die Kunst des Aufsichtsrats besteht darin, die besten Leute für den Vorstand zu finden und dann den Vorstand machen zu lassen, weil es die besten Leute sind. Wenn ein Aufsichtsrat anfangen muss, sich um Tagesgeschäft zu kümmern, dann sollte er den Vorstand auswechseln und nicht sich ums Tagesgeschäft kümmern.

Aber das hat mir doch gezeigt, dass sich da draußen Dinge tun, von denen auch ich aus der Old Economy kommend, keine Ahnung hatte.

Anders denken, anders handeln

Küpper: Herr Cromme, Sie waren Vorstand, Manager, Sie waren Aufsichtsrat, und im Grunde genommen gibt es eine dritte Karriere: als Investor, als Business Angel will ich mal sagen, und der erste Kontakt in diese Start-up-Welt, der kam durch Ihre Kinder. Natürlich hatten Sie als Vorstand auch schon vorher davon gelesen, aber wie hat sich Ihnen diese neue Welt, diese Welt der Start-ups erschlossen?
Cromme: Gut, da waren natürlich auf der einen Seite Kontakte der Kinder zu Gründern. Auf der anderen Seite war es so, dass ich bei Siemens einfach gesehen habe, dass sich da eine Welt auftut, die mir auch unbekannt war, die aber für das Überleben von Siemens von absoluter Wichtigkeit ist. Ich sag mal, der Aha-Effekt war, Siemens war 1990 im Telekom-Ausrüstungsbereich eine der weltführenden Firmen, davon war 2005, also 15 Jahre später, nichts mehr da. Warum? Weil eben die ganze Telekom-Welt sich so verändert hat, dass die Produkte von Siemens nicht mehr die gleiche Bedeutung hatten wie vorher, weil es neue Entwicklungen gab. Und die Entwicklung war das drahtlose Telefon, das Handy, wie wir sagen, und das ist deshalb besonders schmerzhaft, weil Anfang der 90er-Jahre drei junge Leute aus Kalifornien in München bei Siemens waren und versucht haben, den damaligen Verantwortlichen klarzumachen, dass die Telekom-Welt in 10, 15 Jahren völlig anders aussehen wird. Das hat man bei Siemens nicht geglaubt. Ich hab da ein gewisses menschliches Verständnis für: Wenn man Weltmarktführer ist und so erfolgreich, ist es natürlich unwahrscheinlich schwer, sich disruptive Entwicklungen vorzustellen, die all das, was man heute hat, da eben das zu akzeptieren, dass davon nichts mehr bleibt. Und dann sind die drei jungen Leute nach Kalifornien zurück, haben Cisco gegründet, die Vorgesellschaft von Cisco – ja gut, und das Ergebnis war, wo Cisco heute ist und wo die Telekom von Siemens ist. Und das hat mir, als ich 2003 da in den Aufsichtsrat kam, da hatte ich ja nie dran gedacht, dass ich da mal irgendwelche führenden Positionen wahrnehmen würde, aber das hat mir doch gezeigt, dass sich da draußen Dinge tun, von denen auch ich aus der Old Economy kommend, keine Ahnung hatte. Und dann bin ich systematisch angefangen rumzureisen, auf Kongresse zu gehen, zu Veranstaltungen zu gehen, wo Start-ups ihre Ideen vorstellten, und hab dann Kontakt mit den Leuten aufgenommen, um einfach die Welt zu verstehen, was spielt sich da ab, weil ich nicht wollte, dass für die klassischen anderen Industrien von Siemens, ob das Medizintechnik ist, ob das Energie ist, ob das Mobility ist, dass da das Gleiche passiert. Und so bin ich dann langsam reingewachsen, es kam eins zum anderen, und bin heute dann also noch immer sehr, sehr aktiv in der Start-up-Szene.
Küpper: Was machen Sie da, welche Aufgaben erfüllen Sie da, und was fragen die Leute Sie?
Cromme: Ich bin in fast allen Fällen, wo ich investiert bin und wo ich mit den Leuten zusammen bin, und die Investition ist erst der zweite oder dritte Schritt – wenn ich Firmen oder Gründer kennengelernt habe, die Ideen haben, von denen ich überzeugt bin, bin ich gerne bereit, mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Deshalb, in den meisten Start-ups, wo ich wirklich engagiert bin, bin ich Vorsitzender des Beirats oder zumindest einer derjenigen, die aktiv mit präsent sind und weiterhelfen. Das ist also fast in einem Dutzend von Gesellschaften der Fall, und da berate ich, da bin ich aktiv, da hab ich investiert.
Küpper: Sie haben sich in Ihrer Zeit als Vorstand, als Aufsichtsrat auch schon immer mit der Jugend, mit der Ausbildung beschäftigt und unter anderem auch maßgeblich mitgearbeitet an der Gründung, an dem Aufbau der European School of Management and Technology in Berlin. 2002 ging diese Hochschule an den Start. Warum haben Sie das damals gemacht, warum brauchte es eine solche Institution?
Cromme: Es gab in Deutschland keine vergleichbare Institutionen zu den amerikanischen hier, was weiß ich, Harvard Business School oder wie sie alle heißen, schon überhaupt nicht, aber auch im Vergleich hier zu Deutschland, ob das Insead ist, ob das IMD ist in Genf, Insead in Fontainebleau, London School of Business und so weiter, gab es nichts Vergleichbares in Deutschland. Für die drittgrößte Weltwirtschaft ist das ein Armutszeugnis sondergleichen gewesen. Aber inzwischen ist das – und da bin ich sehr stolz drauf – nach dem Financial-Times-Ranking die Nummer sieben in Europa, und das ist natürlich etwas, was damals keiner vorausgesehen hat, weil damals viele gelacht haben, als wir sagten, wir wollen jetzt hier was aufbauen, was man auch vorzeigen kann. Aber so haben wir die Schule finanziert und am Leben gehalten, und heute sind da jetzt 43 Vollprofessoren und ist Nummer sieben in Europa. Das ist ja doch ein schönes Ergebnis.
Küpper: Herr Cromme, ich danke Ihnen sehr für diese Erinnerungen!
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