Es ist das Gesprächsthema heute bei den 160.000 Mitarbeitern von Thyssenkrupp: In ihren Postfächern fanden sie einen zweiseitigen Brief ihres Chefs, in dem er seinen Rücktritt ankündigt. Bei vielen hat das für Enttäuschung gesorgt. Es kursieren Mails. In einer schreibt ein Mitarbeiter, dass man "traurig, enttäuscht und wütend" sei, einen – so wörtlich "gerechten und hochangesehen Firmenchef" zu verlieren.
Für die Mitarbeiter kommt der Schritt in jedem Fall überraschend. Erst am Montag hatte Hiesinger die lange geplante Trennung von der traditionsreichen Stahlsparte besiegelt - nach zweieinhalb Jahren Verhandlung: "Man muss immer vorsichtig sein mit diesen Worten. Aber ich denke, es ist ein historischer Schritt."
"Es prallt nicht ab"
Doch manchen Aktionären war der 58-jährige, frühere Siemensmanager nicht schnell genug unterwegs. Mehrere Finanzinvestoren forderten schon länger mehr Tempo und mehr Entschlossenheit bis hin zur Zerschlagung des Ruhrkonzerns, der neben Stahl auch Aufzüge, Fabriken, Autoteile und Schiffe baut. Zuletzt wurde Hiesinger von einzelnen Investoren und Hedgefonds auch öffentlich scharf angegriffen.
"Es prallt nicht ab. Aber wenn Sie in so einer Funktion sind, dann müssen Sie einen gewissen Optimismus haben. Auch eine gewisse Ruhe, und Zuversicht. Und einfach eben auch Geduld", sagte er noch am Freitag, nach dem Aufsichtsratsbeschluss zur Stahl-Fusion mit Tata. Doch in der Sitzung scheint etwas passiert zu sein: Obwohl lange geplant, sollen angeblich drei Aufsichtsräte ihre Zustimmung verweigert haben. Ob er aus ihrer Sicht zu schlecht verhandelt hat oder den Arbeitnehmern zu umfangreiche Jobgarantien gewährt hat – das ist unklar. In jedem Fall soll Hiesinger das Ergebnis als Misstrauensvotum aufgefasst haben, heißt es.
"Das ist auch für uns sehr überraschend. Wir hatten eigentlich gedacht, jetzt sitzt er fester denn je im Sattel und kann jetzt seine Strategie ausbreiten und erläutern", sagt Thomas Hechtfischer, der sich für den Aktionärsschützerverein DSW schon lange mit TK beschäftigt. Ihm fällt auf: In dem Brief an die Mitarbeiter betone Firmenchef Hiesinger auffällig deutlich, wie wichtig es sei, dass sich Management und Aufsichtsrat einig sind. Genau das scheine im Moment nicht der Fall zu sein, bei der Frage: Was soll aus Thyssenkrupp werden?
Lob von der IG Metall
Hechfischer: "Man muss ja davon ausgehen, dass es im Aufsichtsrat mindestens zwei Lager gibt. Einmal die Zerschlagungs-Fans und einmal die Gruppierungen, die eher auf die Einheit setzen. Und da ist es im Grunde egal, was er macht: Den einen wird’s zu weit gehen. Den Anderen nicht weit genug."
Der Chef des Betriebsrats warnte, er sehe jetzt nach der Rücktrittsankündigung die Gefahr, dass Thyssenkrupp heuschreckenartig zerschlagen werden könnte. Bedauern über den Rücktritt und dickes Lob kam auch von der IG Metall: Ein Gewerkschafter, der lange mit Hiesinger über die Stahlfusion verhandelt hatte, sagte, man sei oft unterschiedlicher Meinung gewesen. Doch Hiesinger sei ein integrer Mensch, von denen es in den Führungsetagen nicht mehr viele gebe.
Tatsächlich hatte Hiesinger nach seinem Amtsantritt vor sieben Jahren bei Thyssenkrupp aufgeräumt: Damals plagten Milliardenverluste, Kartell- und Korruptionsfälle den Konzern. Zwei Drittel der Führungsmannschaft wurden dann ausgetauscht und Hiesinger hat sich für eine neue, offenere Unternehmenskultur eingesetzt. Wer neuer Chef bei Thyssenkrupp wird, gilt als völlig offen. Der Aufsichtsrat ist kurzfristig zusammengekommen, um über die neue Situation zu beraten.