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Thyssenkrupp in der Krise
Rücktritt vor dem Umbruch

Der Vorstand tritt zurück, der Aufsichtsrat spricht von "Psychoterror". Der Industriekonzern Thyssenkrupp steckt in der Krise. Große Investoren fordern die Zerschlagung des Essener Unternehmens. Dabei hatte Thyssenkrupp gerade erst alte Krisen bewältigt und wollte nun neu starten.

Von Jörg Marksteiner |
    Die Konzernzentrale der ThyssenKrupp AG in Essen.
    Milliardenschulden, Intrigen, Kartell- und Korruptionsfälle - Thyssenkrupp hatte schon viele Baustellen (imago )
    "Danke!! Heinrich" steht auf einem riesigen Transparent, fast 100 Quadratmeter groß, das am Donnerstag an der Fassade der Firmenzentrale hängt. Dazu ein blaues Herz auf weißem Grund.
    Die Zuneigung hat einen Grund: "Heinrich, den Löwen" nannten ihn seine Mitarbeiter, als er vor sieben Jahren anfing zu kämpfen. Um die Industrie-Ikone von der Ruhr vor der Pleite zu retten. Damals drohte Thyssenkrupp zu versinken in Milliardenschulden, Intrigen, Luxusreisen, Kartell- und Korruptionsfällen.
    "Es gab sicher bisher ein Führungsverständnis, in dem Seilschaften und blinde Loyalität wichtiger waren als unternehmerischer Erfolg... Und man muss auch sagen: Es herrschte wohl bei einigen die Ansicht, das Regeln, Vorschriften und Gesetze nicht für alle gelten."
    Imagefilm Thyssenkrupp 2016: "...gegen alle Widerstände, den Status quo und gegen den Zweifel."
    Ein Mann räumt auf - und baut um
    Imagefilme unterstützen seinen Neuanfang: Hiesinger räumt auf, tauscht zwei Drittel des Managements aus und verkauft selbst Traditionssparten wie den Edelstahl. Mühsam kommt der schwankende Industriekonzern mit seinen verschiedenen Sparten Stahl und dem Bau von Aufzügen, Autoteilen, Fabriken und U-Booten wieder in die Spur - doch Fonds, Investmentgesellschaften und Profi-Anleger verlieren zunehmend die Geduld: Zu wenig Rendite, zu wenig Cashflow, zu wenig Tempo beim Umbau lauten die Vorwürfe.
    Ein Fonds-Vertreter sagte 2016: "Thyssenkrupp ist ein Koloss auf tönernen Füßen, das heißt das Managementteam hat es geschafft, den Konzern zu stabilisieren. Wir sind jetzt aber in einer Phase, wo signifikante Schritte nach vorne gegangen werden müssen."
    Hiesinger traut sich diesen Schritt - und bekommt dafür viel Ärger von den 27.000 selbstbewussten Stahlarbeitern seines Konzerns. Eine Mitarbeiterin der Stahlsparte: "Wir haben schon das Gefühl, dass der Chef uns nicht haben will. Das ist schon lange so, dass er Stahl am liebsten ganz raus haben würde."
    Tatsächlich: Um den kapitalschwachen Gesamtkonzern unabhängiger zu machen vom stark schwankenden, konjunkturabhängigen Stahlgeschäft, plant er die Fusion mit dem Konkurrenten Tata Steel. Über zwei Jahre wird verhandelt, am Ende stimmen sogar der anfangs so skeptische Stahl-Betriebsratschef Tekin Nasikkol zu - wegen der Job- und Standortgarantien. "Neun Jahre lang darf keinem Beschäftigten gekündigt werden. Neun Jahre lang darf kein Standort geschlossen werden. So was haben wir vorher noch nie gehabt."
    "Psychoterror" und Hiesingers Rücktritt
    Heinrich Hiesinger: "Man muss immer vorsichtig sein mit solchen Worten, aber ich denke, es ist ein historischer Schritt." Ende Juni wird der Vertrag mit Tata unterschrieben. Ein Aktionärsschützer sagte dazu: "Wir dachten, jetzt sitzt er richtig fest im Sattel. Und kann jetzt seine Strategie ausbreiten und erläutern."
    Nicht nur Aktionärsschützer sind überrascht, als Hiesinger wenige Tage später zurücktritt. Es wird bekannt, dass in der entscheidenden Abstimmung drei Aufsichtsräte der Kapitalseite die Zustimmung verweigert haben. Fast ein Drittel. Für Hiesinger offenbar ein Misstrauensvotum. Ein Vorwurf: Thyssenkrupp sei bei dem Deal zu schlecht weggekommen.
    Doch vielleicht ist das nicht alles. In einem Zeitungsinterview spricht Aufsichtsratschef Ulrich Lehner am Donnerstag vom Psychoterror einiger Aktionäre, von bewusst platzierten Unwahrheiten und unberechtigten Rücktrittsforderungen. Und davon, dass offenbar nicht alle Aktionäre bei Thyssenkrupp die gleichen Interessen haben.