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Thyssenkrupp
Kein Ende der Misere in Sicht

Werksverkauf, Kapitalerhöhung, Milliardenverlust: ThyssenKrupp kommt mit den Aufräumarbeiten nur in Trippelschritten voran.

Von Andreas Kolbe | 30.11.2013
    Fünf Minuten vor Mitternacht war es, als der Essener Konzern per E-Mail eine Pressemitteilung herausgab, die es in sich hat: Werksverkauf in Amerika, Kapitalerhöhung und – schon wieder – ein Milliardenverlust.
    "Wenn man ein Unternehmen umbaut, das sich über Jahre hinweg in eine tiefe Krise manövriert hat, dann dauert es auch Jahre, das Unternehmen wieder auf eine vernünftige Basis zu stellen. Wir können zwar die Vergangenheit nicht ändern, aber wir können die Risiken und die Baustellen konsequent Schritt für Schritt abarbeiten", sagt Heinrich Hiesinger, seit 2011 Chef des Essener Traditionskonzerns.
    Baustellen hat der frühere Siemens-Mann von seinen Vorgängern reichlich geerbt: Allen voran zwei Stahlwerke in Brasilien und den USA. Nach einer beispiellosen Pannenserie waren die Kosten dafür auf fast 13 Milliarden Euro explodiert. Hiesinger zog die Reißleine und stellte die beiden Werke zum Verkauf. Doch der erhoffte Befreiungsschlag ist ausgeblieben.
    ThyssenKrupp verkauft zwar das Werk in den USA für knapp 1,2 Milliarden Euro an ein Konsortium um den weltgrößten Stahlkonzern ArcelorMittal. Auf dem Pannenstahlwerk in Brasilien, auf das der Großteil der Verluste entfällt, bleibt der Konzern hingegen sitzen.
    "Man kann sich Befreiungsschläge wünschen, wir sehen sie so nicht. Und dort wo man sie mit Gewalt erzwingt, würde man unnötig Vermögen vernichten. Deswegen muss man manchmal kleinere Schritte gehen, als man sie sich wünschen würde."
    Kleine Schritte ist wohl noch vorsichtig formuliert. Zwei Schritte vor einer zurück, würde es besser treffen: Denn der vor einem Jahr verkündete und längst in trockenen Tüchern geglaubte Verkauf des Edelstahlgeschäfts muss teilweise rückgängig gemacht werden. Weil der Käufer Outokumpu selbst in finanziellen Schwierigkeiten steckt, gehen ein Edelstahlwerk in Italien und eine weitere Tochter wieder zurück an ThyssenKrupp.
    Das kostet Geld. Und obendrauf muss der Konzern wegen Kartellverstößen auch hohe Bußgelder und Schadenersatzzahlungen verdauen. Unter dem Strich steht für das im September zu Ende gegangene Geschäftsjahr abermals ein riesiges Loch in den Büchern: 1,5 Milliarden Euro Verlust. Ein Jahr zuvor waren es sogar fünf Milliarden Euro gewesen.
    "Kurz und gut: Es waren die Folgen von Aufräumarbeiten", sagt Guido Kerkhoff, der Finanzchef – und er schickt für die Aktionäre gleich die nächste Hiobsbotschaft hinterher.
    "Aus diesem Grund werden Vorstand und Aufsichtsrat auch dieses Jahr der Hauptversammlung vorschlagen, keine Dividende auszuzahlen."
    Und auch das wird den Aktionären nicht schmecken: Um die klamme Konzernkasse aufzubessern, will ThyssenKrupp nun neue Aktien ausgeben. Bis zu eine Milliarde Euro soll die Kapitalerhöhung einbringen. Wann und wie genau sie kommt, ließ der Konzern allerdings offen.
    Wie die Aktie reagiert, wird man erst am Montagmorgen sehen. Sein Handy dürfte Konzernchef Hiesinger dieses Wochenende wohl anlassen – wenngleich er der Idee des IG-Metall-Chefs für einen ungestörten Feierabend durchaus etwas abgewinnen kann.
    "Es gibt tatsächlich Tage, an denen es eine Ausnahme gibt. Aber ich kann Ihnen sagen: Auch ich selber schalte das Handy am Abend und auch am Wochenende ab. Allerdings bin ich der Überzeugung, dafür braucht es keinen gesetzlichen Rahmen, sondern nur den Mut, auf den Ausschalter zu drücken."