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Tiefensee (SPD) zu Thüringen
"Bodo Ramelows Vorschlag ist zu loben"

Der Thüringer SPD-Chef Wolfgang Tiefensee hat den Vorschlag Bodo Ramelows, Christine Lieberknecht (CDU) zur Übergangs-Ministerpräsidentin zu machen, begrüßt. Es sei ein Angebot an die CDU und keine Erpressung, sagte Tiefensee im Dlf. Seine SPD zeige sich erfreut, dass es nun zu Neuwahlen kommen könnte.

Wolfgang Tiefensee im Gespräch mit Sandra Schulz |
Thüringen, Erfurt: Wolfgang Tiefensee (SPD), früherer Minister für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitale Gesellschaft von Thüringen, kommt aus dem Thüringer Landtag.
Bodo Ramelow reiche der CDU Thüringen die Hand, sagte der Landesvorsitzende der SPD in Thüringen, Wolfgang Tiefensee (Martin Schutt/dpa)
Wenn in den letzten beiden Wochen immer wieder die Rede von einem politischen Beben war, dann war das Epizentrum Anfang Februar der Thüringer Landtag. Dort ließ sich der FDP-Politiker Kemmerich mit den Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten wählen, nahm die Wahl an, kündigte kurz darauf seinen Rückzug an. Seitdem herrscht maximale Ratlosigkeit und einen Durchbruch gibt es auch nach den gestrigen Gesprächen zwischen Linken, SPD, Grünen und der CDU nicht, aber wie gesagt den Vorschlag von Bodo Ramelow, die frühere Ministerpräsidentin und CDU-Frau Christine Lieberknecht als Interims-Regierungschefin zu wählen.
Christine Lieberknecht, CDU
Ramelow schlägt Lieberknecht als Interims-Ministerpräsidentin in Thüringen vor - Bericht von Henry Bernhard (05:19)
Bodo Ramelow hat vorgeschlagen, übergangsweise Christine Lieberknecht als Regierungschefin einzusetzen. Die 61-Jährige soll demnach für etwa 70 Tage eine sogenannte "technische Regierung" führen, bis ein neuer Landtag gewählt ist.
Der Landesvorsitzende der SPD in Thüringen, Wolfgang Tiefensee, der auch bei den Verhandlungen gestern dabei war, begrüßte im Dlf-Interview den Vorschlag Ramelows.

Sandra Schulz: Sie haben den Vorschlag ja schon gelobt. Warum Christine Lieberknecht?
WolfgangTiefensee: Wir haben tatsächlich in Thüringen eine unüberschaubare Situation. Thomas Kemmerich sitzt "versteinert" in der Staatskanzlei, in der er übrigens nicht physisch anwesend ist. Thüringen ist nicht im Bundesrat vertreten, es können keine Minister ernannt werden, wichtige Vorhaben in Thüringen bleiben liegen, können nicht auf den Weg gebracht werden.
Bisher waren wir davon ausgegangen, dass die CDU trotz aller Ausschließungsbeschlüsse doch zu der Erkenntnis kommt, Bodo Ramelow braucht für die Wahl vier Stimmen von der CDU, damit 42 plus vier 46, also die absolute Mehrheit bringen. Das war bisher nicht möglich und so hat Bodo Ramelow jetzt einen anderen Vorschlag auf den Tisch gelegt, und der ist in der Konsequenz insofern zu loben, als er Neuwahlen vorsieht.
Die SPD hat seit dem 6. Februar als einzige Fraktion und als einzige Partei immer gesagt, es ist ein politisches Erdbeben am 5. Februar geschehen und Wählerinnen und Wähler müssen auf diesem Hintergrund wieder an die Wahlurnen.
"Bin gespannt, wie die CDU reagiert"
Schulz: Warum Christine Lieberknecht?
Tiefensee: Das ist ganz einfach. Er will eine, wenn Sie so wollen, parteiübergreifende technische Regierung, die die Neuwahlen vorbereitet, den Haushalt 2021 vorbereitet, und die Neuwahlen sollen dann dazu führen, dass es stabile Verhältnisse in Thüringen im Landtag gibt, und das geht nur zusammen mit der CDU. Jede Entscheidung braucht zusätzliche Stimmen. Jetzt reicht Bodo Ramelow der CDU Thüringen die Hand und sagt, ich bin bereit, euch sogar den Übergangs-Ministerpräsidentenposten anzubieten.
Jetzt bin ich gespannt, wie die CDU heute auf diesen Vorschlag reagiert. Gestern hat sie keinen in sich konsistenten anderen Vorschlag unterbreitet, keinen dezidierten Zeitplan vorgelegt, wie wir aus dieser Regierungskrise kommen.
Schulz: Man könnte auch sagen, Sie machen der CDU jetzt ein Angebot, das sie nicht ablehnen kann, um so den Weg auch zu Neuwahlen zu ebnen, die die CDU ja nicht will. Ist das noch ein Angebot, oder ist das schon Erpressung?
Tiefensee: Das ist ein Angebot. Es ist ausdrücklich von Bodo Ramelow in der Weise vorgestellt worden. Das ist mein Weg aus der Krise und jetzt, CDU, seid ihr vier Verhandlungsführer und die Fraktion dahinter gefordert, dass ihr einen Alternativvorschlag vorlegt, wie wir die Zeit von Thomas Kemmerich in der Staatskanzlei schnell und zügig beenden können. Wenn ihr einen anderen Vorschlag habt, dann legt ihn auf den Tisch, nicht allgemein irgendwie, sondern ganz konkret.
Ich brauche eine Zusage – nicht zur Person, aber schon allgemein -, dass die CDU mich im ersten Wahlgang unterstützen wird, dass ich nicht auf die AfD-Stimmen angewiesen bin. Und ich bin gespannt, wie die CDU darauf reagiert. Noch einmal: Die SPD ist sehr erfreut darüber, dass es nun doch zu zügigen Neuwahlen kommen könnte – nicht etwa, weil wir so lange wählen, bis uns die Zusammensetzung des Landtages passt, sondern weil die Bürger einfach noch mal gefragt werden müssen auf dem Hintergrund des 5. Februar.
"SPD hat immer grade Linie durchgezogen"
Schulz: Wobei die Grünen, Ihr bisheriger Koalitionspartner, ja ganz anders reagiert hat, man könnte sagen konsterniert bis geschockt. Bis gestern hieß es ja, Rot-Rot-Grün lässt sich nicht spalten. Aber der Vorsatz, der gilt jetzt nicht mehr?
Tiefensee: Nein. Gestern haben die Grünen sehr reserviert bis ablehnend auf diesen Vorschlag reagiert. Heute Morgen hört sich das schon ganz anders an. Offenbar hat man in den Parteigremien gestern Nacht und heute am frühen Morgen diskutiert und kommt nun auch zu der Erkenntnis, dass Neuwahlen der beste Weg sind. Ich höre jetzt Zustimmung. Die SPD – ich wiederhole es zum zweiten Mal – ist die einzige, die hier immer konsistent eine gerade Linie gezogen hat.
Schulz: Wiederholungen brauchen wir hier keinesfalls! Wir haben eher Zeitdruck. – Welche Vorabsprachen hat es denn gegeben mit Christine Lieberknecht?
Tiefensee: Das ist Angelegenheit von Bodo Ramelow. Er hat den Vorschlag unterbreitet und ich gehe natürlich davon aus, dass er anders als Christian Lindner, der den Verfassungsgerichtspräsidenten vorgeschlagen hat, ohne mit ihm Rücksprache zu halten - ich gehe davon aus, dass das abgesprochen ist.
Schulz: Wenn dieser Plan so jetzt nicht aufgeht, weil die CDU nicht mitmacht oder die Grünen oder keiner von beiden?
Tiefensee: Es geht jetzt darum, einen Alternativvorschlag auf den Tisch zu bekommen, denn die dritte Variante wäre ja, dass Thomas Kemmerich weiter im Amt bleibt, und das kann niemand wollen. Jetzt muss konstruktiv diskutiert werden, was gibt es noch für eine Alternative. Die, die Bodo Ramelow vorgelegt hat, ist in sich konsistent, ist klug durchdacht, und nun ist die CDU am Zug. Der Ball liegt in deren Spielfeld.
Tiefensee: Business as usual nicht einfach weiter machen
Schulz: Alternativ-Szenario, dass das alles so kommt – das ist ja als technische Regierung geplant, die dann 70 Tage im Amt ist, und vorher schon der Beschluss gefasst ist, dass sich hinterher der Landtag automatisch auflöst und es Neuwahlen gibt. Wenn es so kommt, was bringen Neuwahlen dann?
Tiefensee: Zunächst bin ich der Meinung, dass Bürgerinnen und Bürger am 27. Oktober 2019 unter völlig anderen Voraussetzungen die Zusammensetzung des Landtages bestimmt haben. Eine völlig neue politische Situation kann nicht dazu führen, dass wir Business as usual einfach weiter machen, sondern ich bin der Meinung, dass das in die Hände, in die Entscheidung der Bürgerinnen und Bürger gelegt werden muss. Dann wird der Landtag neu zusammengesetzt.
Die SPD wird mit aller Kraft kämpfen, ein stärkeres Ergebnis als im Oktober 2019 zu bekommen und vor allen Dingen dafür zu sorgen, dass die AfD nicht stärker wird. Im Gegenteil, dass sie weniger Sitze bekommt.
Schulz: Aber das haben Sie vorher ja wahrscheinlich auch schon gemacht, oder? Wir sehen in Umfragen die Werte der AfD relativ unverändert. Was wollen Sie denn da jetzt nachjustieren?
Tiefensee: Wir haben ja im Oktober einen Zweikampf oder Dreikampf gesehen, ähnlich wie in Brandenburg und in Sachsen. Wählerinnen und Wähler haben sich entweder für Die Linke und Bodo Ramelow entschieden, oder für die AfD. Die CDU hat deutliche Einbußen gehabt. Jetzt geht es darum, dass wir unser Politikangebot als Sozialdemokraten unter die Leute bringen, dass wir erkennbar sind, Profil schärfen und vor allen Dingen Erkennbarkeit praktizieren, indem wir auf die Bürger zugehen, so wie wir das die ganze Zeit machen.
Es ist für eine vergleichsweise kleine Partei nicht einfach, in diesem Wettstreit (wie gesagt in Brandenburg und Sachsen in ähnlicher Weise) an Boden zu gewinnen, aber wir werden kämpfen.
Tiefensee: AfD-Wähler befürworten nationalistisch-völkische Programmatik
Schulz: Was ist die Idee, wie die Menschen repräsentiert und vertreten werden, die ein Viertel der Wähler ausgemacht haben, nämlich die, die ihre Stimme bei der AfD abgegeben haben, die da ihr Kreuz gemacht haben?
Tiefensee: Wir wissen aus Studien, dass erschreckender Weise über 50 Prozent der Wählerinnen und Wähler der AfD sie nicht etwa wählen, weil sie mit den Zuständen im Sinne eines Protestes nicht zufrieden sind, sondern sie stehen hinter der nationalistisch-völkischen Programmatik der AfD, und es wird ganz schwer sein, die zurückzugewinnen.
Die anderen, die meinen, die Protesthaltung durch ihre Stimme für die AfD zum Ausdruck zu bringen, die kann man zurückgewinnen, indem man sich auf sie zubewegt, immer wieder darüber spricht, dass wir eine Menge geschafft haben hier im Osten, in Thüringen – Thüringen steht stark da -, und dass wir in der Lage sind, auch die nächsten Herausforderungen anzugehen. Das ist eine Aufgabe der Kommunikation, des Gespräches, der Überzeugung, und diese Aufgabe gehen wir mit Kraft an.
Schulz: Aber im Moment ist ja das Signal: Die, die ihr gewählt habt, die, die im Landtag sitzen, die werden sozialpolitisch geächtet.
Tiefensee: Ja, weil wir haben es in Thüringen noch mal ganz speziell mit einer AfD zu tun, die durch den Fraktionsvorsitzenden und Parteichef Björn Höcke geleitet wird, und das ist der Repräsentant des sogenannten Flügels, wie Sie wissen, des rechtesten Teils der AfD. Und die Abgeordneten, die dahinter stehen, die sehen das sehr genau, wer da an ihrer Spitze ist, und die Vorschläge, die kommen, die Art und Weise, wie über unser Land, über Demokratie geredet wird, wie andere Menschen verächtlich gemacht werden, das ist keine Basis für irgendeine Zusammenarbeit. Deshalb wird es auch keine Zusammenarbeit zwischen SPD und AfD geben.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.