Ob im mittelalterlichen Böhmen von "Kingdom Come Deliverance" oder im Wildwest-Setting von "Red Dead Redemption 2", vom verzweifelten Überlebenskampf des Menschen gegen hungrige Wölfe bis zur YouTube-Bauanleitung für automatisierte Hühnertötungsfabriken im Blockbauspiel "Minecraft" - Der Umgang mit Tieren ist im Computerspiel eine ethische Grauzone.
"Ich glaube, im Spiel zeigt sich eben auch unser ambivalentes Verhältnis, was wir zu den Tieren haben. Also wenn man jetzt daran denkt, wie Jäger argumentieren, dass sie auch für den Tierschutz eine bedeutende Rolle spielen und trotzdem töten sie Tiere. Und natürlich finden wir solche Ambivalenzen auch im Computerspiel", erklärt der Medienwissenschaftler Pablo Abend von der Kunsthochschule in Halle. Er forscht unter anderem dazu, wie Tiere in Computerspielen repräsentiert werden.
"Oft werden Tiere ornamental dargestellt, sie sind Teil der Welt und sorgen so dafür, dass die ein bisschen belebter ist."
Tiere als schmückendes Beiwerk
Insbesondere Open-World-Games wie "GTA V" nutzen eine immer größer werdende Vielfalt an Tieren, um ihre Spielwelten zum Leben zu erwecken: So streifen am Stadtrand der Metropole Los Santos schon mal Wildschweine durchs Unterholz, während im Trailerpark außerhalb der Stadt die Kojoten im Abfall nach etwas Essbarem suchen. Dieser ornamentale Einsatz von Tieren in Spielen ist aber relativ neu:
"Lange Zeit dominierte da schon dieses klassische Bild des Tieres als Maneater, kann man sagen. Dass es halt darum ging, die Tiere zu töten, also eine klassische Repräsentation von Tieren, in der die Tiere eigentlich eher eine Gefahr darstellen."
Diese Pixelerzählung vom großen bösen Wolf tritt aber mittlerweile oft in den Hintergrund – wichtiger wird dagegen das Tier als Teil einer Crafting-Mechanik. Hier können in der Spielwelt Rohstoffe gefunden werden, aus denen dann nützliche Gegenstände hergestellt werden.
Kritik von Tierschützern
Der Dauerbrenner "Minecraft" beruht gänzlich auf diesem System, aber auch Titel wie "Assassin's Creed" haben längst eingeführt "dass Tiere objektiviert werden, dass man von ihnen quasi auch Rohstoffe extrahieren kann, um im Spiel weiterzukommen. Also Fleisch beispielsweise, wenn man ein Tier getötet hat, oder aus der Haut des Tieres kann man sich dann eine Tasche basteln und so weiter".
Eine Entwicklung, die von Tierschützern regelmäßig kritisiert wird, erzählt Medienkünstler Thomas Hawranke von der Kunsthochschule für Medien in Köln. Er zeigt auf, "dass sich das natürlich daran orientiert, wie Tier-Mensch-Verhältnisse im Realen sind. Dass die Tiere in die Peripherie eigentlich wandern, also man so Mastbetriebe hat, von denen wir aber eigentlich in der Stadt nichts mehr mitbekommen – und dafür treten dann die Haustiere ins Leben. Die Haustiere bekommen einen Namen, sind Individuen, und dann hat man eine Vielzahl von Tieren, die halt einfach keinen Namen haben. Und die werden vielleicht in der industriellen Produktion genutzt".
Tier-Mensch-Verhältnis reflektieren
Haustiere sind als "Companion Animals" in Spielen weit verbreitet. Andererseits bieten Spiele wie "GTA V" auch die Möglichkeit, nach Konsum einer Droge als namenloses Tier die Stadt zu erkunden. Für Thomas Hawranke ist das Spielen von Tieren einer der interessantesten Wege, um innovative Spielmechaniken zu finden – und gleichzeitig das komplizierte Tier-Mensch-Verhältnis zu reflektieren.
"Das ist doch eine tolle Aufgabe fürs Gamedesign, halt da genau was zu finden, was vielleicht irgendwie so ein Pendant ist. Und das könnte damit zu tun haben, dass ich auf einmal eine Gestensteuerung habe, dass ich vielleicht auf allen Vieren spielen muss, da könnte man sich noch richtig austoben. Und ich glaube, das würde sich lohnen, weil diese Spiele, in denen man Tiere spielt, werden mehr."
Blick in die Wesenswelt von Tieren
Alternative Ansätze wie das 2019 erschienene "Untitled Goose Game" erfreuen sich bei den Spielern großer Beliebtheit. Hier watscheln sie als freche Gans durch ein englisches Dorf und versuchen, den beschaulichen Alltag der Bewohner in ein Chaos aus Federn und erregtem Geschnatter zu verwandeln.
Beim Spielen durch die Augen eines Tieres oder durch Mechaniken, in denen die Spieler echte Verantwortung für ihre tierischen Gefährten übernehmen müssen, gewännen die Spieler zudem einen anderen Blick auf die Tierwelt. Dennoch sagt Pablo Abend: "Wir wissen nicht, was die Tiere tatsächlich empfinden. Und ich denke, da ist das Computerspiel vielleicht ein Weg, einen da vielleicht heranzuführen, aber es bleibt immer diese Kluft bestehen im Endeffekt."