Sören Brinkmann: Geschichten über Tiere und die Auseinandersetzung mit Tieren scheinen gerade Konjunktur zu haben. In Dresden läuft die Ausstellung "Tierisch Beste Freunde" – Über Haustiere und ihre Menschen. Wir haben hier im Dlf darüber berichtet. Aber auch jenseits von den Vierbeinern daheim – von Waldi und Miezi – ist es interessant, einen Blick darauf zu werfen, wie wir mit Tieren umgehen, welches Verhältnis zwischen Tier und Mensch besteht, welchen Stellenwert zum Beispiel Tierdarstellungen in der Kunst haben. Darum geht es in einer neuen Ausstellung, die seit dem Wochenende läuft. Mit der Kuratorin habe ich darüber gesprochen: Professor Sabine Schulze, Leiterin des Museums für Kunst und Gewerbe in Hamburg. Und wenn wir über das Verhältnis Mensch und Tier sprechen, da habe ich sie gefragt: Sollte es eine Charta der Tierrechte geben?
Sabine Schulze: Also ich bin auf jeden Fall dafür, dass Tiere als Individuen erkannt werden und als solche auch bei uns in der Gesellschaft respektiert werden. Das passiert natürlich im Einzelnen immer wieder. Es gab noch nie so viele Haustiere wie zurzeit, die gewaltig geliebt und verwöhnt werden. Unser Verhältnis zu Tieren ist aber ambivalent. Wir sehen total darüber hinweg, dass in der Massentierhaltung schlimme Dinge passieren und unser Fleischkonsum steigt auch dramatisch weiter.
"Das Verhältnis Mensch - Tier muss neu definiert werden"
Brinkmann: Sie selbst schreiben in einem Begleittext zur Ausstellung: "Das Verhältnis von Tier und Mensch muss neu verhandelt werden! Tiere sollen endlich zu ihrem Recht kommen, ihr subjektives Empfinden, ihre Individualität und Verletzlichkeit verlangen Respekt." Daraus ließt man, dass sie sich mit dem Respekt gegenüber Tieren auseinander gesetzt haben. Hat die Kunsthistorikerin da jetzt Interesse an der Tierwelt entdeckt oder ist das Interesse an der Darstellung von Tieren in der Kunst da?
Schulze: Über Tiere wird zurzeit viel diskutiert, gerade nach den Rechten wird gefragt, nach der Individualität. Sie müssen unter Schutz gestellt werden, es gibt die Human Animal Studies in den Kulturwissenschaften. Das Verhältnis muss neu definiert werden - das wird allenthalben gefordert und für solche gesellschaftlichen Diskussionen interessieren wir uns im Museum für Kunst und Gewerbe. Dann schauen wir uns unsere Sammlungen an, die ja von weit vor 1.000 bis in die Gegenwart reichen und sehen eben, dass in so vielen Kulturen sich die Künstler - stellvertretend für das was in den jeweiligen Gesellschaften verhandelt wird - sich immer wieder mit dem Tier ganz intensiv auseinandergesetzt haben.
Brinkmann: Warum ist das so, dass es in den vielen Jahrtausenden, die ihre Sammlung umfassen, immer wieder die Tierdarstellungen gibt?
Schulze: Das können wir natürlich immer nur vermuten. John Berger hat in seinem schönen Buch "Warum sehen wir Tiere an?" geschrieben, die ersten Künstler haben das Tier gemalt. Und wahrscheinlich haben sie es mit Tierblut gemalt. In diesem schönen Satz ist auch schon die Ambivalenz aufgehoben. Wir lassen uns von Tieren inspirieren, sie sind uns wichtig, sie faszinieren uns, aber immer wieder nehmen wir uns heraus, über sie zu verfügen und sie für uns nutzbar zu machen. Und wenn wir uns unsere eigene Sammlung angucken, dann sehen wir schon so viele tolle Objekte, zum Beispiel einen Pelikan aus Bergkristall aus dem alten Ägypten oder aus Jade einen Hirsch aus dem alten China.
"Tiere scheinen etwas zu haben, was uns fasziniert"
Wir haben aber auch die erste Fotografie aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, da wird der Hund Ulla dargestellt. Also immer wieder wenden sich künstlerische Menschen den Tieren zu. Sie scheinen etwas zu haben, was uns fasziniert. Dieses in sich ruhende, unbeeinflussbare, ganz-sich-selbst-sein. Deshalb schauen wir sie gerne an und bewundern sie. Und in dieser Ausstellung haben wir ein ganz tolles Objekt. Das ist eine acht Meter große Felsmalerei aus einer Höhle in Simbabwe. Die ist in den 1920er Jahren entstanden. Da ging Leo Frobenius mit jungen Künstlern in alle Höhlen, die zu diesem Zeitpunkt bekannt waren und hat die eins zu eins abgemalt.
Wir möchten keine Ausstellung zeigen in der chronologisch von den frühen Höhlenmalereien bis heute, das alles aufgezeigt wird. Wir möchten Schwerpunkte setzen und ein großer Schwerpunkt ist eben auch die Sehnsucht des modernen Menschen nach dieser ursprünglichen Harmonie so wie alle Kulturen davon ausgehen, dass das Verhältnis zwischen Mensch und Tier in der Ursprungszeit ein harmonisches und respektvolles war.
Wir haben noch länger mit Sabine Schulze gesprochen -
hören Sie hier die Langfassung des Corsogesprächs
Brinkmann: Wenn Sie die Harmonie ansprechen: Ist das auch ein bisschen Ausdruck - den es in der Moderne ja gibt - dass man diese Harmonie sucht? Die Harmonie mit der Natur.
Schulze: Genau! Und deshalb auch gleich neben diesen Höhlenmalereien ein Bild von Franz Marc. Die Animalisierung der Kunst hat er gefordert und wollte damit einen neuen, unverbrauchten Stil schaffen. Aber es war für ihn auch ein Gesellschaftsentwurf. Wieder so zu werden wie das Tier, diese Unschuld zu haben und dieses Aufgehen in der Natur, das ist eine große Sehnsucht die glaube ich alle Zivilisationen haben. Ein Verlangen nach dem wie es wohl früher einmal gewesen sein wird.
"Die Grenzen sind immer wieder fließend gewesen"
Brinkmann: Wir haben gerade über eine Sehnsucht nach Harmonie gegenüber der Natur auch gesprochen. Wenn wir uns Geschichten von sogenannten Wolfskindern angucken oder auch die Geschichten aus dem Dschungelbuch. Rudyard Kipling mit seinen Geschichten von Mogli - schon vor mehr als 100 Jahren erschienen. Da geht es ja genau darum: Wie können Menschen auch mit Tieren zusammenleben und wie viel Tier steckt dann eigentlich auch im Menschen drin?
Schulze: Das ist die zweite ganz spannende Frage, der wir in unserer Ausstellung nachgehen. Wo fängt wirklich Menschsein an, wo hört Tiersein auf? Wenn wir auch da in die Geschichte, in die Antike gucken, sehen wir, dass diese Grenzen immer wieder fließend gewesen sind. Wir sehen in der Ausstellung ganz viele solche Mischwesen zwischen Mensch und Katze zum Beispiel im alten Ägypten, ganz wunderbare Objekte.
Brinkmann: Was bedeutet das, wenn es diese Hybridisierung gibt? Vermischung von Mensch und Tier.
Schulze: Das heißt, man ist schon immer davon ausgegangen, dass es da Zwischenstationen gibt. Diese ganzen Sirenen und Sphingen, die Frauen die Flügel tragen und auch immer als etwas Bedrohliches empfunden wurden - etwas was man nicht richtig begreifen kann. Und die Natur hat immer wieder Rätsel aufgegeben und auch das Tier ist für uns ja nicht richtig ergründbar. Wir haben aber auch immer wieder das Tier angeschaut und gesehen: Das kann etwas, das wir als Menschen nicht können und da haben wir zum Beispiel in der Ausstellung eine Fledermauszeichnung von Dürer, der sich auch schon ganz genau angeguckt hat: Wie funktionieren diese Flügel? Die Fledermaus, die sich ja nachts bewegt ohne anzustoßen, sowas können wir alles nicht. Und dann ist als ein modernes Objekt eine Drohne. In Amerika ist es einer Forschergruppe geglückt so etwas nachzubauen.
"Tiere sind mit so vielen Emotionen aufgeladen"
Brinkmann: Also lernen von der Natur.
Schulze: Wir lernen voneinander. Immer wieder guckt der Mensch staunend und sieht, dass das Tier Dinge kann was er selber biologisch nicht hin kriegt.
Brinkmann: Wie würden Sie Menschen in die Ausstellung locken, die sagen: "Ach, Tiere interessieren mich eigentlich", ganz böse gesprochen "eigentlich nur auf dem Teller"?
Schulze: Ich weiß nicht, ob es solche Menschen überhaupt gibt. Ich habe das Gefühl, Tiere sind doch mit so vielen Emotionen aufgeladen. Ich glaube, es gibt niemanden, der nicht irgendeine emotionale Beziehung zu Tieren hat und er da Neugierde hat, mehr über sie zu erfahren.
Brinkmann: Die Ausstellung "Tiere. Respekt / Harmonie / Unterwerfung" ist seit dem Wochenende zu sehen im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg, noch zu sehen bis zum 4. März 2018. Darüber habe ich gesprochen mit der Kuratorin Professor Sabine Schulze. Vielen Dank für das Corsogespräch.
Schulze: Jawohl.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.