"Na, ihr Mäuse?"
Anna Butz dreht ihre obligatorische tägliche Runde über ihre Kuhweiden. Sie stapft mit dicken, schwarzen Stiefeln über die feuchte Wiese. Die 46-Jährige wirkt drahtig und taff, die dunkelblonden Haare hat sie zu einem Knoten hochgesteckt. Immer wieder kommen Rinder auf sie zu, stupsen sie an, wollen gekrault werden. "Das ist, als wenn man seinen Hund kuschelt oder abends mit der Katze auf dem Schoß auf dem Sofa sitzt. Wenn ich das nicht mache, dann fehlt mir was."
Ihre Rinder kriegen unter anderem Brötchen und Äpfel zu fressen, sagt Anna. Sie sind viel auf den Weiden draußen, sie lässt Kühe und ihre Kälber zusammen leben, statt sie – wie normalerweise üblich – voneinander zu trennen.
Die Rinder sollen glauben, dass Menschen nett sind
"Ich möchte, dass sie glauben, Menschen seien nett. Ich weiß, dass das nicht so ist. Aber ich möchte, dass sie es glauben, bis es irgendwann 'Klack' macht und dann sind sie weg. Ich möchte nicht, dass sie die Erfahrung machen, dass Menschen scheiße sind oder das Leben scheiße ist. Ich möchte, dass es ihnen bis zum letzten Moment richtig gut geht. Und dazu gehört für mich eine vertrauensvolle Verbindung."
Anakin ist ein riesiger Ochse mit rotbraun-gestromtem Fell und eindrucksvollen Hörnern. Anna Butz krault auch ihn ausgiebig – heute erst recht, denn Anakin wird später geschlachtet. "Der Kloß im Hals ist da, ja. Aber das gehört dazu, das ihn nicht großartig spüren zu lassen."
Ein Kilogramm Fleisch für 39 Euro
Die Veganerin würde das Fleisch ihrer Tiere nie essen. Zu jedem einzelnen Tier hat sie eine Bindung – warum tut sie sich das an? Ganz einfach - sie braucht das Geld. Ein Rind müsse im Monat sterben, so dass genug Geld da ist, damit die anderen gut leben können, sagt sie. So nimmt sie für ein Kilo Steak etwa 39 Euro. Dazu will sie beweisen, dass Fleischproduktion auch auf diese Weise möglich ist.
"Der da heute geht, ist sechs Jahre alt. Das gibt‘s in der normalen Mast nicht. Die gehen mit 18 bis 24 Monaten und waren in der Zeit nicht draußen. Die haben zu sechst, zu acht, in einer kleinen Box gestanden und den ganzen Tag gefressen."
Eine Veganerin, die Rinder züchtet, sie schlachten lässt und ihr Fleisch verkauft – für viele klingt das völlig irre. Sie ist sogar schon bedroht worden – von anderen, militanteren Veganern, vermutet sie.
"Tatsächlich so, dass ich einmal damit zur Polizei gegangen bin und gefragt habe, Leute ist das so noch... Ja, das ist anzeigenswürdig. Ein paar wirklich üble Sätze, inklusive der Ansage: Wir wissen ja jetzt, wo du wohnst hintendran."
Anakin wird jetzt zum Schlachter gebracht. Anna Butz wirkt angespannt. Sie lockt den Ochsen mit Brötchen auf den Hänger. "Fein. Das machst du super. Na komm, trau dich."
Auf dem Parkplatz des Schlachthofs ist Anna Butz die ganze Zeit mit dem Ochsen im Anhänger. Sie steckt Anakin Brötchen ins Maul, bürstet ihn mit einem Striegel, beruhigt ihn – als wäre er ein Rennpferd kurz vor einem wichtigen Turnier. Sie wäre froh, wenn alles schon vorbei wäre. "Ich bin ihnen ein gutes Leben schuldig und einen guten Tod schuldig. Wie es mir dabei geht, ist egal."
Die Tiere werden bis zur Schlachtung begleitet
Der Hänger wird zum Eingang des Schlachthofs gefahren. Anna Butz hilft dem Schlachter, das Seil um den Hals des Tieres zu legen. Sie lockt den Ochsen mit einem Brötchen in die richtige Position, springt vom Hänger. Dann setzt der Schlachter dem Rind das Bolzenschussgerät auf die Stirn.
Das Rind sackt in sich zusammen, zuckt, der Anhänger wackelt. Der Ochse wird aus dem Hänger gezogen. Im Schlachthaus schneidet der Schlachter den Hals auf. Literweise Blut läuft in eine Metallschale. Anna Butz steht daneben, sieht die ganze Zeit genau hin, ihr Gesicht wirkt ausdruckslos. "Das war‘s", sagt sie irgendwann trocken, verabschiedet sich vom Schlachter und geht zurück zu ihrem Auto. Jede Schlachtung ist für sie aufs Neue anstrengend: "Immer noch scheiße."
Auch an solchen Tagen ist sich Anna Butz sicher, dass sie das Richtige tut. Sie wird ihre Kunden informieren, dass sie Bestellungen annimmt – und wie immer wird das Fleisch nach etwa einer Stunde ausverkauft sein. In Zukunft will sie ihren Tieren sogar den Weg zum Schlachter ersparen, sagt sie. Einen Bauantrag dafür hat sie schon gestellt. "Ich möchte gern einen Schlachthof oder ein Schlachthaus direkt am Hof bauen. Damit sie einfach nur noch dem Eimer hinterher um irgendeine Ecke biegen müssen und da erwischt es sie dann. Dass sie den ersten bis zum letzten Atemzug zuhause machen."