Jule Reimer: Spaßbetonte Sprüche, neu erfundene Bauernregeln: Damit wollte Bundesumweltministerin Barbara Hendricks darauf hinweisen, dass etwas schlecht läuft in der deutschen Landwirtschaft. Die meisten Bauern – egal ob Eigentümer großer oder kleiner Höfe – fanden die Aktion allerdings gar nicht witzig. Und erst recht nicht Landwirtschaftsminister Schmidt, der sich als der eigentlich zuständiger Minister fühlt – und es in den meisten Fällen auch ist. Jetzt hat die Bundesumweltministerin nach der massiven Kritik an ihren "neuen Bauernregeln" eingelenkt. Anstatt weiterhin mit frechen Sprüchen über Massentierhaltung und Überdüngung zu polarisieren, wolle sie in Zukunft mit Bauern und Verbrauchern einen Dialog zu Missständen im Agrarsektor führen, erklärte die SPD-Politikerin. Dennoch: Der Streit um die richtige Tierhaltung geht weiter. Heute haben die Bundesländer Niedersachsen und Bremen im Bundesrat eine Tierwohlinitiative eingebracht. Frage an Dietrich Mohaupt, unseren Niedersachsenkorrespondenten, worum geht es da genau?
Dietrich Mohaupt: Wenn ich mal in reinstem Politiker-Sprech antworten darf: Es geht um die zügige Umsetzung von Konzepten für eine zukunftsfähige Nutztierhaltung - so hat das Niedersachsens grüner Landwirtschaftsminister Christian Meyer formuliert. Wesentlich konkreter ist die Bundesratsinitiative von Niedersachsen und Bremen nicht. Sie verweist zum Beispiel auf den Tierschutzplan Niedersachsen. In diesem Plan sind unter anderem Prämien für Landwirte geregelt, die den Schweinen ihren Ringelschwanz lassen oder den Hennen nicht die Schnäbel kürzen. Da geht es aber auch um Zusatzprämien für Sauenhalter, die bestimmte Tierschutzkriterien wie Besatzdichte, Stroheinstreu in den Ställen usw. berücksichtigen. Und Teil dieses Tierschutzplans in Niedersachsen ist auch ein Beratungs- und Informationsprogramm mit dem Ziel, den Antibiotika-Einsatz in Tierhaltungen zu verringern. Dieser Tierschutzplan, dazu das Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik aus dem Jahr 2015 und der Abschlussbericht des von Bundeslandwirtschaftsminister Schmidt eingesetzten Kompetenzkreises Tierwohl – das sind die drei wesentlichen Säulen dieser Initiative heute im Bundesrat.
Tierwohlinitiative - Breite Mehrheit der Länder zeichnet sich ab
Reimer: Bremen und Niedersachsen sprechen nur für zwei Bundesländer. In Ostdeutschland, in Mecklenburg-Vorpommern, in Brandenburg spielt die Intensivtierhaltung auch eine wichtige Rolle. Wie sind denn die Erfolgsaussichten dieser Tierwohlinitiative?
Mohaupt: Im Landwirtschaftsministerium in Niedersachsen gibt man sich sehr optimistisch zu den Erfolgsaussichten der Initiative. Es habe auf Fachreferenten-Ebene im Vorfeld eine Art Probeabstimmung gegeben, dabei habe man sehr breite Mehrheit bekommen, hat man mir gesagt. Es gibt aber natürlich auch Gegenwind, gerade aus Ländern mit sehr großen Agrarbetrieben im Osten Deutschlands. Brandenburg zum Beispiel hat gerade erst eine eigene Tierwohl-Initiative per Volksbegehren beschlossen: Der Landtag soll demnach bis Ende 2017 einen Tierschutzplan erstellen, in dem zwar ähnliche Ziele wie in Niedersachsen angestrebt sind, der aber möglicherweise nicht so weitreichend ist. Aber – auch Brandenburg hat seine Zustimmung zu der Bundesratsinitiative signalisiert – unter dem Strich sieht es so aus, als sollte es heute im Bundesrat eine sehr breite Mehrheit der Länder geben.
Bauernverband gegen Professor Spiller
Reimer: Wieso gab es so viele Angriffe auf den Göttinger Professor und Agrarökonom Achim Spiller, der im Beirat des Bundeslandwirtschaftsministerium sitzt und dort ein Gutachten zu Tierwohl mitverfasst hat – das dann weitgehend in der Schublade verschwand - und der sich jetzt zu Antibiotika-Missbrauch im Stall geäußert hat? Was steckte da dahinter?
Mohaupt: Professor Achim Spiller gilt als so eine Art Nestbeschmutzer. Er forscht an der Uni Göttingen zu diversen Aspekten der Tierhaltung und zum Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte. Er hatte sich Anfang des Jahres sehr klar zum Thema Medikamenten-Einsatz in der Tierhaltung geäußert, dabei unter anderem häufigere und vor allem strengere unangekündigte Kontrollen in Betrieben gefordert. Und er hat auch ein offenbar ganz heißes Eisen angepackt: Er spricht offen von einem florierenden Medikamenten-Schwarzmarkt, auf dem sich angeblich viele Landwirte regelmäßig bedienen. In diesem Zusammenhang hat er auch Schutz für sogenannte Whistleblower gefordert, also für anonyme Informanten, die Ermittlern beziehungsweise Kontrolleuren entsprechende Hinweise geben. Das hat zu einem lauten Aufschrei unter anderem beim Bauernverband geführt. Auch die Fachschaft Agrar der Uni Göttingen hat sich öffentlich "entsetzt" geäußert - an der Universität studieren viele Sprösslinge von Landwirten, und die haben das als – mal wieder – pauschale und ungerechte Angriffe auf ihren Berufsstand gesehen. Professor Spiller selbst hat das als "extrem dünnhäutige Reaktion" bezeichnet. Ich habe gestern Abend noch einmal kurz mit ihm telefoniert; er ist nicht bereit, von seinen Darstellungen und Forderungen abzuweichen.
"Das Ziel der Ministerin ist Provokation"
Reimer: Warum hat Bundesumweltministerin Barbara Hendricks ausgerechnet jetzt so eine angriffslustige Kampagne losgetreten, mit der sie sich in die Nesseln setzt?
Mohaupt: Das Ziel der Ministerin mit ihrer Kampagne ist recht klar – Provokation! Bauernregeln wie "Der April macht, was er will" oder "Ist Siebenschläfer nass, regnet's ohne Unterlass" gehören für viele Landwirte tatsächlich zum Kulturgut. Dass ausgerechnet eine Umweltschutzministerin sie nutzt, um Kritik an der aktuellen Landwirtschaft zu transportieren, gilt deshalb fast schon als eine Art Sakrileg – aus Sicht der Agrarlobby jedenfalls. Also, Provokation – das ist der Ministerin gelungen, außerdem steht der Bundestagswahlkampf vor der Tür, da geht es auch darum, sich mit seinem Ressort Umweltschutz eben auch mal gegen das Ressort Landwirtschaft zu positionieren. Und es geht mit Blick auf die im Jahr 2020 anstehende Reform der EU-Agrarzahlungen schon mal darum, eine Duftmarke zu setzen. Barbara Hendricks hat das in diesem Fall getan: Für eine stärkere Ausrichtung der Zahlungen an die Landwirte auf Tierschutzfragen, weg von den flächenbezogenen Direktzahlungen, hin zu Unterstützung für Umwelt-, Natur- und Tierschutz in der Landwirtschaft. Das ist ein ganz großes Thema für die Reform der EU-Agrarpolitik.