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Tierisch philosophisch

Sind wir bloß Tiere oder doch Gottes Ebenbild? Ist der Mensch ein Tier? Können Tiere denken? Darf man sie züchtigen, töten und essen? Solche Fragen beschäftigten Wissenschaftler beim "Philosophicum Lech" im österreichischen Vorarlberg. Jetzt sind die Vorträge schwarz auf weiß erschienen.

Von Frank Heckert |
    Einmal jährlich wird die Gemeinde Lech am Vorarlberg in Österreich zu einem Wallfahrtsort für Philosophen. Schnell kommen zu den 1500 Einwohnern mehr als 600 Besucher hinzu, wenn das mittlerweile fest etablierte "Philosophicum Lech" im September sein Programm startet. Die Themen der Veranstaltungsreihe, die 1997 ihr Debüt feierte, sind ebenso vielfältig wie interessant. So ging es bereits um den Umgang mit der Endlichkeit, um Wahrheit und Lüge, um den Zauber des Schönen oder die Jagd nach dem Glück. Im vergangenen Jahr freilich genügte ein Begriff, um den thematischen Rahmen der Referate und Diskussionen zu umreißen: Tiere. Es galt, den Menschen und seine Natur zu ergründen und damit viele Fragen anzusprechen, auf die es unzählige Antworten gibt: Sind wir bloß Tiere oder doch Gottes Ebenbild? Steht der Mensch außerhalb der Natur oder ist er ein Teil von ihr? Gibt es überhaupt eine Trennlinie zwischen Mensch und Tier? Können Tiere denken? Darf man sie züchtigen, töten und essen?

    Im Ambiente der Hochalpen setzten sich Philosophen, Biologen und Kunsthistoriker auf ganz unterschiedliche Weise mit dem Verhältnis des Menschen zum Tier auseinander – und einer schönen Tradition folgend, gibt es die Vorträge des 16. Philosophicums in Lech jetzt schwarz auf weiß, versammelt in einem schön gestalteten und lesefreundlich gesetzten Broschurband, wie immer herausgegeben vom Wiener Philosophieprofessor Konrad Paul Liessmann, der von Beginn an wissenschaftlicher Leiter der Veranstaltungsreihe ist.

    Dass die Erwartungen an dieses Buch hoch sein dürfen, liegt auch an einem Satz auf der hinteren Umschlagseite:

    "Je deutlicher die nahe Verwandtschaft zwischen Tier und Mensch erkannt wurde, desto klarer wurde auch, dass das Rätsel Mensch nur über das Tier gelöst werden konnte."

    Erfahren wir also die Wahrheit über uns erst dann, wenn wir den Blick von uns selbst abwenden, um stattdessen alle anderen Kreaturen zu betrachten, die mit uns den Lebensraum teilen?

    Um es vorwegzunehmen: Der Erkenntnisgewinn, den man aus diesem Band ziehen kann, ist immens. Freilich sollte niemand der Illusion erliegen, die Texte des "Philosophicums Lech" seien "leichte Kost". Im Gegenteil: Die meisten, oft sehr speziellen Beiträge machen keinen Hehl daraus, dass sie sich auf hohem wissenschaftlichem Niveau bewegen, die Autoren denken nicht daran, sich in die Niederungen populärwissenschaftlicher Betrachtungen zu begeben. Das ist zwar durchaus wohltuend, erfordert aber auch die ganze Aufmerksamkeit des Lesers. Manche Passagen muss man sich regelrecht erarbeiten und dabei auch einige unnötige Sprachbarrieren wegräumen – doch mit wenigen Ausnahmen lohnt sich die Mühe. Denn wie stellte Konrad Paul Liessmann in seinem Vortrag fest?:

    "Die Verschränkung von Mensch und Tier hat eine lange, wechselvolle, vielfältige und zutiefst widerspruchsvolle Geschichte – und ob Tiere Menschen oder Menschen Tiere sind, ist dabei alles andere als klar gewesen. Die Geschichte der Philosophie war immer auch eine Geschichte des Nachdenkens über das Tier."

    Dieses Nachdenken hat sich in Lech an vielen Themen festgemacht. So ging es um "Tierethik im liberalen Rechtsstaat" oder um die "Erfindung des Haustiers". Die Rolle von Tieren in der Kunst und – als Protagonisten – in der Literatur stand ebenso im Fokus wie die Frage, ob Tiere Rechte haben und ob sie sich widersprechen können. Während der Begriff der Ethik dabei gleich mehrfach auftaucht, bleiben jedoch manche Aspekte außen vor: Das aggressionsbeladene Spannungsfeld zwischen Tierbesitzern und Menschen ohne Affinität zu Tieren wäre ein guter Nährboden für ersprießliche Gedanken gewesen. Auch über die Trauer um Tiere, die so ganz anders sein kann als die Trauer um Mitmenschen, hätte man gut philosophieren können oder über die Frage, ob uns Tiere nicht vielleicht den einen oder anderen Sinn voraushaben.

    Der vielleicht eindringlichste Beitrag zum "Philosophicum Lech" kam von dem Theologen und Psychoanalytiker Eugen Drewermann. Das Bild, das er von unserer Welt malt, ist düster und wenig hoffnungsvoll. Der angebliche Fortschritt, so Drewermann, sei tödlich und die Ursache für "eine Querschnittslähmung durch den gesamten Motor der Evolution". Mit Wachstum und Gewinnmaximierung als unseren wichtigsten Mantren hätten Tiere keine Chance mehr.

    "Nur wir Menschen haben uns zugesprochen, Gefühle zu besitzen.
    Wir haben eine geschmeidige Ethik, in der nur der Mensch schützenswert ist – vor den Tieren, die er zu Opfern gemacht hat",

    mahnt Drewermann, auch im Hinblick auf das reflexartige Keulen von Tieren im Zusammenhang mit BSE, Vogelgrippe und Schweinepest.

    Tiere seien für viele das, was schon Descartes in ihnen sah: "gefühllose Reflexautomaten." Dagegen freilich spricht – neben den vielen differenzierten Betrachtungen in Lech – schon ein klassisches Beispiel: Argos, der alte Hund des Odysseus, der seinen Herrn als Einziger nach zwanzigjähriger Abwesenheit erkannte.

    Konrad Paul Liessmann (Hrsg.): "Philosophicum Lech: Tiere – Der Mensch und seine Natur"
    Zsolnay Verlag, 384 Seiten, 19,90 Euro, Broschur