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Tierische Außenseiter

Der Bildhauer Thomas Grünfeld schuf Ende der 80er-Jahre hybride Wesen mit dem Kopf eines Lamms und dem Korpus einer Bulldogge, erfand Zwitter aus Wellensittich und Küken, aus Fuchs und Katze. Damit wurde er international bekannt. Das Museum Morsbroich in seiner Geburtsstadt Leverkusen widmet ihm jetzt eine Retrospektive, die auch seine Wandobjekte und Filzbilder zeigt.

Von Georg Imdahl | 28.05.2013
    Es waren die Surrealisten, die sich einst von den Auslagen im Schaufenster inspirieren ließen. Thomas Grünfeld zählt vier Geschäfte in der Kölner Innenstadt auf, ohne die ganze Werkgruppen seines Schaffens nicht hätten entstehen können. Diese Läden waren nur einen Steinwurf voneinander entfernt, als er sich in jungen Jahren für sie zu interessieren begann: ein Fachhandel für Tierpräparate, ein anderer für Filz, ein weiterer für Gummi und nicht fehlen darf schließlich: eine Kunstbuchhandlung.

    Bei Präparate Roosen hatte Grünfeld in den 80er-Jahren zwei kleine kopulierende Tiere im Schaufenster bestaunt – die kuriose Paarung einer Bisamratte mit einem Hahn lockte damals die Blicke der Laufkundschaft. Spontan kaufte sich Grünfeld das seltsame Duo und stellte es, ohne daran etwas zu ändern, als Ready-made im Kunstkontext aus. Dann aber drängte sich ihm die Frage auf, wie wohl die Nachkommen von Hahn und Ratte aussehen würden, und er begann 1989 die Reihe "misfits", zu Deutsch: Sonderlinge.

    Grünfeld schuf hybride Wesen mit dem Kopf eines Kaninchens und dem Korpus eines Lamms, erfand Zwitter aus Wellensittich und Küken, aus Fuchs und Katze. Das Thema dieser befremdlichen Skulpturen, die den Künstler bald international bekannt machen sollten, lag ganz in der Zeit. Folgerichtig wollte man in dem Bildhauer einen Kritiker der Gentechnik erkennen. Doch Grünfeld wiegelte ab. Er verbinde keine Aussage mit den skurrilen Wesen. Schon gar nicht wolle er sozialkritische Thesen damit illustrieren.

    Vielmehr gibt er ganz den Bildhauer. Er beschäftige sich eben mit den haptischen Qualitäten, den Federn und Fellen, die er kombiniere – und damit, was sie beim Betrachter an widersprüchlichen Gefühlen auslösen. So spielt Grünfeld die Possierlichkeit der häuslichen Zwitterwesen gegen das gelinde Unbehagen, wenn nicht gar den Ekel aus, den sie abstrahlen.

    Dieser widerspenstige Naturalismus ist nur eine Ader im Oeuvre des gebürtigen Leverkuseners, dem das Museum Morsbroich jetzt mit einer Retrospektive ein Heimspiel ausrichtet. Die anderen Werkzweige des Professors an der Düsseldorfer Kunstakademie führen in die 60er-Jahre zurück – namentlich zum amerikanischen Bildhauer Richard Artschwager. Dessen kitschigen Möbelskulpturen aus Holzimitaten wie Resopal eignet eine subversive Ironie, die Grünfeld sozusagen ins Deutsche übertragen will. Seine Wandobjekte geben dem Wohnzimmermief der alten Bundesrepublik eine gute Form. So mischt Grünfeld seinen Arbeiten immer wieder Erinnerungen an den Muff der 60er-Jahre unter und liiert den Gelsenkirchener Barock mit den künstlerischen Avantgarden der Gegenwart.
    Nur kurz hatte er sich anfangs an der Malerei versucht und dabei am sogenannten Bad Painting orientiert – einer gekonnt schlechten Malerei. Dann tauschte er Pinsel und Farbe gegen Filz und Schere ein. Mit dem Hobbymaterial Filz komponiert und "malt" Grünfeld gleichsam, indem er es zuschneidet und collagiert – so etwa in der Abstraktion mit dem Titel "Leverkusener Kreuz" aus dem Jahr 2006. In schöner Einfachheit stilisiert der Künstler das Autobahn-Kleeblatt an der A 3, das Stadion von Bayer 04 und das Wohnhaus der Mutter.

    Aus Gummi sind wiederum einige amorphe und abstrakte Bodenskulpturen, deren Formen auf Hans Arp zurückgehen könnten. Die Flatschen in Braun und Beige sehen aus wie dralle, große Implantate. Die Assoziation Silikon drängt sich unweigerlich auf – und auch damit trifft Grünfeld einen Nerv der Zeit. All dies macht die Ausstellung kurzweilig. Die einstige Begeisterung der Surrealisten für das Schaufenster – sie lebt.