Archiv


Tierische Tauchgänge verstärken Sauerstoffmangel

Tagtäglich ziehen kleine Meerestiere aus der Tiefsee an die Oberfläche, fressen dort und machen sich wieder auf den Rückweg. Forscher haben herausgefunden, dass diese Wanderungen den Sauerstoffgehalt in den Tiefseewassern stark beeinflussen.

Von Dagmar Röhrlich |
    Die Laternenfische tun es, die Ruderfußkrebse, die Borstenmäuler: Abend für Abend machen sie sich zu Myriaden zusammen mit Heerscharen von Quallen und anderem Getier auf den 200, manchmal 500 Meter langen Weg aus der Tiefsee an die Oberfläche. Dort schlagen sie sich im Schutz der Nacht den Bauch voll. Die Dimensionen dieser nächtlichen Wanderung sind gewaltig:

    "Es handelt sich wahrscheinlich um die größte Tierwanderung auf der Erde. Rechnet man die Strecke, die diese kleinen Tiere zurücklegen, auf den Menschen um, müssten wir jeden Abend 20, 30, 50 Kilometer in eine Richtung wandern und dann dort essen oder arbeiten. Und am nächsten Morgen geht es diese 20, 30 oder 50 Kilometer wieder zurück. Genau das passiert im Ozean."

    Daniele Bianchi von der McGill University in Montreal, Kanada. Die Wanderung selbst ist seit den naturwissenschaftlichen Forschungsfahrten im späten 18. Jahrhundert bekannt. Allerdings fehlte bisher ein globaler Überblick über das Ausmaß dieser Bewegung:

    "Um diesen globalen Überblick zu bekommen, haben wir Sonardaten analysiert, die zwischen 1990 und 2011 auf Hunderten von Forschungsfahrten rund um die Erde gewonnen worden sind. Das Tauchverhalten von Meerestieren lässt sich am einfachsten beobachten, wenn wir Schallwellen ins Wasser senden, die dann von den Tieren zurückgeworfen werden. Zu unserer Überraschung sahen wir, dass sich die Myriaden von Wanderern tagsüber in dieser sauerstoffarmen Zone aufhalten. Eigentlich sollten die Tiere doch versuchen, diese Zonen zu vermeiden, aber sie schwimmen genau dorthin."

    Der Grund: Die großen, schnellen Raubfische, die auf Sicht jagen, machten den Ozean tagsüber zu einem gefährlichen Platz für alle Kleinen, erklärt Daniele Bianchi. Diese Räuber brauchen jedoch viel Sauerstoff für ihren aktiven Lebensstil:

    "Die kleinen Tiere werden wohl sehr viel besser mit geringen Sauerstoffwerten fertig. Anders als bislang angenommen, nutzen die Wanderer also nicht nur die Dunkelheit der Tiefsee als Schutz, sondern auch den Sauerstoffmangel, der dort in einer Zone zwischen 200 und 1000 Metern Tiefe herrscht. Wir haben also eine Verbindung zwischen dieser massiven Wanderung und den Zonen mit wenig Sauerstoff gefunden."

    Diese Wanderer begeben sich in den oberen Bereich dieser Sauerstoffminimumzonen. Dort hören sie allerdings nicht auf, zu atmen. Sie verbrauchen Energie, und sie scheiden außerdem Abfallprodukte aus, die wiederum von Bakterien zersetzt werden:

    "Das wirft eine Frage auf, nämlich wie viel von dem Sauerstoffabbau, den wir in der sauerstoffarmen Zone sehen, auf das Konto dieser wandernden Tiere geht. Bislang waren wir davon ausgegangen, dass diese Zonen vor allem entstehen, weil Bakterien das organische Material zersetzen, das in die Tiefe absinkt. Dabei verbrauchen sie Sauerstoff. Wir haben nun Simulationen entwickelt, die diese Wanderungsbewegungen in die Berechnung des Sauerstoffgehalts einbeziehen. Danach sieht es so aus, als ob tatsächlich diese Wanderer für 20 bis 50 Prozent der Sauerstoffabnahme verantwortlich sind: Einmal, weil sie sich in der Sauerstoffminimumzone ansammeln, und zum anderen, weil es in diesen Wasserschichten kaum Bewegung gibt und damit auch kaum Sauerstoffnachschub."

    Durch den Klimawandel sollen sich diese Sauerstoffminimumzonen ausdehnen. In den Tropen ist dieser Effekt bereits sichtbar:

    "Weil sich das Verhalten dieser Tiere so genau mit der Sauerstoffminimumzone korrelieren lässt, werden sich ihre Wanderungen verändern. Noch ist jedoch nicht klar, ob das gut oder schlecht für die wandernden Tiere oder die Raubfische ist."

    Jedenfalls zeigt die Ausdehnung der Sauerstoffminimumzonen bereits heute Effekte. Das zeigt eine andere Studie zu räuberischen Humboldt-Tintenfischen. Diese aggressiven Tiere lieben Zonen mit wenig Sauerstoff, weil ihre Fressfeinde ihnen dorthin nicht folgen. Deshalb weiten sie ihr Verbreitungsgebiet aus und dezimieren so die Bestände von Seehecht und Sardellen.