Automatenfütterung hochverdaulicher Proteine und eine vom Klimacomputer gesteuerte Raumtemperatur für das sozial verträglich gezüchtete Borstenvieh: Im modernen Aufzuchtstall gehe es seinen Ferkeln heute besser als zu früheren Zeiten, betont der Schweinehalter Herman Müller. 11.000 Ferkel, 3.000 Mastschweine, 400 Zuchtsauen: Das ist die Jahresproduktion seines mittelständischen Betriebs bei Verden im Norden Niedersachsens.
Wenn sich seine Tiere nicht in engen Kurven nachjagen oder zum Schlafen in die Ecken der Buchten legen, stehen sie dicht gedrängt auf Betonboden. Wenn sie nur könnten, würden manche Ferkel einander aus purer Langeweile die Ringelschwänze blutig beißen. Um das zu verhindern, kürzt Müller die Schwänze seiner Ferkel. Auch bei vielen seiner Kollegen gehört diese Prozedur zur Routine. Der bereits von der Vorgängerregierung auf den Weg gebrachte Tierschutzplan des Landes will erreichen, dass die Bauern spätestens Ende 2016 auf den Eingriff verzichten. Doch Müller ist skeptisch:
"Das passiert vielleicht unter 1.000 Schweinen bei uns im Betrieb vielleicht ein zweimal, dass die sich die Schwänzchen anknabbern. Leider ist es so, dass wenn wir die Schwänze nicht kupieren würden, würde das deutlich häufiger auftreten. Dann ist im Grunde das Kind in den Brunnen gefallen, weil die Tiere gewöhnen sich das an. Die Wunden verheilen nicht. Und letztendlich ergibt das ein trostloses Bild."
Niedersachsens grüner Agrarminister Christian Meyer ist gedanklich schon einen Schritt weiter. Er lobt solche Landwirte, die schon vor der vorgesehenen Frist freiwillig auf das Schwanzkupieren verzichten, eine Prämie aus. 16 bis 18 Euro soll es für unversehrte Tiere geben. Damit will Meyer den Mehraufwand der Landwirte honorieren. Denn der Verzicht auf das Kupieren würde andere Haltungsbedingungen für die Schweine erfordern: weniger Tiere pro Stall, Haltung auf Stroh, Material zur Beschäftigung. Betriebe, die sich um die Prämien bewerben, sollen von Tierärzten streng überwacht werden.
"Wir fördern nicht nur den Umbau und eine bessere Tierhaltung, sondern wir kontrollieren auch das Ergebnis, ob es wirklich einen Fortschritt für das Tierwohl gegeben hat. Und da ist ein intakter Ringelschwanz ein ganz wichtiger Indikator."
Kollektives Kopfschütteln in der Landtagsopposition: Der Minister starte mit seiner Tierschutzprämie einen Alleingang gegen den Rat der Experten, tadeln CDU und FDP. Geballte Ablehnung erfahren Verbot und Prämie auch beim größten Bauernverband im Mastland Niedersachsen. Vom aggressiven Schwanzbeißen seien auch Biobetriebe betroffen, die Forschung sei bislang weitgehend ratlos, viele Feldversuche seien kläglich gescheitert, sagt Landvolk-Präsident Werner Hilse:
"Da haben wir erleben müssen, was das für Blutschlachten sind. Da gab es Versuche, die wurden abgebrochen, weil es einfach nicht verantwortbar ist. Das muss man als Praktiker sehen, dass die in der freien Natur auch eine Hackordnung haben. Und diese Hackordnung setzen sie in den Ställen sehr viel mehr durch."
Der Agrarminister verteidigt sein Vorhaben. Es gebe im Ausland - in Norwegen, der Schweiz und Dänemark etwa - gute Erfahrungen mit Stallumbauten. Im Ökolandbau seien Eingriffe an den Tieren schon länger tabu, ein generelles Verbot sei überfällig:
"Wir haben EU-weit schon seit Langem die Vorgabe, dass es eigentlich nicht erlaubt ist, die Schwänze abzuschneiden. Das ist in Deutschland bislang nicht umgesetzt. Die EU droht ein Vertragsverletzungsverfahren an, weil viele europäische Staaten schon mit gutem Erfolg darauf verzichten, auf diesen Eingriff. Es ist machbar, aber man muss die Landwirte überzeugen. Es sind viele Faktoren, die dazu führen werden, dass wir die Tiere nicht mehr an die Ställe anpassen, sondern dass wir eine Tierhaltung haben, wo unversehrte Tiere gehalten werden können."
Längst kommen auch aus der Branche selbst Initiativen: So bemühen sich die Verbände im Gespräch mit dem Lebensmitteleinzelhandel um die Vermarktung von Schweinefleisch mit einem Label des Deutschen Tierschutzbundes. Ein wenig mehr Platz, Verzicht auf gewisse Eingriffe: Es wird im Ermessen der Verbraucher liegen ob es sich dabei tatsächlich um "Bio-Produkte" aus tiergerechter Haltung handelt.