Die Kriterien für den Tierschutz seien nicht streng genug, kritisierte Schröder das von der "Initiative Tierwohl" eingeführte Label. So sei etwa die Besatzdichte im Stall noch viel zu hoch. Besonders problematisch sieht er die Kritierien für die Putenhaltung: Da es keine gesetzliche Regelung gebe, habe sich die Initiative hier einfach etwas ausgedacht - und täusche damit den Verbraucher.
Der sei durch ein weiteres Tierwohl-Siegel eher verwirrt. Denn für das bereits bekannte Tierwohl-Siegel vom Bund gebe es völlig andere Kriterien.
Das Interview in voller Länge:
Birgid Becker: Zum Start der Sendung erst mal auf die Grüne Woche, die große Lebensmittelmesse in Berlin. Dort wurde ein neues Siegel für Geflügelfleisch vorgestellt, aufgelegt von der sogenannten "Initiative Tierwohl". Das ist eine freiwillige Vereinbarung von Fleischindustrie, den größten Einzelhändlern und dem Bauernverband. Dabei haben sich die Händler verpflichtet, für jedes verkaufte Kilo Fleisch einige Cent in einen Fonds einzuzahlen, und mit dem Geld werden dann Landwirte gefördert, die ihre Ställe umwelt- und tierfreundlicher ausbauen, als das gesetzlich vorgeschrieben ist.
Was bringt das dem Verbraucher und was bringt das neue Siegel dem Tierschutz? Das habe ich vor der Sendung den Präsidenten des Deutschen Tierschutzbundes gefragt, Thomas Schröder.
Thomas Schröder: Das neue Siegel bringt für den Verbraucher und für den Tierschutz eigentlich nichts, kaum Nennenswertes. Im Tierschutz sind die Kriterien der Initiative Tierwohl, die ja dahinter stehen, hinter dem Siegel, viel zu niedrig aus Tierschutzsicht, gar nicht durchgreifend nachhaltig Tierschutz in den Stall gebracht, und der Verbraucher wird eher noch verwirrt, weil er noch ein Label lernen muss, das dann wieder unterschiedlich ist zu anderen Labels.
"Viele Verbraucherverwirrungen, die ich nicht nachvollziehen kann"
Becker: Noch mal konkret. Es gibt 1900 Betriebe, die in Deutschland 492 Millionen Hähnchen und Puten in dieser Form, also unverarbeitet an den Verbraucher bringen. Bislang konnte man nur herausbekommen, ob ein Betrieb die Initiative Tierwohl unterstützt oder dabei ist, aber nicht, ob ein einzelnes Produkt aus solch einem Betrieb kommt. Das wäre jetzt anders. Der Verbraucher könnte etwas genauer hinsehen. Das ist kein Fortschritt?
Schröder: Na ja. Der Verbraucher muss jetzt lernen, dass dieses Logo zwischen Schwein und Geflügel eine unterschiedliche Bedeutung hat. Bei Schwein heißt es, es ist sicher, dass auch Fleisch drin ist, das aus einem Stall mit mehr Tierwohl kommt. Bei Geflügel soll es ab April sicher sein, aber wieder nur bei Frischfleisch, nicht bei Wurst und anderen Produkten. Das sind viele Verbraucherverwirrungen, die ich auch so nicht nachvollziehen kann. Zudem sind die Schritte bei Geflügel viel, viel zu niedrig. Bei Hähnchen und bei Pute bleibt eine ganz hohe Besatzdichte da. Es ist eigentlich keine durchgreifende Veränderung im Stall. Es ist ein minimaler Fortschritt.
Becker: Sie sagen, bei den Puten gäbe es vor allem Regelungsbedarf?
Schröder: Die Geflügelbranche hat es jetzt geschafft, ein Label für ein Tier auf die Packung zu bringen, für die es nicht mal eine gesetzliche Haltungsverordnung gibt. Die Pute wird irgendwie gehalten, es gibt kein Gesetz dafür, anders als bei Hähnchen oder bei Schweinen. Dann ist dieses Label eher eine Täuschung: Wir machen das alles gleich und jeder denkt, das ist irgendwie geregelt. Nein, hier ist die Wirtschaft frei im Gange, irgendwie Tierwohl im Stall zu definieren, ohne es ernsthaft nachhaltig im Stall umzusetzen.
"Bedauerlich für die Landwirte"
Becker: Sie haben das eben schon erwähnt: der große Bereich Schweinefleisch. Für den kriegt man, das sagt diese Initiative selber, die Kennzeichnung erst später hin, und dann auch erst schrittweise. Bedauern Sie das überhaupt vor dem Hintergrund Ihrer Kritik an diesem Siegel?
Schröder: Man könnte jetzt sagen, wir bedauern das, weil wir immer gesagt haben, die Initiative scheitert und bringt nichts. Ich finde es nur bedauerlich für die Landwirte, die umstellungsbereit sind, die mitmachen wollen bei dieser Initiative und jetzt damit auch wieder in Verruf geraten. Die, die wollen, müssen Unterstützung finden, aber bitte auch für wirklich Tierschutz im Stall und nicht für so einen minimalen gesetzlichen Rahmen und ein Niveau, das eingehalten wird. Ich glaube, die, die wollen, wollen dafür gelobt werden, und Lob kriegen sie, wenn Tierschutz wirklich im Stall stattfindet. Das ist jetzt nicht der Fall.
Becker: Zur Initiative grundsätzlich. Die Zahl der teilnehmenden Betriebe wächst von ursprünglich 3400 auf mehr als 6000. Damit steigt ja auch die Zahl der Tiere in der Initiative. 249 Millionen Schweine zunächst, jetzt mehr als 518 Millionen. Ist das nicht besser als nichts?
Schröder: Ich gestehe zu, dass wir immer gesagt haben, ich bin froh, dass die Branche sich bewegt. Denn wer eine Lösung sucht, erkennt ja das Problem an. Das ist ein Fortschritt gegenüber vielen Jahrzehnten im Vorfeld, die wir uns gestritten haben. Ich bin auch froh, dass sich ein bisschen was bewegt und viele Landwirte bereit sind, die Mühe auf sich zu nehmen. Aber es geht um die Außendarstellung. Diese Initiative versucht darzustellen, sie seien die besten Tierschützer und würden das beste Niveau im Stall erreichen – Motor für Tierwohl. Das ist ein stockender, stotternder Motor, der fast im Stillstand ist, und darum geht es. Der Verbraucher wird verführt zu glauben, das sei Tierschutz. Das diffamiert andere Programme, die wirklich Tierschutz machen, und das ist das, was die Branche auch will: andere vom Markt drängen, um möglichst wenig tun zu müssen.
Becker: Und andere, die wirklich Tierschutz machen, wer ist das dann?
Schröder: Das sind angefangen bei den Bios natürlich, die viel mehr Tierschutz machen als jeder andere. Das ist Neuland, in vielen Regionen erhältlich. Und das ist natürlich auch unser Label, das des Deutschen Tierschutzbundes, das in Zweistufigkeit, Einstieg und Premium, existiert.
"Der Gesetzgeber muss einen richtigen Ordnungsrahmen schaffen"
Becker: Ein Tierwohl-Label zu schaffen, womöglich ein neues sogar, das steht ja tatsächlich auch im Sondierungspapier für die Neuauflage einer GroKo, wenn es denn dazu kommt. Außerdem steht drin, Lücken in den Haltungsnormen im Tierschutzrecht sollen geschlossen werden. Wie schätzen Sie das ein?
Schröder: Zuerst einmal muss ich sagen, der Gesetzgeber muss zuerst mal einen richtigen Ordnungsrahmen schaffen, auf den ein Label aufsetzen kann. Das ist bei der Pute zum Beispiel bisher überhaupt gar nicht gegeben. Deswegen ist das erste, was die GroKo machen muss, das Tierschutzgesetz reformieren und vernünftig gestalten. Dann kann ein Label freiwillig draufsetzen und der Verbraucher kann auch erkennen, was ist besser als das Gesetz vorschreibt. Wir haben jetzt ein Durcheinander. Wir haben im Tierschutzgesetz immer noch Amputationen an den Tieren erlaubt. Wir haben für Tiere wie Pute und Rinder keine Haltungsverordnung. Also erster Schritt: vernünftige gesetzliche Basis, Ordnungsrecht, vernünftig gestalten, dann das Label draufsetzen. Dann ist es auch für den Verbraucher transparent.
Ich will eines aber, weil mich das wütend macht, dazu sagen. Die Geflügelzüchter wollen jetzt unbedingt so eine Prämie wie die erneuerbaren Energien, weil sie doch so viel tun. Das wurde gefordert.
Becker: Das wurde gefordert vor der Grünen Woche; das ist richtig.
Schröder: … vor der Grünen Woche. Ich sage, das ist fast unverschämt. Bisher haben wir bei Fleisch nicht mal ein Verursacherprinzip. In den Geflügelregionen wie im Emsland im Norden ist das Grundwasser mit Nitrat vergiftet. Da zahlt der Steuerzahler die Umweltfolgen, nicht der Produzent von Geflügelfleisch. Solange das so ist, kann es keine extra Prämie geben für Leistungen im Stall.
Becker: Thomas Schröder war das, der Präsident des Deutschen Tierschutzbundes, mit dem ich kurz vor der Sendung gesprochen habe.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.