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Ties Rabe: Vergleichbarkeit im deutschen Schulsystem muss erhöht werden

"Wir haben verschiedene Bundesländer, wir haben auch in einigen Bereichen unterschiedliche Schulformen, aber die Abschlüsse und die Ansprüche, die müssen überall gleich sein", fordert Hamburgs Schulsenator Ties Rabe. 2012 ist er Präsident der Kultusministerkonferenz.

Ties Rabe im Gespräch mit Manfred Götzke |
    Manfred Götzke: 2012 ist ja noch keine zwei Tage alt, und deshalb wollen wir heute mal ein bisschen in die Glaskugel gucken: Was wird uns bildungspolitisch dieses Jahr beschäftigen, was könnte sich tun bei den Bildungsdauerbrennern? Wird unsere Schullandschaft ein bisschen einheitlicher und darf der Bund bald vielleicht doch wieder Geld ins Schul- und Hochschulsystem stecken? Keiner wird sich mit diesen Fragen 2012 wohl mehr beschäftigen als Hamburgs Schulsenator Ties Rabe, denn er ist in diesem Jahr Chef der Kultusministerkonferenz, er übernimmt das Amt Mitte Januar von seinem niedersächsischen Kollegen Bernd Althusmann.

    Herr Rabe, Sie werden Chef einer Institution, die wie keine andere für den Bildungsföderalismus und dessen auch bizarren Auswüchse steht. Freuen Sie sich trotzdem darauf?

    Ties Rabe: Das ist eine spannende Aufgabe, die muss gemacht werden. Ich will sie gerne gut machen, und wenn ich sie gut mache, dann kann ich mich dabei auch freuen. Im Moment bin ich ein bisschen gespannt, was da auf mich zukommt.

    Götzke: Worauf sind Sie denn am meisten gespannt?

    Rabe: Ja, wir haben einige Herausforderungen, ich will als Beispiel nennen den Bereich des europäischen und deutschen Qualitätsrahmens, aber auch die sogenannten Standards für Abiturprüfungen. Das sind schon spannende Herausforderungen.

    Götzke: Bleiben wir vielleicht beim deutschen Qualifikationsrahmen, da geht es ja um die Streitfrage mit den Wirtschaftsvertretern, wie viel wert ist das Abitur? Die Kultusminister wollen das Abitur ja höher einschätzen als die berufliche Ausbildung. Ja, und wie wollen Sie da diesen Konflikt schlichten?

    Rabe: Die Kultusminister wollen das Abitur keineswegs höher einschätzen als die berufliche Bildung, ganz im Gegenteil. Wir sind davon überzeugt, dass die berufliche Bildung gerade in Deutschland mit der dualen Berufsausbildung einen sehr hohen Wert hat und auch eine sehr hohe Qualität hat, eine Qualität, die bei zahlreichen Berufsbildern der Qualität des Abiturs absolut gleichgestellt ist. Die Frage, die uns bisher von den Sozialpartnern getrennt hat, war ja die Frage, wie viele und welche Berufe sind denn dem Abitur gleichgestellt und welche nicht?

    Götzke: Die meisten sollen dem Abitur ja nicht gleichgestellt sein. Also, die Fragestellung ist ja, Abitur auf Stufe fünf dieses Rahmens und die meisten beruflichen Ausbildungen, die dreijährigen, auf Stufe vier - anders als in allen europäischen Ländern.

    Rabe: Die Kultusministerkonferenz war der Meinung, dass innerhalb der dreijährigen Berufsausbildung Unterschiede in der Bildungsqualität zu erkennen sind, und hatte deshalb vorgeschlagen, einen Teil der dreijährigen Berufsbilder auf Stufe fünf mit dem Abitur gleichzustellen und einen anderen Teil auf Stufe vier der Fachhochschulreife gleichzustellen. Auf Anhieb ist das nicht unvernünftig, auch wenn man sagen muss, dass die Sozialpartner zurzeit nicht bereit waren, die Berufe entsprechend noch einmal auf verschiedene Stufen einzuordnen. Aber im Kern war der Vorschlag der Kultusministerkonferenz durchaus so zu verstehen, dass ein sehr großer Teil der Berufe mit dem Abitur gleichgestellt ist und keineswegs unter dem Abitur steht.

    Götzke: Das ist nur eines der vielen Themen, die uns in der Bildungspolitik 2012 beschäftigen werden. Ein anderes ist der Vorstoß Ihres bayerischen Kollegen Spaenle, der setzt sich seit ein paar Monaten für ein bundesweites Zentralabitur ein, was zweifellos für mehr Vergleichbarkeit im deutschen Bildungswesen sorgen würde. Wie stehen Sie dazu?

    Rabe: In der Tat müssen wir die Vergleichbarkeit im deutschen Schulsystem, im deutschen Bildungswesen insgesamt deutlich erhöhen. Das muss das Versprechen an Eltern und Kinder sein, das Versprechen nämlich, dass man sagen kann, wir haben verschiedene Bundesländer, wir haben auch in einigen Bereichen unterschiedliche Schulformen, aber die Abschlüsse und die Ansprüche, die müssen überall gleich sein. Und deswegen brauchen wir ein Abitur, das überall gleich schwer ist und eine Realschulprüfung, die überall gleich schwer ist, und einen ersten Bildungsabschluss, und das darf sich nicht von Bundesland zu Bundesland unterscheiden. In diesem Punkt, finde ich, sind alle Kultusminister einig, dass wir da hinkommen müssen.

    Götzke: Nur, wie?

    Rabe: Der Weg dahin, der ist aus meiner Sicht in Schritten zurückzulegen und der erste Schritt ist, dass man sich überhaupt darauf verständigt, wie schwer soll das Abitur, sollen die Prüfungen sein und wie kann man eigentlich den Schwierigkeitsgrad beschreiben? Da stellt sich der eine oder andere vor, wir machen eine zentrale Prüfung. Das ist sicherlich die einfachste Antwort auf dem Papier, aber in der Realität hält sie den Anforderungen selten stand. Wir müssten dann tatsächlich sagen, an einem Tag in Deutschland, Mittwoch, den 21. Juni, schreiben sämtliche Schülerinnen und Schüler in der Realschulprüfung morgens um acht Uhr eine Deutschprüfung. Und wenn man darüber nachdenkt, dann erkennt man schnell, wie schwierig das alles sein wird. Wir müssten sämtliche Ferientermine beispielsweise fast deckungsgleich oder sogar deckungsgleich legen, wir müssten die gesamten Terminkalender umwerfen und wir hätten dann auch ein komplett anderes Zeit- und Schulsystem in Deutschland eingeführt. Und deswegen würde ich doch immer dazu raten, bei solchen Diskussionen einen Schritt nach dem anderen zu machen. An eine Harmonisierung, an eine Veränderung sämtlicher Ferienzeiten in Deutschland, übermorgen am besten schon, glaube ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht.

    Götzke: Da hätten wir dann noch weitere Verkehrsstaus vor uns. Aber wann wollen Sie diesen ersten Schritt gehen, vielleicht noch im Jahr 2012, vergleichbare Abiturprüfung?

    Rabe: In den letzten Jahren haben wir da schon große Schritte gemacht, insbesondere wenn es um die Standards für den ersten Bildungsabschluss, den sogenannten Hauptschulabschluss oder den Realschulabschluss geht. Und wir sind jetzt dabei, für das Abitur entsprechende Standards zu entwickeln. Ich rechne aber schon damit, dass das von uns beauftragte Bildungsinstitut entsprechende Standards für die entsprechenden Aufgaben innerhalb des nächsten Jahres konkretisieren kann.

    Götzke: 2011 hat sich in einigen Bundesländern gezeigt, dass das Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern in der Bildungspolitik vor allem dazu führt, dass arme Bundesländer nicht genug Geld für Bildung haben. Einige Bundesländer und vor allem die Bundesbildungsministerin Annette Schavan wollen das Verbot wieder abschaffen. Sie auch?

    Rabe: Ja. Ich finde das Verbot nicht vernünftig. Wir müssen ganz klar sehen: Bildung entscheidet über die Zukunft der Bundesländer, aber auch über die Zukunft von ganz Deutschland. Und Bildung entscheidet natürlich auch über die Zukunft eines jeden Kindes, eines jeden Jugendlichen. Und so ein wichtiges Thema nur der Zufälligkeit des einzelnen Bundeslandes allein, dem Finanzrahmen des Bundeslandes zu überlassen, das wäre wirklich ein Fehler. Ich glaube, das haben auch die meisten inzwischen erkannt. Es geht jetzt eher um die Frage, was können wir in Zukunft tun, wie können wir unsere Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern so organisieren, dass das auch eine vernünftige Lösung gibt? Aber am Kooperationsverbot festzuhalten, finde ich unvernünftig.

    Götzke: Das Problem ist ja, dass dieses Kooperationsverbot im Grundgesetz steht, es hat Verfassungsrang, ist also nicht so leicht wieder zu tilgen. Könnte man es trotzdem 2012 wieder aus der Verfassung streichen?

    Rabe: Man kann das jederzeit ändern. Es ist die Frage, wann die entsprechenden politischen Mehrheiten sich dazu finden. Ich will gern dazu beitragen, dass die politischen Mehrheiten dafür zustande kommen, denn wir haben es ja auch irgendwann einmal ins Grundgesetz hineingeschrieben. Und insofern kann auch der gegenteilige Weg durchaus klappen. Und deswegen bin ich da im Kern nicht so pessimistisch. Ich bin auch deshalb nicht pessimistisch, weil die meisten Bundesländer einerseits erkennen, dass das Kooperationsverbot nicht vernünftig ist, und weil andererseits auch die Bundesregierung immer stärkere Anstrengungen unternimmt, um in irgendeiner Form die Bildung auf Länderseite zu stärken. Und offensichtlich gibt es auf beiden Seiten schon ein Interesse daran, hier zu einer vernünftigen Zusammenarbeit zukommen.

    Götzke: Hamburgs Schulsenator Ties Rabe ist 2012 Chef der KMK, der Kultusministerkonferenz. Mit ihm habe ich darüber gesprochen, was er politisch anstoßen will. Danke schön!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.