Benedikt Schulz: Bereits seit Wochen wird diskutiert: Kann der Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz für Kinder ab dem zweiten Lebensjahr eingehalten werden, stehen also genug Plätze zur Verfügung? Es wird diskutiert, es wird gestritten – Bundesfamilienministerium und Kommunen nennen unterschiedliche Zahlen, wer recht behält, das muss sich jetzt zeigen. Ein wichtiger Punkt gerät dabei jedoch immer wieder aus dem Blickfeld: die Qualität der Betreuung, denn der Anspruch, der heutzutage an Kitas, Krippen oder Tagespflegestellen gestellt wird, der ist ja nicht: Hauptsache, die Kinder sind untergebracht, während Mutter und Vater arbeiten gehen. Es geht eben auch um pädagogische Betreuung, um frühkindliche Bildung. Professor Doktor Wolfgang Tietze von der freien Universität Berlin ist Erziehungswissenschaftler und Experte für den Bereich Kleinkindpädagogik. Mit ihm bin ich jetzt verbunden. Herr Tietze, ab heute gilt der Rechtsanspruch. Ist das ein guter Tag für die Bildung in unserem Land?
Wolfgang Tietze: Ich glaube ja, und zwar aus diesem Grunde, dass nun wirklich jedes Kind diesen Rechtsanspruch hat und nicht mehr wie bisher die Knappheit der Plätze und die Kriterien, die bei den Eltern liegen, die Platzvergabe bestimmen. Ich denke, es ist ein wichtiges Datum, weil jedes Kind ein kleiner Bürger ist, und als solcher diesen Anspruch auf gute Förderung von Anfang an genießen sollte.
Schulz: Jetzt haben Sie in einer Studie, in Ihrer Nubbek-Studie, die Sie im Frühjahr herausgegeben haben, ja ermittelt, dass die Betreuung im Durchschnitt nur mittelmäßiges Niveau hat, und deswegen fordern Sie ein Qualitäts-Monitoring für frühkindliche Pädagogik, also eine Art Stiftung Warentest. Wie muss das aussehen, und wie lässt sich so was umsetzen?
Tietze: In der Tat ist die pädagogische Qualität, und zwar genauer gesagt die Prozessqualität, also die Erfahrungen, die Kinder machen können, die Anregung, die sie bekommen, ja, auch die Angebote, die von der Einrichtung bereitgestellt werden, das bewegt sich im Durchschnitt alles nur in einem mittleren Bereich, wir sagen auch mittelmäßigen Bereich, und das kann natürlich nicht befriedigen. Wir brauchen also eine Anhebung des Niveaus, und als Zweites, was wir auch finden, es gibt enorme Streuung, also es ist nicht egal, in welcher Kita ein Kind ist. Nicht alle haben in diesem mittleren Bereich die Qualität verortet, sondern es gibt leider nur sehr wenige, unter zehn Prozent, gute bis sehr gute Kitas, und es gibt rund zehn Prozent mit unzureichender Qualität. Und besonders Letzteres ist, wenn man an die Entwicklungschancen der Kinder denkt, nicht haltbar. Wir brauchen Informationen über die Qualität. Wir haben quantitative Informationen, aber es gibt keine verlässlichen Daten über die Qualität der Einrichtung, kein Jugendamt weiß das, kein großer Träger weiß es wirklich, deswegen fordern wir ein sogenanntes Qualitäts-Monitoring, sprich also, eine Dauerbeobachtung des Systems, damit man weiß, wo steht das System, wo bewegt es sich hin, von Jahr zu Jahr, wo sind besondere Stärken, wo sind aber auch Schwächen, und wohin lenken wir die Ressourcen für Qualitätsverbesserungen als erstes. Und schließlich ist es der Steuerzahler, für den die Rechenschaftspflicht der Einrichtung oder der Träger gilt, damit er sicher ist, hier wird wirklich das aus dem Geld gemacht, wofür wir es ausgeben.
Schulz: Haben denn Eltern überhaupt die Möglichkeit, sich nach solchen Qualitätskriterien zu richten? Ist man dann da nicht irgendwie auf die Kita angewiesen, die in der direkten Nähe liegt?
Tietze: Ja, das ist in der Tat so, im Kinder- und Jugendhilferecht ist ja ein Wunsch-und Wahlrecht der Eltern vorgesehen. Unter realen Bedingungen haben Eltern – viele Eltern – allerdings überhaupt nicht diese Möglichkeit, wenn es nur einen Anbieter gibt, dann muss man nehmen, was da ist. Solange also Kita-Plätze Mangelware sind, haben Eltern sowieso kaum ein Wahlrecht, sondern wir müssen dazu kommen, dass in den städtischen Gebieten zumindest ein Wahlrecht da ist, und dann aber auch, dass die einzelnen Einrichtungen, dass jede Einrichtung sich im Grunde einer Qualitätsprüfung also stellt, damit Eltern sicher sein können, die Einrichtung, in die ich mein Kind also schicke und schicken muss, weil es keine Alternative in der Region gibt, die erfüllt also die Bedingungen hinreichend hoher Qualität.
Schulz: Sie haben vorhin eine breite Streuung angesprochen in einer großen Spannbreite in der Qualität. Droht hier im Bereich frühkindlicher Pädagogik die nächste Keimzelle für Bildungsungerechtigkeit in Deutschland?
Tietze: Die ist mit Sicherheit gegeben. Wir haben ja jetzt auch schon die Situation, dass die Plätze für jüngere Kinder fortwährend von Mittelschicht-Eltern in Anspruch genommen werden, bei Platzknappheit ist das die Gruppe, die sich am besten durchsetzen kann. Die machen also eine große Klientel aus, und was wir in der Nubbek-Studie beispielsweise gefunden haben, dass Kinder aus eher bildungsfernen Elternhäusern und auch besonders Kinder mit Migrationshintergrund deutlich später in eine Kita kommen, obwohl gerade bei der letzten Gruppe es sehr angezeigt wäre wegen der Sprachförderung.
Schulz: Gleich da die Nachfrage ist: Eine Maßnahme wie das Betreuungsgeld, macht das die Situation nicht noch prekärer?
Tietze: Wir haben in unserer Studie als eine der Schlussfolgerungen den Satz geprägt, dass alle politischen Maßnahmen, die gerade darauf gerichtet sind, dass gerade diese Kinder nicht die Chance haben oder erst verspätet reinkommen, dass man solche politischen Maßnahmen unterlassen sollte.
Schulz: Kommen wir noch ganz kurz auf die Ausbildung im Erzieherberuf zu sprechen: Brauchen wir da neue Standards?
Tietze: Standards brauchen wir dahin gehend, dass wir stärker die konkreten Handlungskompetenzen, die also jetzt die Absolventinnen und Absolventen mitbringen, also das, was sie tatsächlich tun in der Praxis dann, dass wir diese Handlungskompetenzen stärker zum Maßstab machen, und auch beispielsweise, dass diese Schiene – Lernortpraxis, wie wir es manchmal nennen, neben dem schulischen oder hochschulischen Lernort –, dass wir das also stärken, weil das ist gewissermaßen "the proof of the pudding". Da kommt es dann drauf an: Erreichen wir die Ziele, die Handlungskompetenzen, die wir für nötig erachten?
Schulz: Über die Qualität in der frühkindlichen Betreuung habe ich gesprochen mit Professor Doktor Wolfgang Tietze, Erziehungswissenschaftler an der freien Universität in Berlin. Herr Tietze, vielen Dank für das Gespräch!
Tietze: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Wolfgang Tietze: Ich glaube ja, und zwar aus diesem Grunde, dass nun wirklich jedes Kind diesen Rechtsanspruch hat und nicht mehr wie bisher die Knappheit der Plätze und die Kriterien, die bei den Eltern liegen, die Platzvergabe bestimmen. Ich denke, es ist ein wichtiges Datum, weil jedes Kind ein kleiner Bürger ist, und als solcher diesen Anspruch auf gute Förderung von Anfang an genießen sollte.
Schulz: Jetzt haben Sie in einer Studie, in Ihrer Nubbek-Studie, die Sie im Frühjahr herausgegeben haben, ja ermittelt, dass die Betreuung im Durchschnitt nur mittelmäßiges Niveau hat, und deswegen fordern Sie ein Qualitäts-Monitoring für frühkindliche Pädagogik, also eine Art Stiftung Warentest. Wie muss das aussehen, und wie lässt sich so was umsetzen?
Tietze: In der Tat ist die pädagogische Qualität, und zwar genauer gesagt die Prozessqualität, also die Erfahrungen, die Kinder machen können, die Anregung, die sie bekommen, ja, auch die Angebote, die von der Einrichtung bereitgestellt werden, das bewegt sich im Durchschnitt alles nur in einem mittleren Bereich, wir sagen auch mittelmäßigen Bereich, und das kann natürlich nicht befriedigen. Wir brauchen also eine Anhebung des Niveaus, und als Zweites, was wir auch finden, es gibt enorme Streuung, also es ist nicht egal, in welcher Kita ein Kind ist. Nicht alle haben in diesem mittleren Bereich die Qualität verortet, sondern es gibt leider nur sehr wenige, unter zehn Prozent, gute bis sehr gute Kitas, und es gibt rund zehn Prozent mit unzureichender Qualität. Und besonders Letzteres ist, wenn man an die Entwicklungschancen der Kinder denkt, nicht haltbar. Wir brauchen Informationen über die Qualität. Wir haben quantitative Informationen, aber es gibt keine verlässlichen Daten über die Qualität der Einrichtung, kein Jugendamt weiß das, kein großer Träger weiß es wirklich, deswegen fordern wir ein sogenanntes Qualitäts-Monitoring, sprich also, eine Dauerbeobachtung des Systems, damit man weiß, wo steht das System, wo bewegt es sich hin, von Jahr zu Jahr, wo sind besondere Stärken, wo sind aber auch Schwächen, und wohin lenken wir die Ressourcen für Qualitätsverbesserungen als erstes. Und schließlich ist es der Steuerzahler, für den die Rechenschaftspflicht der Einrichtung oder der Träger gilt, damit er sicher ist, hier wird wirklich das aus dem Geld gemacht, wofür wir es ausgeben.
Schulz: Haben denn Eltern überhaupt die Möglichkeit, sich nach solchen Qualitätskriterien zu richten? Ist man dann da nicht irgendwie auf die Kita angewiesen, die in der direkten Nähe liegt?
Tietze: Ja, das ist in der Tat so, im Kinder- und Jugendhilferecht ist ja ein Wunsch-und Wahlrecht der Eltern vorgesehen. Unter realen Bedingungen haben Eltern – viele Eltern – allerdings überhaupt nicht diese Möglichkeit, wenn es nur einen Anbieter gibt, dann muss man nehmen, was da ist. Solange also Kita-Plätze Mangelware sind, haben Eltern sowieso kaum ein Wahlrecht, sondern wir müssen dazu kommen, dass in den städtischen Gebieten zumindest ein Wahlrecht da ist, und dann aber auch, dass die einzelnen Einrichtungen, dass jede Einrichtung sich im Grunde einer Qualitätsprüfung also stellt, damit Eltern sicher sein können, die Einrichtung, in die ich mein Kind also schicke und schicken muss, weil es keine Alternative in der Region gibt, die erfüllt also die Bedingungen hinreichend hoher Qualität.
Schulz: Sie haben vorhin eine breite Streuung angesprochen in einer großen Spannbreite in der Qualität. Droht hier im Bereich frühkindlicher Pädagogik die nächste Keimzelle für Bildungsungerechtigkeit in Deutschland?
Tietze: Die ist mit Sicherheit gegeben. Wir haben ja jetzt auch schon die Situation, dass die Plätze für jüngere Kinder fortwährend von Mittelschicht-Eltern in Anspruch genommen werden, bei Platzknappheit ist das die Gruppe, die sich am besten durchsetzen kann. Die machen also eine große Klientel aus, und was wir in der Nubbek-Studie beispielsweise gefunden haben, dass Kinder aus eher bildungsfernen Elternhäusern und auch besonders Kinder mit Migrationshintergrund deutlich später in eine Kita kommen, obwohl gerade bei der letzten Gruppe es sehr angezeigt wäre wegen der Sprachförderung.
Schulz: Gleich da die Nachfrage ist: Eine Maßnahme wie das Betreuungsgeld, macht das die Situation nicht noch prekärer?
Tietze: Wir haben in unserer Studie als eine der Schlussfolgerungen den Satz geprägt, dass alle politischen Maßnahmen, die gerade darauf gerichtet sind, dass gerade diese Kinder nicht die Chance haben oder erst verspätet reinkommen, dass man solche politischen Maßnahmen unterlassen sollte.
Schulz: Kommen wir noch ganz kurz auf die Ausbildung im Erzieherberuf zu sprechen: Brauchen wir da neue Standards?
Tietze: Standards brauchen wir dahin gehend, dass wir stärker die konkreten Handlungskompetenzen, die also jetzt die Absolventinnen und Absolventen mitbringen, also das, was sie tatsächlich tun in der Praxis dann, dass wir diese Handlungskompetenzen stärker zum Maßstab machen, und auch beispielsweise, dass diese Schiene – Lernortpraxis, wie wir es manchmal nennen, neben dem schulischen oder hochschulischen Lernort –, dass wir das also stärken, weil das ist gewissermaßen "the proof of the pudding". Da kommt es dann drauf an: Erreichen wir die Ziele, die Handlungskompetenzen, die wir für nötig erachten?
Schulz: Über die Qualität in der frühkindlichen Betreuung habe ich gesprochen mit Professor Doktor Wolfgang Tietze, Erziehungswissenschaftler an der freien Universität in Berlin. Herr Tietze, vielen Dank für das Gespräch!
Tietze: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.