Vermutlich keine andere Plattform hat derzeit in der digitalen Welt einen größeren kulturellen Einfluss als Tiktok. Nach Firmenangaben nutzen mehr als eine Milliarde Menschen die App regelmäßig, scrollen sich durch Kurzvideos oder laden eigene Clips hoch. Nutzer in den USA konnten Tiktok für rund zwölf Stunden nicht erreichen – dann war die App wieder online.
Hintergrund sind Datenschutzbedenken: Die App des chinesischen Bytedance-Konzerns steht unter Spionageverdacht. Behörden befürchten, dass die Volksrepublik China persönliche Daten der Nutzer unter ihre Kontrolle bringen und die öffentliche Meinung manipulieren kann.
Ein US-Gesetz stellt Tiktok deshalb vor die Wahl: Besitzerwechsel oder Abschaltung. Kurz vor Ablauf der Frist deaktivierte Bytedance die App vorsorglich. Doch der Blackout währte nur kurz: Zur Begründung verwiesen die Betreiber der App auf die Zusicherung des künftigen Präsidenten Donald Trump, dass es keine Strafen für US-Dienstleister der Plattform geben soll. Er will das in den USA verhängte Betriebsverbot für die Video-App per Dekret aussetzen.
Inhalt
- Wie gehen die USA gegen Tiktok vor?
- Warum wurde Tiktok erst offline genommen und dann wieder online gestellt?
- Ist Trumps geplantes Dekret überhaupt rechtens?
- Wie sieht es mit dem Datenschutz bei Tiktok aus?
- Was sagt Tiktok zu den Vorwürfen?
- Geht es bei der Diskussion über Tiktok um geopolitische Interessen?
- Wie wird Tiktok in der EU und in Deutschland bewertet?
- Was macht Tiktok so beliebt?
Wie gehen die USA gegen Tiktok vor?
Der Oberste Gerichtshof der USA hat am 17. Januar 2025 ein Gesetz bestätigt, das vom chinesischen Mutterkonzern Bytedance den Verkauf von Tiktok an einen Eigner außerhalb Chinas verlangt. Die Risiken für die nationale Sicherheit durch die Verbindungen der Plattform zu China stünden über den Bedenken über den Schutz der Redefreiheit, urteilten die Richter einstimmig.
Dem Gesetz zufolge muss Bytedance das US-Geschäft binnen 270 Tagen verkaufen, ansonsten wird die Plattform landesweit gesperrt. Das bedeutet etwa, dass die App-Stores von Apple und Google Tiktok nicht mehr anbieten und Internet-Hosting-Dienste die Plattform nicht mehr unterstützen dürfen. Diese Frist lief am 19. Januar 2025 ab.
Tiktok betonte stets, man könne nicht nur einen Teil wie das US-Geschäft verkaufen, weil man dadurch die Plattform aufspalten würde. Bytedance zeigte bisher keine Bereitschaft, über eine Trennung von Tiktok zu sprechen. Laut US-Medienberichten wurde in der chinesischen Regierung aber bereits das Szenario durchgespielt, Tiktok an Tech-Milliardär Elon Musk zu verkaufen.
Warum wurde Tiktok erst offline genommen und dann wieder online gestellt?
Das Tiktok-Aus wurde rückgängig gemacht, weil der zukünftige Präsident Donald Trump eine Fristverlängerung von drei Monaten angekündigt hat. Er versprach, dass es keine Strafen für US-Dienstleister der Plattform geben werde. Außerdem schlug er ein Joint Venture vor. Der US-Staat soll sich demnach mit 50 Prozent an einem Gemeinschaftsunternehmen mit den aktuellen oder neuen Tiktok-Besitzern beteiligen. Auf diese Weise werde man „Tiktok retten und es in guten Händen belassen“.
Trump hat seine Meinung damit komplett geändert: Anfangs hat er das Verbot noch unterstützt, doch Tiktoks Beliebtheit – mit 170 Millionen täglichen Nutzern – und seine eigenen 15 Millionen Follower auf der Plattform könnten ihn umgestimmt haben. Auch wirtschaftliche Interessen spielen eine Rolle, da ein Trump-Spender Anteile an Tiktoks Mutterkonzern Bytedance hält. Mit der Fristverlängerung gewinnt Trump also Zeit, eine Lösung zu finden, ohne die Plattform sofort abschalten zu müssen, und punktet gleichzeitig bei jüngeren Nutzern.
Ist Trumps geplantes Dekret überhaupt rechtens?
Trumps Plan, das in den USA verhängte Verbot für Tiktok per Dekret auszusetzen, ist rechtlich und politisch umstritten. Eigentlich dürfte eine Fristverlängerung nur dann erfolgen, wenn bereits ein Käufer bereitsteht und der Deal kurz vor dem Abschluss steht. Doch solche Verhandlungen gibt es momentan nicht. Tiktoks Mutterkonzern Bytedance hat klar gemacht, dass sie die Plattform nicht verkaufen wollen, und ohne die Zustimmung der chinesischen Regierung wäre ein Verkauf ohnehin schwer umsetzbar.
Neu ins Spiel kommt die KI-Firma Perplexity AI, die Interesse am Kauf des US-Geschäfts von Tiktok gezeigt hat. Das Unternehmen soll bereit sein, sich mit einer 50-prozentigen Beteiligung zufriedenzugeben.
Und: Trumps Vorhaben stößt auch auf politischen Widerstand. Viele Republikaner fordern ein striktes Verbot von Tiktok und kritisieren seine Pläne. Das US-Gesetz wurde außerdem mit überwältigendem Rückhalt angenommen. Es war einer der selten gewordenen Fälle, bei denen die sonst so zerstrittenen Republikaner und Demokraten sich einig werden konnten. US-Politiker betonen immer wieder die Sorge, dass die Kommunistische Partei in Peking Daten von US-Nutzern abgreifen – und die App mit Propaganda fluten könnte. Es bleibt daher fraglich, ob das geplante Dekret rechtlich haltbar ist.
Wie sieht es mit dem Datenschutz bei Tiktok aus?
Dass Tiktok persönliche Daten sammelt und auswertet, ist nichts Ungewöhnliches. So lernt der Algorithmus das Verhalten seiner Nutzer, also welche Videos sie bevorzugen - und spielt sie entsprechend dieser Interessen aus. Und generell gilt: Plattformen, die ihr Geld wie Tiktok mit personalisierter Werbung verdienen, sind an möglichst umfangreichen Informationen über ihre Nutzer interessiert.
Serge Egelman vom International Computer Science Institute der Universität Berkeley gilt als einer der renommiertesten IT-Sicherheitsforscher. Er untersucht die Datensammelpraktiken von Smartphone-Apps. Und er hält die Tiktok-Diskussion für überhitzt. Tiktok verfolge einige Online-Aktivitäten, aber das könnten die meisten Apps. Egelman verweist darauf, dass werbefinanzierte Geschäftsmodelle grundsätzlich darauf ausgelegt sind, die Privatsphäre zu verletzen. „Was Tiktok intern mit den Daten macht, darüber könnte man nur spekulieren. Aber bei den Daten, die sie sammeln, gehen sie nicht über das hinaus, was zum Beispiel Facebook macht.“
Die australisch-amerikanische Cybersicherheitsfirma Internet 2.0 dagegen sieht Tiktok kritischer. Die Datensammlung sei „überdurchschnittlich aufdringlich“ und ermögliche zum Beispiel das Durchsuchen des Gerätespeichers, heißt es in einem Bericht aus dem Jahr 2022. Tiktok weist die Vorwürfe zurück.
Der Jurist David Greene ist Direktor für Bürgerrechte bei der Nichtregierungsorganisation Electronic Frontier Foundation in San Francisco. Sie setzt sich für Datenschutz und freie Meinungsäußerung in der digitalen Welt ein. Greene und seine Organisation schauen ziemlich kritisch auf die Pläne der US-Politik: "Es ist ziemlich sinnlos, Tiktok in den USA zu verbieten, aus Sorge, dass Chinas Regierung an die Daten von US-Nutzern herankommt, wenn die chinesische Regierung derzeit viele US-Nutzerdaten frei von Datenhändlern kaufen kann.” Greenes NGO spricht sich für eine allgemeine Datenschutzreform aus, die alle Social-Media-Plattformen miteinbeziehen würde.
Was sagt Tiktok zu den Vorwürfen?
ByteDance würde Tiktok Medienberichten zufolge eher dichtmachen als verkaufen. Und Tiktok erklärte, eine internationale Firma mit Hauptsitzen in Singapur und Los Angeles zu sein. Tiktok selbst betonte bereits 2023, dass weder man selbst, noch der Mutterkonzern Bytedance ein chinesisches Unternehmen sei. Das ist formal korrekt, denn die Bytedance-Firmenholding ist auf den Cayman-Inseln registriert, die internationale Zentrale liegt in Singapur. Die nach Angaben der deutschen Bundesregierung wichtigste Bytedance-Unternehmenseinheit sitzt aber in Peking: Sie betreibt mit Douyin einen Tiktok-Zwilling, der den Zensurwünschen und inhaltlichen Vorgaben der chinesischen Führung folgt. Tiktok selbst ist in der Volksrepublik nicht verfügbar.
Tiktok versprach, die amerikanischen Nutzerdaten nur noch in den USA zu speichern. Der US-Cloudanbieter Oracle soll die Daten speichern, Änderungen am Quellcode überwachen und auch den Datenfluss kontrollieren.
Geht es bei der Diskussion über Tiktok um geopolitische Interessen?
Trotz aller Beteuerungen des Unternehmens: Im Westen ist das politische Misstrauen gegenüber Tiktok in dem Maße gewachsen, wie der geopolitische Konflikt mit China an Schärfe zugenommen hat. In dem Licht sei auch die Entscheidung der EU zu betrachten, Tiktok auf Diensthandys von Beamten der EU-Kommission zu verbieten, sagt Julian Ringhof, Forscher am European Council on Foreign Relations.
Je schärfer der Konflikt mit Peking wird, desto geringer dürfte die Toleranz für ein aus China stammendes Milliardenunternehmen ausfallen, dessen Video-App in den USA und Europa fast 300 Millionen Menschen regelmäßig nutzen.
Der Tiktok-Mutterkonzern Bytedance wurde in China gegründet. Mittlerweile hat er internationale Investoren. "Es ist aber auch so, dass ein Großteil der Algorithmenentwicklung in China stattfindet, dass die Firma keine Chance hat, in China aktiv zu sein, wenn sie nicht von der Partei geduldet ist", sagt Antonia Hmaidi, Senior Analyst beim Mercator Institute for China Studies in Berlin. Für sie ist klar: Die chinesische Regierung sei der Ansicht, dass sie bei ByteDance Kontrolle ausübt.
Immer wieder gibt es den Vorwurf, dass Chinas Regierung auch bei Tiktok inhaltlich Einfluss nimmt, zum Beispiel, indem kritische Begriffe nicht prominent ausgespielt werden.
Wie wird Tiktok in der EU und in Deutschland bewertet?
In der EU wird Tiktok mit dem Gesetz über digitale Dienste als besonders große Plattform von der Kommission direkt kontrolliert. Es laufen bereits zwei Verfahren. In Deutschland war lange vor allem die AfD auf Tiktok aktiv und baute eine große Reichweite auf. Vor der Europawahl und den Landtagswahlen in Ostdeutschland begannen jedoch auch die anderen Parteien, Tiktok verstärkt zu nutzen.
Auch Mitglieder der Bundesregierung eröffneten ein Konto. Ein Regierungssprecher betont, auf Plattformen wie Tiktok aktiv zu sein, bedeute gerade nicht, sich mit der Geschäfts- und Datenschutzpraxis der Unternehmen einverstanden zu erklären.
Was macht Tiktok so beliebt?
"Bei Tiktok ist man quasi direkt mittendrin ab Sekunde eins. Ich muss niemandem folgen. Ich krieg hier Videos und wenn ich nach oben wische, kommt das nächste Video", sagt Marcus Bösch, Kommunikationswissenschaftler von der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg. "Das ist quasi wie ein fertig eingerichteter Riesenfernseher mit hunderttausend Kanälen, der, während ich ihn nutze, auch noch das Programm anpasst. Und dann sieht man Dinge, die man da nicht erwartet hat, von denen man vielleicht nicht einmal wusste, dass sie einen interessieren. Und das macht diesen Reiz aus, der ein bisschen auch was hat von einer Slot Machine."
Bösch vergleicht Tiktok mit einem Spielautomaten: Was als nächstes kommt in der App, könnte noch einmal interessanter sein. Verantwortlich ist ein ausgeklügelter Empfehlungsalgorithmus. Und der sorgt mit dafür, dass Tiktok sehr lange genutzt wird.
tei, irs