Die Lebenskämpfe, Komplexe und Kompliziertheiten der Manns sind den Literaturinteressierten nach zahlreichen Biographien, populären Familienaufstellungen und TV-Doku-Dramen inzwischen so geläufig wie den Boulevardblattlesern die Intrigen und Intimitäten im Hause Windsor. Schon sich selbst ist die repräsentative Familie beizeiten mythisch geworden; sie wussten, eines Tages würden "sehr interessante Broschüren" über sie geschrieben werden, wie Klaus Mann kokett formulierte. Als ein britischer Journalist das Wort von der "amazing family" prägte, übernahmen sie es gern, fanden aber nicht, dass damit etwas Neues gesagt sei.
Ja, bisweilen scheint es, als sei die Familie Mann selbst bereits eine Art höheres Boulevardtheater gewesen, wo man sich die Zitate und Denkwürdigkeiten für die Zukunft nur so um die Ohren warf. Und was die erstaunlich verständnisvoll hingenommenen Exzesse und Unarten der Kinder betrifft, die in anderen Familien zu tiefen Verwerfungen geführt hätten – vielleicht war man im Haus Mann ja insgeheim schon überzeugt, dass in einer "amazing family" mit anderen Maßstäben gemessen werden muss. Deshalb nahm man es auch mit der Wahrheit nicht immer ganz genau, wenn eine gute Familienlegende zu erzählen war. Wie die über Erika Manns tollkühne Rettung des Manuskripts von "Joseph und seine Brüder". Im Sommer 1933 kehrt sie in geheimer Mission zurück ins Reich des Bösen:
Dieser Biograph lässt sich nichts vormachen
"Sie schleicht sich nachts vorbei an den Nazi-Wachen ins Elternhaus, greift sich die Manuskripte des Vaters zu seinem Joseph-Roman und entkommt, obwohl die Straßen voll von Nationalsozialisten sind, "den Hut tief in die Stirn gezogen, in einen weiten Regenmantel gehüllt." Das dicke Manuskript versteckt sie im Auto beim öligen Werkzeug unter dem Sitz und schafft es glücklich über die Grenze. Thomas Mann rühmt die heldenhafte Tat seiner Tochter später öffentlich, mancher Forscher übernimmt sie, und ihr Bruder Golo schreibt in seinen "Erinnerungen": von allen ihren Lebensleistungen wohl die bedeutendste. Problem nur: Alles falsch, ausgedacht, erlogen. Eine Mann’sche Legende, eine von nicht wenigen – und die meisten erfand Erika. Vermutlich wurde sie so oft erzählt, bis die eigene Familie daran glaubte. In Wirklichkeit nimmt Erika Mann die Manuskripte zum "Joseph" bereits im März 1933 mit in die Emigration. Thomas Mann begrüßt am 15. März Tochter und Schriften in seinem Tagebuch."
Man sieht: Dieser Biograph lässt sich nichts vormachen, viele Mythen der Manns (oder über sie) kommen bei ihm auf den Prüfstand. Tilmann Lahme hat sich lange mit den Manns und ihren Werken beschäftigt, hat Schriften Golo Manns herausgegeben und eine viel beachtete Biographie über ihn geschrieben. Seine Familienchronik lässt er erst im Jahr 1922 beginnen, Thomas Mann ist da bereits 47 Jahre alt. Er wartet also, bis die ältesten Geschwister Klaus und Erika biografisch relevante Akteure werden.
Klaus beginnt noch als Internatsschüler, dem Vater schriftstellernd nachzueifern und zu konkurrieren; Novellen entstehen, halb unreif, halb frühreif, für die sich dank seines Namens und des erhofften Skandalwertes aber schnell Verlage finden. Der junge Mann erregt Aufsehen. Nur: Wo der Vater sich in Ironie erhebt, da stapft der Sohn in Schwulst. Wo Thomas Mann sich mit Andeutungen und Hintergründigkeiten begnügt, da ergeht sich der offen homosexuelle Klaus in einer Hier-komm-ich-Bekenntnislust, die die Familie erstaunlich wenig in Verlegenheit setzt, mag die Kritik auch höhnen, der Debütroman "Der fromme Tanz" erinnere an ein "geplatztes Kloakenrohr". Kurt Tucholsky spottet, Klaus Mann sei "von Beruf jung" und von ihm solle "in einer ernsthaften Buchkritik nicht die Rede sein". Mit der Emigration 1933 aber gewinnt Klaus Mann erheblich an Statur.
Wie lässt sich von acht Menschen möglichst gleichzeitig erzählen?
"Dem auch vor 1933 schon ständig Reisenden, der in den Großstädten der Welt zuhause ist, der in Hotels lebt und nie in seinem Leben für längere Zeit eine eigene Wohnung haben wird, fällt der Abschied von der Heimat leichter als dem in Deutschland verwurzelten Vater oder auch dem Bruder Golo. Er braucht kaum Zeit, um sich neu zu orientieren. Eine Zeitschrift will er gründen, die literarisch und politisch zugleich sein soll, eine "Sammlung" großer deutscher Emigranten und europäischer Intellektueller. (…) Alles zusammengetragen, organisiert und redaktionell betreut von Klaus Mann, mit einer Akribie, einem Organisationsfleiß und einem kritischen Sinn für Qualität, der so gar nicht zu seinem hastigen und sich verströmenden Leben zu passen scheint. "Die Sammlung": Klaus Manns wohl größte Lebensleistung. Seine Ausbürgerung aus dem Deutschland Hitlers im November 1934 hat er sich redlich verdient."
Wie lässt sich von acht Menschen, Thomas und Katia Mann und ihren sechs Kindern, möglichst gleichzeitig erzählen? Um diese biografische Parallelaktion zu bewerkstelligen, hat Lahme die Form einer Chronik gewählt, die ständig die Bezugsperson wechselt, oft mehrfach auf einer Seite, und von Jahr zu Jahr voranschreitet, bis zum Tod Elisabeth Mann Borgeses 2002. Immer dicht an den Quellen entlang, ohne längere ausschmückende Passagen, ohne biografische Kulissenschieberei. Das wirkt anfangs etwas additiv, ohne den großen erzählerischen Schwung, dann gewinnt man immer mehr Gefallen an der Lakonie dieses Verfahrens und an den auf diese Weise sehr deutlich werdenden Gleichzeitigkeiten, Entsprechungen, Gegenläufigkeiten und Zusammenhänge in den Lebensgeschichten. Fast könnte man sagen, dieses Buch sei mit einer Art Split-Screen-Technik geschrieben.
Tilmann Lahme hält sich im Hintergrund – und zugleich die Fäden sicher in der Hand. Aus seiner überragenden Kenntnis von Leben und Werken der Manns wartet er mit knappen, aber pointierten Kommentaren auf. Da er die bisher unveröffentlichte Familienkorrespondenz ausgewertet hat, gibt es zudem viele Details und Episoden, die unvertraut oder gar neu sind, recht krasse Geschichten zum Teil, etwa über die erotischen Sehnsüchte und Enttäuschungen Golo Manns:
"Zu Ostern ist ein neuer Schüler ins Internat gekommen, Roland H., ein Professorensohn aus Heidelberg. Golo Mann, siebzehn Jahre alt, verliebt sich in den Neuen. Sie freunden sich an, halten heimlich Händchen, und in den Sommerferien darf Golo, während die Eltern im Urlaub sind, den Freund mit ins Elternhaus nach München bringen. Dort zeigt sich, dass Roland weit weniger Hemmungen hat als sein Gastgeber. Er will Sex. Das geht dem schüchternen Golo zu schnell, also besorgt sich Roland Ersatz. Er holt einen jungen Mann vom Münchner Straßenstrich. Im Haus der Familie Mann haben die beiden Sex im Schlafzimmer Thomas Manns, während der Sohn Golo vor der Tür wartet, enttäuscht und angeekelt. Fortan will er mit Roland nichts mehr zu tun haben. Über seinen "ersten Freund", den er als "geile Null entlarven musste", kommt Golo nur schwer hinweg."
Einige überstrapazierte Klischees zerfallen
Diese Familiengeschichte ist auch eine fulminante Komödie der Modernität. Das althergebrachte patriarchale Familienmodell wird von der neuen Zeit kräftig durchgerüttelt – von den politischen Kämpfen, von einer durch das Exil erzwungenen globalisierten Lebensweise, von Unmengen Drogen und Tabletten sowie von Homo- und Bisexualität jeder Spielart, schwärmerisch ins Werk sublimiert bei Thomas Mann, schüchtern ausgelebt bei Golo und hardcoremäßig zelebriert bei Klaus Mann, der seine Liebhaber gegebenenfalls von der Straße oder vom Schwulenstrich holt wie Golos rabiater Roland und dabei nicht nur einmal an Männer gerät, die ihn ausrauben, verprügeln oder mit Syphilis anstecken. Kurios sind die Euphemismen und Diminutive für Drogen, die zum familieninternen Mann-Sprech gehören. Der Mutter gilt die schwere Morphin-Abhängigkeit von Klaus als "kleinbürgerliches Laster". Was dann ein großbürgerliches wäre, möchte man lieber nicht wissen. Erika, Klaus, Golo, Michael, Thomas Mann – sie alle finden in den Schlaf mit Beruhigungs- und in den Tag mit Aufputschmitteln; vor öffentlichen Auftritten wird sowieso etwas genommen, um die Nerven ruhig und die Laune spritzig zu machen. "Heiterlis" nennen sie solche Pillen.
Ein Verdienst dieses Buches ist es, dass einige überstrapazierte Klischees bei der Lektüre zerfallen: Etwa das Klischee vom angeblich so eiseskalten Schriftsteller und Familientyrannen Thomas Mann, der seine Angehörigen allesamt zu Opfern gemacht habe. Umgekehrt muss man nun fragen: Wie hat es Thomas Mann geschafft, mit sechs hoch komplizierten Kindern, die viel Aufmerksamkeit und erhebliche Summen Geldes fordern, die ihre Marotten, Neurosen und Süchte pflegen, die vom Namen des Vaters zehren und die Vorteile der Berühmtheit nutzen, um sich dann mimosenhaft zu beschweren, dass sie nicht aus dem übermächtigem Schatten des Alten kämen – wie, fragt man sich, hat Thomas Mann es geschafft, mitten in diesem Familienzirkus ein umfangreiches Lebenswerk zu verfassen? Es ist beinah ein Wunder – und dieses Wunder heißt Katia Mann. Sie, die Leiterin des Familienstellwerks, die Herrin über Haushalt, Finanzen und Dienstpersonal, ist die diskrete Heldin dieser Familienbiographie.
"Die Familie Mann zu steuern ist keine leichte Aufgabe. Im Jahr 1941 ist sie noch schwerer als sonst, und die starke und resolute Katia Mann gerät an die Grenze ihrer Belastbarkeit. Die Bedürfnisse des sensiblen, ganz auf sein Werk orientierten Thomas Mann auf der einen Seite, der in keiner praktischen Frage eine Hilfe ist, der den Lieferboten mit den gereinigten Anzügen bei der Abwesenheit seiner Frau wegschicken muss, weil er nicht weiß, wo er im Haus Geld finden kann; die vielen Kinder mit all ihren Problemen auf der anderen Seite. (…) Der Schutz seines Arbeitsfriedens ist nach wie vor eines der zentralen Gesetze seines Hauses, von Katia Mann streng bewacht. Ein persönlicher Anruf von Präsident Roosevelt, der Ausbruch des Weltkriegs, ein zweiter Literaturnobelpreis: Etwas dieser Kategorie wäre notwendig, um den Vormittag, den Thomas Mann seit je, wenn irgend möglich, am Werk arbeitet, zu unterbrechen."
Monika Mann kann einem fast leidtun
Spannend sind die Ausführungen zu den Finanzen der Familie. Als die Weimarer Republik 1929 von Börsenkrach und schwerer Wirtschaftskrise getroffen wird, machen die Manns im Kontrast ein sattes Plus: Nobelpreis und Millionenauflage der "Buddenbrooks" als Taschenbuch. Im amerikanischen Exil ist es die Mäzenatin und Mann-Verehrerin Agnes E. Meyer, die regelmäßig für großzügige Zuwendungen und gut dotierte, mit wenig Arbeitsaufwand verbundene Gastprofessuren sorgt, die auch den in Kriegszeiten riskanten Hausbau in Pacific Palisades unterstützt. Ihre hymnischen Rezensionen in der Washington Post, deren Herausgeber ihr Mann Eugene Meyer ist, tragen bei zu den hohen Auflagen der Josephsromane in den Vereinigten Staaten. So viel Begünstigung ist offenbar schwer zu ertragen – und die Manns lästern nach Kräften über die angeblich zudringliche Multimillionärin, die sich wohl gar eine Liebesaffäre mit dem Vater erhoffe. Nicht nur Thomas Mann, auch Erika, Klaus und Elisabeth scheuen sich nicht, immer wieder dreiste Bitt- und Bettelbriefe an die Meyer zu schreiben, die den Kindern des Autors dann auch nicht ganz grundlos einen "vampyrischen Charakter" bescheinigt, was Thomas Mann verstimmt. Er holt zu einer Verteidigung seiner Lieben aus, lobt Golos Genügsamkeit, Michaels musikalische Anstrengungen und fährt fort:
"Beim Gedanken an Erika geht mir einfach das Herz auf, Klaus ist zum mindesten rührend, Elisabeth leistet das Menschenmögliche, und nur Moni tut freilich nichts."
Monika Mann, fast kann sie einem leidtun. Das Problemkind unter den Problemkindern zitiert Lahme immer wieder mit Schreibversuchen, die sich im Kontext dieser Literaturfamilie dilettantisch ausnehmen – ein etwas hinterhältiger Running Gag. Immerhin, ein Jahr nach dem Tod Thomas Manns veröffentlicht Monika – parallel mit Erikas Manns Bericht über das "letzte Jahr" des Vaters – ihre Autobiographie, und sie wird von der Kritik freundlicher aufgenommen als das Buch Erikas, die deswegen sehr verdrossen ist. Es stehen auch wirklich Sätze darin, die nicht länger nur merkwürdig, sondern bemerkenswert sind. Thomas Mann habe eine starke elementare Kraft gehabt, schreibt Monika und fährt fort: "Wenn er friert, macht er nicht 'brr!' und schüttelt sich, aber es wird sehr kalt ringsumher."
Ein anderer Running Gag sind die notorischen Geldbitten Michael Manns. Der Jüngste, den Thomas Mann nicht gut leiden kann, wird im Gegenzug verhätschelt von der Mutter. Er kann sich alles erlauben, und so lesen sich auch seine Briefe, die Lahme mit Genuss bei jeder Gelegenheit einmontiert, etwa eine endlose und sehr exquisite Weihnachtswunschliste im Krisenjahr 1938. Michaels übliche "Wie-konnte-mir-das-nur-passieren-Briefe" berichten meist über unerwartete Ausgaben, die Mutter doch bitte schnell begleichen möge, etwa für einen reparaturanfälligen Bugatti, ein ganz "liebes Wägelchen", wie er schreibt. Und natürlich für den besten und teuersten Musikunterricht, dank dessen er "ein recht guter Geiger" zu werden verspreche, "recht" im Brief kursiv gedruckt – als sei "recht gut" die Steigerungsform von gut. Man muss öfter lachen bei den Briefen dieses Pumpgenies.
Erika Mann bekommt von Lahme eine kalte kritische Dusche
Eine gute Komödie zeigt innere Widersprüche, verdeckte Motive, überhöhte Ansprüche, merkwürdige Ritualisierungen, zeigt Fettnäpfchen, Fallstricke, Vergeblichkeiten und Fehlleistungen – aber sie macht sich nicht bloß über die Figuren lustig. Das gilt auch für Lahmes Darstellung, die den Manns keine Selbststilisierung ungeprüft durchgehen lässt, jede Existenz auf hohle Stellen abklopft, aber niemals den Respekt verliert. Erika Mann – wie viel Charme, Witz, Liebenswürdigkeit besitzt sie, mit wie viel Unermüdlichkeit und Elan stürzt sie sich in immer neue Projekte, sei es als politische Kabarettistin der "Pfeffermühle" oder als Vortragsrednerin, um die kriegsunwilligen Amerikaner zu mobilisieren. Aber auch: wie viel Arroganz, Ungeduld und Hass. Und ihr Buch "Zehn Millionen Kinder" – sehr erfolgreich und noch heute im Rang eines "klassischen Dokumentes der Zeitgeschichte" – bekommt von Lahme eine kalte kritische Dusche:
"Im Jahr 1938 schreibt sie ein Buch über die Erziehung in Hitlers Staat; eine ungemein geschickte Mischung aus dokumentarischem Material, journalistischem Zugang und Propaganda gegen das Böse, und das alles auf amerikanische Bedürfnisse zugeschnitten: Unterhaltsam, pathetisch, eindeutig in der Grundaussage, dabei mit vielen persönlichen Schicksalen und Anekdoten versehen, die allesamt so einwandfrei didaktisch aufgehen, dass die meisten Erika Manns blühender Fantasie entstammen dürften. Als Analyse dessen, was im 'Alltag des Dritten Reiches' geschieht, ist das Buch kaum tauglich – woher sollte sie das auch wissen? Es ist ja gerade das Grundproblem der deutschen Emigranten, dass sie kaum Informationen darüber besitzen, was in der alten Heimat vor sich geht."
Überhaupt die Politik – sie bestimmt die Jahrzehnte, ihr ist nicht zu entkommen, Thomas Mann schreibt viele Betrachtungen eines Politisierten, und er macht es erstaunlich gut. Seine mutige "Deutsche Ansprache" im Jahr 1930 ist eine der tiefgründigsten frühen Analysen des Nationalsozialismus, sein Essay "Bruder Hitler" eine geniale biographisch-psychologische Tiefenbohrung – der "Führer" als Alter Ego des Künstlers, ein verhunztes Genie, eine beschämende Verwandtschaft. Auch Tilmann Lahme erweist diesen Leistungen Respekt. Der Naivität bezichtigt er Thomas und Erika Mann aber, wenn sie im Lauf der Jahre zur Verharmlosung des realen Kommunismus und zu Verschwörungstheorien über die angeblich kurz vor dem Faschismus stehenden Vereinigten Staaten tendieren. 1942, gerade ist die 500-Quadratmeter-Villa in Pacific Palisades bezugsfertig geworden, schreibt Thomas Mann im Tagebuch, dass er "die Weltrevolution" nicht fürchte, sich der Diktatur des Kommunismus vielmehr "beinah mit Freude unterwerfen" würde. Breit inszeniert Lahme den Gegensatz zwischen dem klug abwägenden, die politisch-geschichtlichen Vorgänge stets kompetent beurteilenden Golo Mann und dem politisch vor sich hin dilettierenden Vater.
Tatsachen sprechen für sich
Zurück zur Literatur. Ende der 30er-Jahre schreibt Thomas Mann "Lotte in Weimar", eine Komödie in Romanform, die die Söhne nicht immer lustig finden.
"Thomas Mann trägt im Familienkreis aus seinem Goethe-Roman vor … Er hat Goethes Sohn mit Merkmalen der historischen Person, aber auch mit Charakterzügen seiner eigenen drei Söhne versehen: Die alkoholischen Exzesse erinnern an Michael, die Flatterhaftigkeit an Klaus, das Unliebenswürdige, Ungeschickte an Golo. Und die Grundkonstellation an das Verhältnis aller drei zu ihm selbst: "Der Sohn eines Großen", heißt es im Roman, "ein hohes Glück, eine schätzbare Annehmlichkeit und eine drückende Last, eine dauernde Entwürdigung der eigenen Selbstheit doch auch wieder." Den Söhnen entgehen die Analogien nicht. "Ein gewisses leichtes Gefühl der Peinlichkeit", notiert sich Klaus Mann im Tagebuch. Golo Mann schreibt einem Freund später, der Vater "spielte" in dieser Zeit "ein bisschen August von Goethe mit mir".
Gebrochene, widersprüchliche Charaktere sind sie alle, die Kinder des "Zauberers". Aber bei allen Beschwerden über den Vater – er hat für ihr lebenslanges Auskommen gesorgt. Die posthumen Autorenhonorare trugen jedem von ihnen jährlich das Mehrfache eines Professorengehalts ein.
Der Biograph lässt die Tatsachen für sich sprechen. Soll heißen: Die Tatsachen sprechen nicht nur für sich selbst, sondern sie sprechen auch im Sinn Tilmann Lahmes, einem klugen Arrangeur, der seine Meinungen und Interpretationen oft indirekt vermittelt, allein schon durch die Auswahl der Zitate und ihre Kontextualisierung. "Die Manns – Geschichte einer Familie" gehört zum Besten, Verlässlichsten und Unterhaltsamsten, was man über die "amazing family" lesen kann.
Tilmann Lahme: Die Manns, Geschichte einer Familie. S. Fischer Verlag, 24,99 Euro.