Timtschenko erklärte, seit 2004 seien Wahlen in Russland immer wieder gefälscht worden. Die Zahlen, die veröffentlicht werden, seien nichts Anderes als der Ausdruck einer "kranken Fantasie" der Machthabenden. Zudem gebe es immer mehr zwielichtige Methoden, die angewandt würden. "Jahr für Jahr lässt man sich etwas Neues einfallen, damit am Ende die Zahlen stimmen und gefallen", sagte Timtschenko.
Als Beispiel nannte die Journalistin, dass die russische Wahlkommission die Bevölkerungszahl im besetzten ukrainischen Gebiet Donezk, in dem ebenfalls Pseudowahlen abgehalten werden, trotz vielen Toten und Geflüchteten genauso hoch angibt wie vor dem Kriegsausbruch. Das zeige bereits die Art und Weise, wie Fälschungen angestrebt und umgesetzt würden.
"Menschen in Russland fürchten Repressionen"
Timtschenko betonte, dass Staatspräsident Putin nicht von der großen Masse der Menschen in Russland unterstützt werde. Zum einen seien die Umfrageergebnisse in einem totalitären Staat wie Russland nicht real. Zum anderen wagten es die Menschen nicht, ihre Meinung zu sagen, weil die Repressionen in einem Ausmaß erfolgten, "wie es sich Menschen im Westen wahrscheinlich nur schwerlich vorstellen können". Selbst die Äußerung "Nein zum Krieg" werde in Russland mit langen Gefängnisstrafen bestraft. "Die Menschen haben Angst um ihr Leben. Sie haben Angst, ihre Freiheit zu riskieren für diese wenigen Worte."
Timtschenko arbeitet seit 2014 von Riga aus, nachdem sie aus Moskau fliehen musste, weil sie wegen ihrer kritischen Berichterstattung über den Krieg in der Ostukraine Repressionen fürchten musste.
"Die Ukraine ist das Schutzschild Europas"
Timtschenko unterstrich die Bedeutung der Ukraine als "Schutzschild Europas". Wenn Putin diesen Krieg gewinnen sollte, werde er nicht Halt machen. Er habe Ambitionen, die weit über die Grenzen der Ukraine hinausgingen. Putin sei die größte Gefahr, die die Welt derzeit kenne, sagte Timtschenko. "Wenn es den USA und Europa nicht gelingt, so wie seinerzeit in den 1940er Jahren, eine einheitliche Front aufzubauen, dann wird das ganze Europa einer großen Gefahr ausgesetzt sein." Die europäische Union müsse schnell handeln, sonst werde der Krieg sich über ganz Europa erstrecken - und zwar über eine sehr lange Zeit. Timtschenko verwies auf diverse Quellen aus dem Kreml, die ebenfalls diesen Schluss nahelegten.
Eine echte Veränderung in Russland kann ihrer Ansicht nach nur innenpolitisch erfolgen. "Wenn sich in Russland etwas tun soll, dann kann das nur von innen heraus geschehen. Von außen wird keiner derartig Einfluss nehmen können." Für die russische Opposition im Ausland sehe sie die Aufgabe, eine neue ideologische Grundlage zu schaffen für die Veränderungen im Land.
Putin steht zur Wiederwahl, oppositionelle Kandidaten wurden nicht zugelassen
Die Abstimmung in Russland mit seinen elf Zeitzonen soll bis Sonntag dauern. Wahlberechtigt sind laut Kreml rund 114 Millionen Menschen. Eine weitere Amtszeit würde es Putin ermöglichen, bis 2030 zu regieren - länger als jeder andere russische Staatschef vor ihm. Bewerber der Opposition wurden nicht zugelassen. Neben Putin treten drei kremltreue Gegenkandidaten an, die als chancenlos gelten.
Das komplette Interview der Woche mit Galina Timtschenko können Sie im Deutschlandfunk am Sonntag um 11:05 Uhr hören.
Diese Nachricht wurde am 15.03.2024 im Programm Deutschlandfunk gesendet.