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Tincon-Festival für digitale Jugendkultur
"Jugendliche benutzen völlig anderes Internet als Erwachsene"

Nach der "Re:Publica" starten Tanja und Johnny Häusler jetzt die "Tincon" als erstes Festival für digitale Jugendkultur in Berlin. Im Corso-Gespräch erzählen die beiden Festival-Macher, warum das Internet der Jugendlichen nicht mehr das Internet der Erwachsenen ist und wie sie das von ihren eigenen Kindern erst lernen mussten.

Tanja und Johnny Häusler im Corso-Gespräch mit Tanja Runow |
    Immer mit dem Laptop unterwegs: Teilnehmerinnen der Republica in Berlin (Bild: dpa/Britta Pedersen)
    Immer mit dem Laptop unterwegs: Teilnehmerinnen der Republica in Berlin (Bild: dpa/Britta Pedersen) (Britta Pedersen/dpa)
    Tanja Runow: Digitalisierung passiert - aber sie wird zu wenig gestaltet. Unter anderem aus dieser Idee ist einst die "re:publica" entstanden, die Konferenz für "Internet und Gesellschaft", die seit 2007 alljährlich in Berlin stattfindet. Und eben solche Gestalter der Netzkultur zusammenbringt. Bis heute wird sie von den Machern des Blogs "Spreeblick" mitveranstaltet. Und dahinter verbergen sich zwei sehr umtriebige und netzaktive Hauptstädter: Nämlich Tanja und Johnny Häusler. Die nun sagten: Das reicht alles noch nicht. Wir brauchen ein separates Festival für Jugendliche, für digitale Jugendkultur. Vor einem Jahr haben sie die Idee auf der re:publica vorgestellt und jetzt ist es soweit. Heute wird die erste "Teenage-inter-network-convention" kurz "Tincon" eröffnet.
    Tanja Häusler: Zum einen sind die Themen ganz andere. Das Internet ist wild und weit, so wie die Echtwelt auch oder wie die physische Welt auch. Ich glaube die Themen sind nochmal andere. Die re:puplica zeichnet sich ja auch dadurch aus, dass es so ein Get-together ist, also etwas wo man aufeinander trifft, auf Gleichgesinnte trifft und wir haben gedacht, das gönnen wir den Jugendlichen auch, dass sie einfach auch mal unter sich sein dürfen,ohne Erwachsene.
    Johnny Häusler: Und dann sind die Themen an sich so speziell bei Jugendlichen. Die Jugendlichen benutzen wirkliche ein völlig anderes Internet als die Erwachsenen. Das heißt jetzt nicht, dass das nicht gegenseitig auch spannend sein kann, sich das gegenseitig anzuhören, aber, wie Tanja gerade schon gesagt hat, den Jugendlichen mal einen eigenen Raum und eine eigene Bühne zu bieten war das Anliegen.
    Runow: Und wenn ich es richtig verstehe, dann ist ja eines ihrer Kernanliegen, den kreativen, gestalterischen Umgang mit dem Internet zu fördern, also ist es auch so ein bisschen ein Thema, dass das Internet nicht zu so einer Daddelmaschine verkommt?
    T. Häusler: Daddeln ist ja schon aktiv, aber wir möchten, dass nicht nur konsumiert wird, sondern wir möchten gerne, dass sie möglichst aktiv an die Themen herangeführt werden. Das passiert halt im Alltag nicht so oft. Also ich finde schon, es wird viel konsumiert, aber die "Tincon" haben wir, noch anders als die re:puplica auch mit einem klaren Fokus auf Mitmachen, Anfassen, Teilhaben kuratiert. Und das Programm wird folglich nicht einfach nur Sitzen und Zuhören und Zuschauen sein.
    J. Häusler: Insofern ist, glaube ich, ein Teil des Anliegens auch diese gesamte Kultur, also auch Onlinekultur speziell von und für Jugendliche, mal einfach auch als solche zu betrachten. Das was junge Menschen auf Youtube machen oder was sich durch die Meme-Kultur entwickelt hat oder so, dass das wirklich auch betrachtenswerte Kulturformen sind, die ...
    Runow: Ja aber Moment. Das gilt ja vielleicht für Erwachsene, denen man das beibringen muss, aber unter den Jugendlichen untereinander, für die ist das doch gelebte Kultur. Das stellen die doch wahrscheinlich gar nicht in Frage
    J. Häusler: Genau! Aber trotzdem findet das nicht statt und das mal zu betrachten und sich auch damit auseinanderzusetzen und gegebenenfalls dann auch so zu inspirieren und motivieren, dass man vielleicht auch selber mal was auf die Beine stellt - das ist halt das Ziel.
    T. Häusler: Wobei ich sagen muss, es wird natürlich schon abgebildet. Es gibt die Youtube Days, es gibt die Gamescom, es gibt auch politische Veranstaltungen für Jugendliche, die auf das Digitale abzielen. Es gibt die "Jugend Hackt" und Veranstaltungen, wo es dann eher ums Coding geht und bei der "Tincon" ging es uns eher darum, dass wir dachten, wir möchten auch - deswegen Teenage Inter-Network - dass die miteinander bekannt gemacht werden, weil wir glauben oder weil wir wissen, dass natürlich alles irgendwie miteinander vernetzt ist und ich glaube diese Vernetzungsidee steht auch noch dahinter und die würden wir auch gerne abbilden.
    Hypertext-Kultur der Anfangsjahre wird verdrängt
    Runow: Also, es gibt natürlich die ganz berühmten Youtuber, zum Beispiel gibt es viele Leute, die Musik machen und die sich erfolgreich distribuieren im Netz. Haben sie den Eindruck, dass die Jugendlichen diese Leute nicht finden oder dass die noch zu wenig miteinander kommunizieren?
    J. Häusler: Das Spannende ist gerade was wir im Laufe der Arbeit der letzten Jahre herausgefunden haben oder was für mich die wichtigste Erkenntnis war, dass es wirklich so ein ganz anderes Internet ist. Also ich bin zum Beispiel so aufgewachsen mit der Entstehung des World Wide Web, also mit dieser ganzen Hypertext -Kultur - also da ist ein Link, dann klick ich da drauf, dann krieg ich mehr Infos und so - und da stellen wir fest, das ist so eine Herangehensweise und Denkweise, die Jugendliche gar nicht mehr haben. Diese Wichtigkeit von Links ist nicht mehr da, es findet alles in Apps statt, der Browser selber als Tool ist super unwichtig geworden; also der wird natürlich ab und zu mal aufgerufen, wenn man auf Google was sucht oder so, aber Webpages haben einen ganz geringen Stellenwert. Das braucht wirklich Apps, um mit Jugendlichen zu kommunizieren oder um abzubilden, wo diese Kultur stattfindet. Insofern, die finden Inhalte natürlich schon, klar. Aber die sind doch häufig in einem sehr abgeschlossenen Kreis, weswegen diese Vernetzung von verschiedenen Ebenen auf der "Tincon" glaube ich schon ziemlich einmalig ist. Also, dass man mal guckt, was machen eigentlich die anderen.
    T. Häusler: Und dann gibt es die, die teilweise auch in unserem Jugendbeirat sind, die am Anfang gesagt haben: 'Ich weiß gar nicht, ich hab irgendwie mit diesem ganzen Kram überhaupt nichts zu tun, ich bin so undigital und das Internet interessiert mich gar nicht so richtig', was natürlich Quatsch ist, weil in Wirklichkeit sind sie längst knietief drin, sie wissen es bloß nicht, weil im Alltag begegnet es ihnen ständig und natürlich sind Fragen wie Überwachung oder politische Partizipation oder: 'Ich habe mein eigenes Modelabel, wie kriege ich das an die Leute?' All diese Fragen zielen natürlich auch auf das Digitale und deswegen sind die jetzt auch dabei und haben dann begeistert auch mitgemacht, dann auch verstanden: Ah okay, das hat auch für mich eine Bedeutung.
    Runow: Ja jetzt müssen sie mal zwei, drei Beispiele nennen, dieser digitalen Jugendkultur, die uns Erwachsenen allen so völlig fremd ist und die man auf dem Festival erleben kann.
    J. Häusler: Also "Snapchat" ist natürlich im Moment in aller Munde und ich finde das wirklich eines der größten Phänomene zurzeit. Ein ganz, ganz interessantes Tool. Ich glaube, das ist eine Art nächstes "Youtube". Youtube bleibt natürlich Thema, unter anderem auch deswegen, weil zum Beispiel die Problematik der Kommentartonalitäten, die oft unterirdisch ist, nicht nur bei "Youtube", sondern fast überall, auch ein Thema unter den Youtubern ist. WhatsApp muss ich glaube ich nicht erwähnen.
    Runow: Woher wussten sie was die Jugendlichen haben wollen auf diesem Festival?
    J. Häusler: Im Oktober haben wir den großen Workshop gemacht, drei Tage lang mit, glaube ich, zwölf Jugendlichen, die wir richtig befragt haben. Wir haben drei Tage richtig Workshop gemacht - mit Post Its kleben und Clustern und wie man das alles nennt - wo wir tatsächlich abgeklopft haben: Stimmen die Oberthemen, über die wir uns vorher Gedanken gemacht haben, überein mit dem was Jugendliche wollen würden auf so einer Konferenz, die ja Novum ist, die also auch für Jugendliche schwer greifbar war, auch speziell nochmal im Herbst, als wir noch gar nicht soweit waren. Das war sehr spannend, also so Kleinigkeiten, unter anderem, dass der Begriff "Lifestyle" zum Beispiel einer ist - für mich ist das so ein 80er-Jahre Hassbegriff - und Jugendliche fassen alles darunter zusammen, was nicht so richtig wichtig ist, was aber auf der anderen Seite für die Selbstfindung vielleicht dann doch eine Bedeutung hat; also Mode, Sport, diese Sachen fallen unter Lifestyle. Da haben wir die Themen abgeklopft und auch nach Namen gefragt, wenn da Reden sein sollten, wen wünscht ihr euch?
    Youtube-Stars wie Coldmirror und Fynn Kliemann dabei
    Runow: Auf wen seid ihr denn besonders gespannt?
    T. Häusler: Von den Vorschlägen, die von den Jugendlichen kamen. Ich freu mich super auf "Coldmirror", das ist eine legendäre Youtuberin und ich bin superstolz, dass sie tatsächlich zugesagt hat und kommen wird. Die haben sich die Jugendlichen, glaube ich, alle gewünscht, die ist Kult. Das ist so ein Urgestein, eine junge Grande Dame der Youtube-Szene.
    J. Häusler: Dann nenn ich jetzt Fynn Kliemann, den neuen Heimwerker-King, der mit seinen Youtube-Videos die besten Heimwerker-Clips macht, die es eigentlich gibt, finde ich. Es gibt natürlich auch ein paar Erwachsene, die reden, die wir auch vielleicht von der "re:puplica" kennen. Frank Rieger, vom Chaos Computer Club, wird auch da sein.
    Runow: Jetzt hätten sie wahrscheinlich gar keine große Umfrage machen müssen, denn sie kennen viele Themen wahrscheinlich hautnah von Zuhause. Sie haben selber zwei Söhne im Teenager-Alter und sind mit vielen Fragen wahrscheinlich im Alltag konfrontiert, die da besprochen werden. Wie fanden das ihre Söhne, dass ihre Eltern jetzt eine Konferenz veranstalten für sie und ihre Kumpels, sozusagen, damit sie mal miteinander kommunizieren können?
    J. Häusler: Ich glaube, bei unseren Söhnen ist das immer so eine Mischung, dass wir uns selber so für die digitalen Medien interessieren. Manchmal finden sie es toll, weil wenigstens kann man darüber diskutieren und kann sich gegenseitig mal neue interessante Sachen zeigen, und haben dann großes Interesse dran. Andererseits sind sie natürlich manchmal auch genervt.
    T. Häusler: Ich hoffe, dass wird uns nicht schlecht ausgelegt , aber ohne unsere Söhne hätte es die "Tincon" garantiert nicht gegeben. Dieser Einblick, der über die Söhne in dieses junge Netz kam, den fanden wir beide so faszinierend und so spannend, dass wir gedacht haben, okay, das ist echt nochmal eine eigene Welt und die kriegt jetzt mal eine eigen Konferenz.
    J. Häusler: Man liest immer über die Gefahren und das Mobbing und Hatespeech und das ist auch alles da, das ist auch wichtig, da muss man sich auch drüber unterhalten, und Computersucht und die sitzen alle nur davor und spielen. Sind alles Themen, kann und muss man sich drüber unterhalten. Aber wir waren immer wieder begeistert davon, was es für tolles Zeug gibt und dass das, was ja den Großteil des Netzes ausmacht, nämlich die wirklich spannenden, witzigen, verrückten, tollen, interessanten Sachen so wenig abgebildet wird, das hat uns tatsächlich gestört und deswegen die "Tincon".
    Aus dem Festival soll ein digitales Jugendzentrum werden
    Runow: Es gibt ja Pläne über dieses Event hinaus. Sie haben einen Verein gegründet, sie haben den "Tincon Store" eröffnet und ein "Tincon" Haus wollen sie glaube ich auch.
    T. Häusler: Eigentlich finden hier Workshops statt. Also das heißt, das wäre dieser erste Store, und nach dem Haus suche ich tatsächlich. Ich geh immer viel mit meinem Hund spazieren in merkwürdigen Gegenden und mache Fotos und bin auf der Suche: Wo machen wir das digitale Jugendzentrum?
    Runow: Digitales Jugendzentrum stelle ich mir vor wie ein riesiges Internetcafé.
    T. Häusler: Eigentlich haben wir gedacht "Tincon", da ist die Dose drin. Ich kann mir vorstellen, man baut so was aus Containern und man hat tatsächlich ein Studio, Aufnahmestudio für junge angehende Journalisten. Ich hab was für junge Musiker, ich hab was für die Coder. Ich habe eine Dose, wo die jungen Näherinnen oder 3D-Druckerinnen oder was auch immer reinkommt. Ich glaube, das wäre total großartig, wenn man einfach loslegen könnte und wenn es so mühelos dastünde, wie es ja eigentlich ist. Das ist eigentlich so einfach, wir müssen es nur machen.
    Runow: Wir waren beim Haus... Zukunftsmusik. Das Festival ist Realität, es startet heute und jetzt fragen sich wahrscheinlich ganz viele erwachsene Hörer, ob sie eigentlich auch hinkommen dürfen.
    J. Häusler: Das ist so schwierig gewesen. Also: a) haben wir glücklicherweise und dankenswerterweise, worüber wir uns sehr freuen, wirklich schönes Presse-Feedback von vielen Menschen, die gerne von der "Tincon" berichten wollen und das mussten wir auch so ein bisschen eintakten, weil man ja auch nicht so eine Zoosituation will: Da sind die Jugendlichen und drum herum stehen lauter Kameras. Es gab natürlich auch ganz viele Anfragen von Erwachsenen. Deswegen haben wir irgendwann gesagt, okay wir machen es so: Ab Sonntag zwölf Uhr können die Erwachsenen dazu kommen. Eigentlich finde ich es auch ganz hübsch, wenn man zum Abschluss dann nochmal die generationsübergreifende Feier stattfinden lässt.
    Runow: Der Generationendialog auf der "Tincon". Sie haben den Vorteil, sie dürfen rein, ziemlich sicher. Tanja und Johnny Häusler, ich wünsche schöne Tage, viel Erfolg, ein gutes Festival
    T. und J. Häusler: Dankeschön
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.