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Tinnitus statt Genuss

Physik. - Nicht nur wer Straßen mit Pressluftwerkzeug aufstemmt, muss seine Ohren schützen - auch Berufsmusiker setzen ihre Hörorgane enormen Lautstärken aus. Physiker entwickelten jetzt ein System zu ihrem Schutz.

Von Michael Gessat |
    Ohrenbetäubende Attacken auf das Gehör gibt es beileibe nicht nur in Diskotheken oder bei Rockkonzerten. Auch in der klassischen Musik geht es oft ganz ordentlich zur Sache, besonders wenn Komponisten wie Richard Wagner oder Richard Strauss auf dem Spielplan stehen. Und was dann in der Philharmonie oder im Opernhaus beim Zuhörer in der 20. Reihe als ein sattes Forte-Fortissimo ankommt, das ist am Ort der Tonproduktion einfach zuviel des Guten. Ingolf Bork, Akustiker an der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt PTB in Braunschweig:

    "Am gefährlichsten ist natürlich das so genannte "schwere Blech", dazu gehören also die Posaunen und die Trompeten und die Tuben, die erzeugen den größten Schallpegel, und das Gefährliche daran ist, dass die Hauptabstrahlöffnung, also der Schalltrichter, sehr nah bei den Ohren der vor diesen Musikern sitzenden Kollegen ist."

    Die "Heavy-Metal"-Fraktion ist im Orchester immer ganz hinten postiert, und das gibt Anlass zu lebhaften Diskussionen um die Sitzordnung innerhalb von anderen Instrumentengruppen. Zum Beispiel bei den zweiten Violinen. Traditionellerweise besetzen hier nämlich die dienstälteren Musiker die vorderen Stuhlreihen. Und da sind sie dann näher beim Dirigenten, vor allem aber auch weiter weg vom Blech. Doch nicht einmal diese kleine Flucht nach vorn schützt wirklich:

    "Generell gibt es Instrumente wie die Trompete, die sehr stark gebündelt spielen. Das heißt, der Schalldruck wird in erster Linie senkrecht zum Trichter abgestrahlt, und auch die Leute, die da etwas weiter entfernt sitzen, bekommen den vollen Pegel an die Ohren."

    Da hilft nur, was auch vor schnarchenden Bettgenossen schützt: Ohrenstöpsel. Die herkömmlichen aus der Apotheke lassen sich leicht einsetzen und wieder herausziehen, verfälschen aber stark das Frequenzspektrum. Und dann gibt es noch die speziell auf den Gehörgang angepassten so genannten "Otoplastiken" - die dämpfen klangecht, sind aber schwerer zu handhaben. Viele Musiker nutzen beide Formen, und je nach Art und Dauer der lauten Passagen in einem Stück planen sie genau, wann welcher Stöpsel ins Ohr hinein und dann wieder herauskommt. Störend sind die ungeliebten Pfropfen in jedem Fall. Und deshalb will Ingolf Bork lieber den Blechbläsern etwas vor die Nase setzen. Eine regelrechte Schallschutzwand nämlich, zusammengestellt aus Einzelelementen. Die Module sind dabei bewusst simple Konstruktionen: Zwei Seitenteile aus Holz, zwischen denen eine Plexiglasscheibe eingefasst ist. Der untere Bereich der Scheibe ist beidseitig mit Absorbermaterial bedeckt, um Reflektionen zu den Musikern und zum Boden zu vermeiden. Und im oberen Bereich ist das Plexiglas nach vorne hin geneigt:

    "Durch die Abknickung des oberen Teiles dieser Schallschutzschirme, und zwar über den zu schützenden Musiker weg, ergibt sich eine Reflektionsfläche für den Schall der Blechbläser, die an die Decke gerichtet ist. Von der Decke wird der Schall auch wieder weiterverbreitet, der Dirigent hört die Blechbläser genau so gut wie ohne diesen Schallschutzschirm."

    Vor dem Schirm wird es aber erheblich leiser, der Effekt macht je nach Frequenz zehn bis 20dB aus. Das funktioniert übrigens nur, wenn mehrere Einzelelemente vor der Bläserriege lückenlos aneinandergestellt werden, der Schall sucht sich sonst seinen Weg durch die kleinste Ritze. Herkömmliche Schutzschirme, die wie ein transparenter Notenständer vor einzelnen Instrumenten hochgeklappt werden, bringen daher so gut wie nichts. Die PTB-Konstruktion ist übrigens kein Fertigprodukt: Die genaue Bauform, die Höhe und der Winkel des Knicks zum Beispiel, all das muss jeweils an die räumlichen und akustischen Gegebenheiten vor Ort angepasst werden. Aber dafür ist das Material nicht allzu teuer und die Herstellung unkompliziert. Und so könnte jede Bühnenbauwerkstatt "ihrem" Orchester die Schallschutzwand nach Maß anfertigen.