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Titan der Pop-Art

Robert Rauschenberg, der Titan und Erneuerer der amerikanischen Kunst, ist im Alter von 82 Jahren gestorben. Rauschenberg wurde 1925 im texanischen Port Arthur geboren. Früh schon galt er als "Vater der amerikanischen Pop-Art". Bei seiner letzten großen Retrospektive im New Yorker Guggenheim Museum wurde ihm sogar der Rang eines "Picasso der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts" zugewiesen - nicht zu Unrecht.

Von Christiane Vielhaber |
    Vergleichsetiketten für künstlerische Leistungen sind häufig ebenso schnell vergeben wie zu hoch gegriffen. Sei es nun, dass ein Künstler zur Vaterfigur einer ganzen Stilrichtung erklärt oder übereilt in den Olymp genialer Klassiker gehoben wird. Den 1925 im texanischen Port Arthur geborenen Robert Rauschenberg schon früh als den Vater der amerikanischen Popart zu bezeichnen, war jedoch ebenso legitim, wie ihm später den Rang eines "Picasso der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts" zuzuweisen, wie es der Direktor des New Yorker Guggenheim Museums Thomas Krens 1997 aus Anlass der letzten großen Retrospektive getan hat.

    Denn wie Picasso war auch der Amerikaner kein Suchender, sondern ein Finder. Besser sollte man ihn vielleicht einen findigen Kombinierer nennen, denn mit seinen sogenannten Combine paintings revolutionierte er um die Mitte der 50er Jahre nachhaltig das künstlerische Denken in Bildern. Frei nach seinem Motto "Aus ein paar Socken kann man nicht weniger ein Bild machen, wie aus Hölzern, Nägeln, Terpentin, Öl und Leinwand!"

    Es war dies zugleich seine provozierende Antwort auf den damals modischen abstrakten Expressionismus. Diese Malerei erschien ihm zu wirklichkeitsfremd und zu sehr auf schöne Harmonien bedacht. Er setzte vielmehr auf das Disparate, durch das Zusammenbringen von Schrottabfällen und Gebrauchsgegenständen mit malerischen Gesten. Durchaus malerische Effekte erzielte er aber auch durch das Aufbringen von Siebdrucken auf den jeweiligen Bildträger. Als Vorlagen benutze er dabei vorwiegend aktuelle Pressefotos.

    In seinen Kombinationsbildern zitierte Rauschenberg sowohl das Collage-Prinzip von Kurt Schwitters, als auch die dadaistischen Ready-Mades von Marcel Duchamp, als er zum Beispiel ein ramponiertes blaues Fahrradgestänge mit schlaff herabbaumelnder Schlauchwurst kopfüber in den Raum stellte. Und sein künstlerischer Realitätsbegriff entsprach in vielem schon jener französischen Alltags- und Straßenkunst, die dann später als sogenannter Nouveau realisme in die Kunstgeschichte eingegangen ist.

    Gleichwohl hat sich Rauschenberg nie als ein Avantgardekünstler verstanden oder gar theoretischer Vordenker konzeptueller Neuansätze. "Kunst", so sagte er diesbezüglich einmal, "sollte kein Konzept haben. Das ist das einzige Konzept, das für mich durchgängig gegolten hat."

    Er war zeitlebens ein Vollblutkünstler, dem es um nichts anderes ging, als um die pralle, zutiefst barocke Sinnlichkeit von Kunst. Die fehlte ihm denn auch bei den endlosen theoretischen Farbuntersuchungen in der Klasse seines formasketischen Lehrers Josef Albers am berühmten Black-Mountain-College in North Carolina. Sein hintersinniger Protest darauf: ein aus Holz geschnitztes schwarzes Quadrat!

    Noch extremer war dann allerdings seine Reaktion auf eine Zeichnung, die ihm der abstrakt-expressive Malerkollege Willem de Kooning 1953 schenkte. Rauschenberg radierte sie kurzerhand aus und nannte das Blatt schlicht und ergreifend das, was es nun war "Ausradierte de Kooning-Zeichnung".

    Mit Ablehnung hatte er aber zunächst auch selbst zu kämpfen, denn seine gewagten Bildkombinationen sprengten damals den marktgängigen Begriff vom Kunstschönen. Seinen Durchbruch erlebte Rauschenberg dann 1964, als man ihm, als ersten Amerikaner überhaupt, den großen Preis für Malerei auf der Biennale in Venedig zuerkannte.

    Von nun an ging es bergauf! Und zwar nicht klein-klein, sondern immer gleich in großen Serien. Dabei variierte er weniger sein übersichtliches Repertoire an Motiven, sondern vor allem die zumeist schillernden Bildträger, seien es nun Spiegelflächen, Kupfer- oder Messingplatten oder riesige Plexiglasscheiben, hinter denen, ausgelöst durch elektronische Bewegungsmelder, Objekte wie in einem Tiefenraum aufschienen.

    Seine größte Serie war dann das 1984 begonnene sogenannte ROCI-Projekt, das "Rauschenberg Overseas Culture Interchange"-Projekt. Während seiner fünfjährigen globalen Odyssee entstand daraus eine 200-teilige, phantasievoll kombinierte Enzyklopädie der unterschiedlichsten Kulturkreise.

    Der stets lebensbejahende, engagierte Humanist fürchtete nichts mehr, als mit seiner Kunst in eine "Wiederholungsfalle" zu tappen. Gleichwohl war aber das zuweilen seriell anmutende Aufgreifen seiner Lieblingsmotive wie Stühle, Leitern, Räder und Reifen, Uhren, Affen, Hühner oder bekannte Kulturdenkmäler in Bezug auf den schnellen Wiedererkennungswert seinem Ruhm durchaus förderlich. Denn es gibt heute, völlig zu Recht, keine Sammlung von Weltgeltung ohne einen typischen Rauschenberg, egal aus welcher bis zum Schluss vitalen Schaffensphase.

    Unsterblichkeit ist damit zwar nicht garantiert, aber wie sagte schon Büchner so wunderbar: "Auf dass der Tod uns lebend trifft und das Leben uns nicht tot."
    Robert Rauschenberg 'Currents'
    Robert Rauschenberg: "Currents" (AP / Wadsworth Atheneum Museum)