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Titandioxid im Straßenbelag
Pflastersteine für saubere Luft

Die gesetzlichen Grenzwerte für Stickoxide bei Autoabgasen wurden immer schärfer gefasst, um Gesundheitsgefahren einzudämmen. Speziell beschichtete Pflastersteine mit Titandioxid könnten hier auch helfen. Sie fungieren als Photokatalysator. Mithilfe von Sonnenlicht eliminiert das Straßenpflaster dann die Stickoxide.

Von Volker Mrasek |
    Die Pflaststeine auf dem Gehweg in Bottrop
    Sieht so die Zukunft unserer Gehwege aus? (STEAG Power Minderals GmbH)
    "Wir spüren nichts, das in irgendeiner Form besonders wäre."
    "Auch bei mir im Prinzip genau das Gleiche."
    "Vom reinen Gefühl des Laufens her ist das ein Stein, wie man ihn so auch überall anders spüren könnte, wenn man durch eine Fußgängerzone läuft."
    Sebastian Bittrich und Dennis Pannen unterwegs in Bottrop im Ruhrgebiet, an einer verkehrsreichen Straße. Bittrich arbeitet für Innovation City, ein Projekt zur klimafreundlichen Stadterneuerung, Pannen für eine Tochterfirma des Stromkonzerns Steag in Dinslaken. Das Pflaster unter ihren Füßen - scheinbar nichts Ungewöhnliches.
    "Das ist ein klassischer Brötchenstein. Der ist 20 lang, zehn breit, und dann in der Regel im städtischen Bereich auch zehn Zentimeter stark."
    Verwandlung in ungiftiges Nitrat
    Doch die Betonsteine haben es in sich! In ihrer Oberfläche steckt fein verteiltes Titandioxid. Man kennt die Substanz zum Beispiel als Weißpigment in Zahnpasta. Titandioxid wirkt aber auch als Photokatalysator, und das macht man sich hier zunutze: mithilfe von Sonnenlicht eliminiert das Straßenpflaster NOx aus der Stadtluft. Stickoxide. Die Problem-Schadstoffe von Diesel-Pkw. Um sie dreht sich auch der ganze Abgas-Skandal. Der Autoverkehr ist die hier die mit Abstand größte Quelle.
    "An so einem sonnigen Tag wie heute haben wir natürlich viel Licht. Für einen photokatalytischen Prozess natürlich optimal."
    "Und zwar findet eine Reaktion statt, bei der Titandioxid Stickstoffoxide dazu anregt, sich in ungiftiges Nitrat umzuwandeln."
    Passanten fällt höchstens auf, dass der Bürgersteig ungewöhnlich sauber ist. Das liegt an einer weiteren Eigenschaft der Pflastersteine.
    "Das ist eine wasserliebende, wasseranziehende Oberfläche. Regentropfen, die aufprallen, breiten sich sofort aus. Und so können die verschiedenen Schmutzpartikel dann unterspült werden, und die Flächen werden in ihrer natürlichen Selbstreinigung noch unterstützt."
    Auf diese Weise spült der Regen auch das aus den Stickoxiden entstandene Nitrat in den Gulli. Straßenbeläge, die Schadstoffe aus dem Autoverkehr schlucken und unschädlich machen - eine Idee, aus der Realität geworden ist! Dennis Pannen ist der zuständige Produktmanager bei der Tochterfirma der Steag.
    "Es gibt mehrere Hersteller im deutschen Markt, die das Prinzip der Photokatalyse erfolgreich einsetzen."
    Die Pflastersteine auf dem Gehweg in Bottrop - ein Bus fährt vorbei
    Der Traum von der sich selbst säubernden Stadt (STEAG Power Miderals GmbH)
    Nicht nur Bottrop verlegt Pflastersteine, die Stickoxide abbauen. Auch andere Städte probieren sie heute im Kampf gegen Verkehrsemissionen aus. Detmold zum Beispiel. Oder das Smog-geplagte Stuttgart. Und das ist nicht alles.
    "Der ganz normale Kunde, Verbraucher kann einfach in den Baumarkt gehen und schon dort Steine, die veredelt sind, erhalten. Und so im Prinzip auch direkt etwas für die Luftreinhaltung tun. Aber auch der selbstreinigende Effekt wird dann von den Verbrauchern ganz gerne gesehen."
    Umzug ins Bau- und Brennstoff-Labor bei der Tochterfirma der Steag in Dinslaken.
    "Hier läuft gerade ein Versuch." Laborleiter Christian Utermark wirft einen Blick in einen Reaktor aus Plexiglas. Drinnen liegen Pflasterstein-Proben. Drüber hinweg strömt Luft. Sie enthält Stickoxide.
    "Kurz und knapp: Wir sehen hier, ob NOx abgebaut wird oder nicht."
    Natürlich haben das die Hersteller vor der Markteinführung genau überprüft: welche Mengen Stickoxide die Pflastersteine mithilfe ihres Photokatalysators überhaupt wegputzen. Laut Dennis Pannen sind das: "im städtischen Bereich bis zu zwölf Prozent der lokalen Stickoxid-Konzentrationen. Auch die TU Berlin und der TÜV Nord haben uns diese Ergebnisse bestätigt."
    Das sind ganz ordentliche Mengen. Und die Pflastersteine sollen sie über etliche Jahre eliminieren, da das Titandioxid bei der katalytischen Reaktion nicht verbraucht wird. Wobei der Reinigungseffekt an trüben Tagen oder in einem Straßentunnel mit dämmrigem Kunstlicht viel kleiner ausfällt, wie Studien gezeigt haben.
    Auch Hausputz mit Titandioxid-Beschichtung in der Erprobung
    Das Marktpotenzial für Trottoire mit Titandioxid ist jedenfalls größer denn je, seit im vergangenen Jahr alle Übergangsfristen abgelaufen sind. Und Brüssel nun saftige Strafen verhängen kann, wenn Großstädte NOx-Höchstwerte an viel befahrenen Straßen nicht einhalten.
    "Diese Strafzahlungen können bis zu 50.000 Euro pro Tag betragen. Dann ist natürlich die Überlegung, dann auch ein bisschen mehr in solche Maßnahmen wie zum Beispiel photokatalytisch aktive Flächen zu investieren."
    In der Erprobung ist inzwischen auch Hausputz mit Titandioxid-Beschichtung, das heißt: Bald werden sogar Gebäudefassaden Stickoxide abbauen können.
    Doch wird es dazu wirklich kommen? Ausgerechnet der Abgas-Skandal in der Autoindustrie könnte am Ende dazu führen, dass Schadstoff-fressende Oberflächen wieder überflüssig werden. Wenn die Konzerne mit der Trickserei aufhören und Diesel-Fahrzeuge bauen, die wirklich so NOx-arm sind, wie sie offiziell sein sollen. Dann müsste vielleicht auch niemand mehr Stickoxide aus der Stadtluft fischen.