So fängt Angelikas Tagebuch an. Ein Tagebuch über die Rückkehr ihrer Schwägerin und Freundin Klara, die 29 Monate im Konzentrationslager Auschwitz verbracht hat. "Klara ist zurückgekehrt, aber uns nicht zurückgegeben", notiert Angelika. Die KZ-Überlebende verweigert das Leben. Und Angelika schreibt und schreibt, um über den Schmerz, über den Verlust hinwegzukommen. Soazig Aaron über die Bedeutung von Klaras Nein:
Das ist ein globales Nein, mehrere Verweigerungen zugleich. Das ist ein Nein zur deutschen Sprache, zum Judentum, zu Europa. Ein radikales Nein zu dem, was passiert ist und zu dem, was sie einmal war. Unverständnis und Revolte. Und es ist ein Nein zur Mütterlichkeit. Klara hat im Konzentrationslager einen kleinen Jungen kennen gelernt. Sie hat vergeblich versucht, ihn vor dem Tod zu retten. Sie sieht sich seitdem als Waise, unfähig zur Mütterlichkeit. Sie hat selbst eine dreijährige Tochter, Victoire, aber sie will das Kind nicht sehen. Dieses Nein zu ihrem Kind, das einem zunächst skandalös vorkommt, ist im Prinzip ein Ja zum Glück der jüngeren Generation. Klara ist am Ende, sie spürt, dass sie die Folgen von Auschwitz auf ihr Kind übertragen könnte. Und sie weiss, sie hat kein Recht, ihr Kind unglücklich zu machen. Victoire war erst einen Monat alt, als Klara von der französischen Vichy-Polizei festgenommen wurde. Sie hat keine Zeit gehabt, eine normale liebende Mutter zu werden. Und heute hat sie nicht mehr genug Liebe zu geben.
Verweigerung Mutter zu werden. Auch Verweigerung, deutsch zu sprechen. Klara sagt nie Auschwitz, sie benutzt das polnische "Oswiecim". Sie sagt nie Birkenau, sondern Brzezinska...Die Namen ihrer Freundinnen, die in Auschwitz ermordet wurden, spricht sie auch nie aus. Im Titel des französischen Originals "Le non de Klara" klingt diese Bedeutung der Namen bereits an: le non - das Nein - und le nom - der Name - sind im Französischen Homonyme.
So spiegelt sich Klaras Nein auch in Klaras Namen. Als ehemalige Nachbarn sie mit dem Namen Sarah ansprechen - mit dem zusätzlichen Vornamen, den die Nazis allen Jüdinnen per Verfügung verpassten, ist das Drama nicht mehr zu aufzuhalten: Klara wird Selbstjustiz verüben...
Soazig Aaron ist keine KZ-Überlebende. Niemand aus ihrer Familie ist in den Konzentrationslagern der Nazis umgekommen. Sie ist nicht mal Jüdin, Aaron ist der Name des Großonkels, bei dem sie aufgewachsen und den sie als Pseudonym benutzt. Was hat sie also bewogen, ein Buch über die Rückkehr aus den Konzentrationslagern aus der Perspektive einer Deutschen zu schreiben?
Ich bin Historikerin, und als Historikerin habe ich viel über Antisemitismus und über Deutschland nach dem Zusammenbruch gelesen. Für meinen ersten Roman war es daher selbstverständlich, dass ich über das Schicksal von deutschen Frauen schreiben. Ohnehin ist mein Thema das 20. Jahrhundert. Wenn man sich für das 20. Jahrhundert interessiert, ist der zweite Weltkrieg ein Ereignis, um das man leider nicht herumkommt.
Allerdings bin ich jetzt Schriftstellerin. Im Gegensatz zu den Historikern, die sich immer auf ihre Quellen berufen müssen, im Gegensatz zu den Zeitzeugen, die einfach nichts vergessen können, dürfen wir Schriftsteller uns dem Sog der Inspiration hingeben. Nachdem wir Material über ein Thema gesammelt und uns zu eigen gemacht haben, dürfen wir alles neu rekonstruieren. Und plötzlich kommen ganz neue Einfälle. Als ich anfing, diesen Roman zu schreiben, ist mir eine polnische Regisseurin eingefallen. Eine Ausschwitz-Überlebende. Als sie über dem KZ-Eingang "Arbeit macht frei" gesehen hat, hat sie sich geschworen: wenn ich überleben sollte, dann wird dies die erste Einstellung meines Films sein. Deshalb wurde Klara bei mir Fotografin. Klara und ihre Freundinnen "fotografieren" in Auschwitz mit den Augen und entwickeln diese Bilder, indem sie sie sich gegenseitig erzählen.
Als vor zwei Jahren Klaras Nein in Frankreich erschien, entbrannte eine Polemik über das Recht, als nicht Betroffene über den Holocaust zu schreiben. Jorge Semprun, Buchenwald-Überlebender und einer der großen Zeitzeugen des 20. Jahrhunderts, verteidigte das Buch von Soazig Aaron. Für Semprun ist "Klaras Nein" Zitat: "Das erste starke, unvergessliche Zeichen der Kraft eines fiktiven literarischen Versuchs, sich an die Rekonstruktion der innersten Erfahrung der Vernichtung zu wagen".
Es scheint - zumindest in Frankreich - noch ein Tabu zu geben, was die Benutzung der Fiktion zum Thema Judenvernichtung angeht. Man kann natürlich auf die Arbeit der Zeitzeugen, der Historiker und der Soziologen nicht verzichten. Die Schriftsteller haben von ihnen gelernt, haben Ihre Quellen benutzt, erst mit dieser Beute können sie überhaupt anfangen zu schreiben. Aber wir Schriftsteller befinden uns auf einer völlig anderen Ebene. In meinem Roman lernt man nichts Neues über die Konzentrationslager. Alles findet auf der Ebene der Emotionen statt.
Zum Thema Tabu kann ich noch sagen, dass ich von mir behauptet hatte, dass ich keins hätte: Doch plötzlich wurde mir eine sehr unangenehme Frage gestellt: Warum ich das Tagebuch von Angelika geschrieben hätte, und nicht das des Opfers Klara? So ist mir mein Tabu bewusst geworden: Niemals hätte ich in die Rolle einer KZ-Überlebenden hineinschlüpfen können.
"Klara, wie eine Baustelle": Das ist der letzte Satz von Soazig Aarons sehr bewegendem Roman. Ein Ende wie ein Appell. Ein Appell, Klaras Mut zu verstehen, Klaras Erstarren nach Auschwitz nachzufühlen. Für Jorge Semprun stellt dieser Roman die notwendige Fortsetzung der persönlichen Überlieferungen der Opfer dar. "Wir können ruhig sterben" - schreibt er im Vorwort der deutschen Ausgabe – "unsere Stimme, die Stimme der Zeugen, wird in dieser wunderbaren Fiktion weitergegeben und bewahrt."
Soazig Aaron
Klaras Nein
Friedenauer Presse, 188 S., EUR 19,50
Das ist ein globales Nein, mehrere Verweigerungen zugleich. Das ist ein Nein zur deutschen Sprache, zum Judentum, zu Europa. Ein radikales Nein zu dem, was passiert ist und zu dem, was sie einmal war. Unverständnis und Revolte. Und es ist ein Nein zur Mütterlichkeit. Klara hat im Konzentrationslager einen kleinen Jungen kennen gelernt. Sie hat vergeblich versucht, ihn vor dem Tod zu retten. Sie sieht sich seitdem als Waise, unfähig zur Mütterlichkeit. Sie hat selbst eine dreijährige Tochter, Victoire, aber sie will das Kind nicht sehen. Dieses Nein zu ihrem Kind, das einem zunächst skandalös vorkommt, ist im Prinzip ein Ja zum Glück der jüngeren Generation. Klara ist am Ende, sie spürt, dass sie die Folgen von Auschwitz auf ihr Kind übertragen könnte. Und sie weiss, sie hat kein Recht, ihr Kind unglücklich zu machen. Victoire war erst einen Monat alt, als Klara von der französischen Vichy-Polizei festgenommen wurde. Sie hat keine Zeit gehabt, eine normale liebende Mutter zu werden. Und heute hat sie nicht mehr genug Liebe zu geben.
Verweigerung Mutter zu werden. Auch Verweigerung, deutsch zu sprechen. Klara sagt nie Auschwitz, sie benutzt das polnische "Oswiecim". Sie sagt nie Birkenau, sondern Brzezinska...Die Namen ihrer Freundinnen, die in Auschwitz ermordet wurden, spricht sie auch nie aus. Im Titel des französischen Originals "Le non de Klara" klingt diese Bedeutung der Namen bereits an: le non - das Nein - und le nom - der Name - sind im Französischen Homonyme.
So spiegelt sich Klaras Nein auch in Klaras Namen. Als ehemalige Nachbarn sie mit dem Namen Sarah ansprechen - mit dem zusätzlichen Vornamen, den die Nazis allen Jüdinnen per Verfügung verpassten, ist das Drama nicht mehr zu aufzuhalten: Klara wird Selbstjustiz verüben...
Soazig Aaron ist keine KZ-Überlebende. Niemand aus ihrer Familie ist in den Konzentrationslagern der Nazis umgekommen. Sie ist nicht mal Jüdin, Aaron ist der Name des Großonkels, bei dem sie aufgewachsen und den sie als Pseudonym benutzt. Was hat sie also bewogen, ein Buch über die Rückkehr aus den Konzentrationslagern aus der Perspektive einer Deutschen zu schreiben?
Ich bin Historikerin, und als Historikerin habe ich viel über Antisemitismus und über Deutschland nach dem Zusammenbruch gelesen. Für meinen ersten Roman war es daher selbstverständlich, dass ich über das Schicksal von deutschen Frauen schreiben. Ohnehin ist mein Thema das 20. Jahrhundert. Wenn man sich für das 20. Jahrhundert interessiert, ist der zweite Weltkrieg ein Ereignis, um das man leider nicht herumkommt.
Allerdings bin ich jetzt Schriftstellerin. Im Gegensatz zu den Historikern, die sich immer auf ihre Quellen berufen müssen, im Gegensatz zu den Zeitzeugen, die einfach nichts vergessen können, dürfen wir Schriftsteller uns dem Sog der Inspiration hingeben. Nachdem wir Material über ein Thema gesammelt und uns zu eigen gemacht haben, dürfen wir alles neu rekonstruieren. Und plötzlich kommen ganz neue Einfälle. Als ich anfing, diesen Roman zu schreiben, ist mir eine polnische Regisseurin eingefallen. Eine Ausschwitz-Überlebende. Als sie über dem KZ-Eingang "Arbeit macht frei" gesehen hat, hat sie sich geschworen: wenn ich überleben sollte, dann wird dies die erste Einstellung meines Films sein. Deshalb wurde Klara bei mir Fotografin. Klara und ihre Freundinnen "fotografieren" in Auschwitz mit den Augen und entwickeln diese Bilder, indem sie sie sich gegenseitig erzählen.
Als vor zwei Jahren Klaras Nein in Frankreich erschien, entbrannte eine Polemik über das Recht, als nicht Betroffene über den Holocaust zu schreiben. Jorge Semprun, Buchenwald-Überlebender und einer der großen Zeitzeugen des 20. Jahrhunderts, verteidigte das Buch von Soazig Aaron. Für Semprun ist "Klaras Nein" Zitat: "Das erste starke, unvergessliche Zeichen der Kraft eines fiktiven literarischen Versuchs, sich an die Rekonstruktion der innersten Erfahrung der Vernichtung zu wagen".
Es scheint - zumindest in Frankreich - noch ein Tabu zu geben, was die Benutzung der Fiktion zum Thema Judenvernichtung angeht. Man kann natürlich auf die Arbeit der Zeitzeugen, der Historiker und der Soziologen nicht verzichten. Die Schriftsteller haben von ihnen gelernt, haben Ihre Quellen benutzt, erst mit dieser Beute können sie überhaupt anfangen zu schreiben. Aber wir Schriftsteller befinden uns auf einer völlig anderen Ebene. In meinem Roman lernt man nichts Neues über die Konzentrationslager. Alles findet auf der Ebene der Emotionen statt.
Zum Thema Tabu kann ich noch sagen, dass ich von mir behauptet hatte, dass ich keins hätte: Doch plötzlich wurde mir eine sehr unangenehme Frage gestellt: Warum ich das Tagebuch von Angelika geschrieben hätte, und nicht das des Opfers Klara? So ist mir mein Tabu bewusst geworden: Niemals hätte ich in die Rolle einer KZ-Überlebenden hineinschlüpfen können.
"Klara, wie eine Baustelle": Das ist der letzte Satz von Soazig Aarons sehr bewegendem Roman. Ein Ende wie ein Appell. Ein Appell, Klaras Mut zu verstehen, Klaras Erstarren nach Auschwitz nachzufühlen. Für Jorge Semprun stellt dieser Roman die notwendige Fortsetzung der persönlichen Überlieferungen der Opfer dar. "Wir können ruhig sterben" - schreibt er im Vorwort der deutschen Ausgabe – "unsere Stimme, die Stimme der Zeugen, wird in dieser wunderbaren Fiktion weitergegeben und bewahrt."
Soazig Aaron
Klaras Nein
Friedenauer Presse, 188 S., EUR 19,50